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Abschiede, egal wel­cher Art, sind etwas Betrüb­li­ches. Aber wenn man nicht einen Abschied feiert, son­dern drei – wird jeder ein­zelne dann drei­fach so schwer oder dreimal so leicht? Lothar Mat­thäus dürfte die Ant­wort kennen, er hat es selbst erlebt. Wer Mat­thäus im Früh­jahr 2000 beglei­tete, ließ sein Taschen­tuch vor­sorg­lich gezückt.

Mat­thäus, der Welt- und Euro­pa­meister, der UEFA-Cup-Sieger und mul­tiple natio­nale Meister. Der Rekord­na­tio­nal­spieler, Welt­fuß­baller und Welt­sportler, der es vom Raum­aus­statter zum Raum­deuter gebracht hatte. In den USA, bei den New York Metro Stars, wollte der Franke schließ­lich zum Welt­mann reifen, so wie Franz Becken­bauer.

Sein 464. Bun­des­li­ga­spiel sollte sein Letztes sein

17 Jahre spielte Mat­thäus in der Bun­des­liga, er hatte die Fuß­ball-Öffent­lich­keit (und nicht nur die) manchmal genervt, meis­tens beehrt und immer berei­chert. Jetzt sollte Schluss ein. Musste es. Mit dem 464. Spiel an einem kühlen Nach­mittag am 4. März 2000 in Stutt­gart gab der knapp 39-Jäh­rige seinen Aus­stand. Den ersten.

Um 16:43 Uhr wurde er in ein letztes Luft­duell geschickt, gegen einen Stutt­garter, der bestimmt 15 Jahre jünger war. Oder fünf. Die Lan­dung war unsanft aus­ge­fallen, und Mat­thäus erteilte Bayern-Trainer Ottmar Hitz­feld mit ver­zerrtem Gesicht und knei­fender Leiste das Signal zum Exodus.

Als der Libero um 16:44 Uhr, in Spiel­mi­nute 54, vom Rasen trabte, erhob sich das Gott­lieb-Daimler-Sta­dion. Mat­thäus nickte, gab dem Schweden Patrick Andersson einen Klaps und senkte den Ober­körper zu einer Ver­beu­gung. Einen ergrei­fenden Moment“ machte da selbst der ver­nunft­ge­steu­erte Hitz­feld aus, das ist unter die Haut gegangen.“ Lothar, die Legende.

Abgang im Hub­schrauber, klar

Dann drän­gelte sich ein Men­schen­pulk mit aus­ge­fah­renen Ellen­bogen durch die Schneisen der Kata­komben, für den ulti­ma­tiven Schnapp­schuss war Kör­per­ein­satz gefragt. Wie bei einem Pop­star, der früh­zeitig von der Show­bühne müsse, um den Flieger zu erwi­schen“, stie­felte Mat­thäus – Wind im Haar, Freundin an der Hand – auf einen Vor­platz des Sta­dions. Anstelle des Flie­gers war­tete ein Hub­schrauber, aber gut, man kann nicht alles haben. Ein Auf­tritt im ran“-Studio, wo kit­schig-berührt zu bye-bye-Lothar“ geschun­kelt wurde, recht­fer­tigte die pri­vate Flug­stunde. Als der Hub­schrauber um Viertel vor sechs abhob, schwebte in und mit ihm auch die Fuß­ball­in­stanz der Neu­zeit von dannen. Far Away To Bavaria.

Es wirkte, als ob ein Staats­be­diens­teter in einer Tragik von natio­nalem Ausmaß eme­ri­tieren würde. Und irgendwie war es auch so. Der Abschied des Lothar M. wurde zum Drama in vielen Akten apo­stro­phiert, und Teil eins der innen­po­li­ti­schen Krise führte man in Stutt­gart auf, am 4. März 2000.

Ich werde bestimmt einiges ver­missen. Die deut­schen Sta­dien, die Fans, die Bun­des­liga“, unkte der Schei­dende nach einem Spiel, dessen Ver­lauf nicht in den vor­ge­se­henen Bil­der­rahmen passte. Zwar hatten sie in Mün­chen, beim FC Bayern, dezent gemurrt, weil das lod­dam­a­d­dä­us’­sche Bohei aus allen Nähten geplatzt war, aber anstän­dige 90 Abschuss­mi­nuten wollten sie ihrem Veteran dann doch bescheren. Allein aus Eigen­nutz, Lever­kusen triezte Bayern im Meis­ter­rennen (und wusste zu diesem Zeit­punkt noch nicht, wo Unter­ha­ching zu loka­li­sieren ist).

Zum Abschied einen Cow­boyhut

So hatte Trainer Hitz­feld seinen Mannen, die unter der Woche einen famosen 4:2‑Sieg im Ber­nabéu gelandet hatten, den All­tags-Rhythmus auf­ok­troy­iert und Mat­thäus als Libero berufen. Auch von VfB-Seite erhielt Lothar artig Prä­sente, einen Cow­boyhut und ein Trikot-Pot­pourri, genäht aus Stoff­stü­cken des FC Bayern, Borussia Mön­chen­glad­bach, Inter Mai­land und des deut­schen Natio­nal­teams – Mat­thäus‘ Kar­rie­re­sta­tionen.

Von soge­nannten Kon­zept­trai­nern“ sprach kurz nach der Jahr­tau­send­wende nie­mand, doch wenn der Begriff schon Einzug in den Jargon der Kick-Branche gefunden hätte, wäre Ralf Rang­nick ein Pio­nier gewesen. Vor dem Bayern-Spiel ver­suchte der Jung-Trainer, seine Profis an bisher unbe­kannten Syn­apsen zu strie­geln, und ließ 1,20 Meter lange Eisen­stangen an deren Hälsen anbringen, die mit den Händen angeb­lich nicht zu ver­biegen seien – wohl aber unter Ein­satz des Kehl­kopfes. Die Sug­ges­tion deckte sich mit dem Kahn-Motto: Wille!

Das geht heute schief!“

Bayern-Manager Uli Hoeneß überkam ein ungutes Gefühl. Als erste deut­sche Mann­schaft hatte Bayern in Madrid gewinnen können, jetzt aber kaufte ihnen Stutt­gart den Schneid ab. Bald spürte Hoeneß, dass das heute schief geht“.

Falls Mat­thäus auf schwä­bi­sches Schau­laufen spe­ku­liert hatte, wurde seine Hoff­nung ent­täuscht. Ersatz­keeper Bernd Dreher (für den Pause-bedürf­tigen Oliver Kahn dabei) stürmte ohne Not aus dem Tor und zwang seinen 38-jäh­rigen Libero zu einem Sprint Rich­tung Tor­linie. Mat­thäus, der Rück­stand-Retter.

Ursprüng­lich, so hatte es Hitz­feld geplant, sollte Lothar zur Pause in der Kabine bleiben. Doch dann dachte ich, dass man einem Rekord­na­tio­nal­spieler den Abschied geben muss, der ihm gebührt“, sagte Hitz­feld hin­terher. Er wech­selte Mat­thäus nicht aus.

Wer zu spät kommt, den bestraft das Fuß­ball-Leben. Nach 50 Minuten legte Mat­thäus den Stutt­garter Krisz­tián Lisztes. Foul, Frei­stoß, Kras­simir Balakov, Tor­war­tecke, Tor­wart­fehler, Tor. Als der quir­lige Lisztes den nicht so quir­ligen Thomas Linke düpierte und Dreher zum 2:0‑Endstand über­wand (59.), waren die Töne von Mat­thäus‘ bei­falls­schwan­gerem Auszug gerade ver­klungen. Er hatte, wie alle Bayern, höchs­tens durch­schnitt­lich gespielt, aber Lothar war nunmal Lothar. Raum­aus­statter, Raum­deuter, wahr­schein­lich Raum­fahrer. Wenig ver­wun­der­lich also, dass der wie­derum äußerst quir­lige Premiere“-Moderator Fritz von Thurn und Taxis eine Glas­vi­trine mit Spiel­ball und Stutt­garter Rasen auf Kal­kauf­guss bereit­hielt. Mat­thäus war von den Zuschauern zum Top­spieler des Tages“ gewählt worden, und bei­nahe schien ihm die Aus­zeich­nung ein bis­serl pein­lich.

Mara­dona sagt Servus

Als die Blätter des Hub­schrau­bers auf dem Sta­dion-Vor­platz rotierten, war Lothar Mat­thäus ein Ex-Bun­des­li­ga­spieler. Zwei Abschiede standen ihm noch bevor. Ende Mai zwängte sich Diego Mara­dona in ein Bayern-Shirt, um beim offi­zi­ellen Abschieds­spiel seines Freundes im Olym­pia­sta­dion zu tricksen. 17 Kilo soll der Argen­ti­nier abge­speckt haben, erschien noch immer reich­lich füllig, zeigte dem einen oder anderen deut­schen Natio­nal­spieler aller­dings, was Füße mit einem Ball anstellen können. Theo­re­tisch.

Drei Monate vor Mara­dona und vier Tage nach Lisztes zele­brierte man das zweite bye-bye-Fes­tival. Das Beste. Bayern Mün­chen gegen Real Madrid, ewiger Kampf der Titanen in der Cham­pions League. Servus Lothar“ blinkte es in der 90. Minute auf der Anzei­ge­tafel, und tat­säch­lich sagte Lothar Servus. Er hatte feuchte Augen, trot­tete zur Sei­ten­linie, gab Patrick Andersson einen Klaps, immerhin, das kannte er schon. Und wäh­rend Lothar Mat­thäus über die Ersatz­bank­ge­meinde zur Kabine fla­nierte, schloss Alex­ander Zickler einen Konter zum 4:1 ab. Mat­thäus schaute beseelt. TV-Kom­men­tator Jörg Dah­l­mann phi­lo­so­phierte: Da geht er, ein großer Spieler, ein Welt­star. Einer wie Steffi Graf.“

Plötz­lich fiel der Blick auf ein Plakat, das Bayern-Fans prä­pa­riert hatten, und das die ganze Geschichte ziem­lich gut auf den Punkt brachte: Sänk ju, loddar.“