Horst Hrubesch wirft sich in Kopfballungeheuer-Manier in das Trainer-Abenteuer beim Hamburger SV und reißt alle mit. Sein Team deklassiert den 1. FC Nürnberg im Montagsspiel – und plötzlich keimt am Volkspark wieder Hoffnung. Macht der Alte den Aufstieg doch noch möglich?
Da ist er wieder. Pustet durch. Blökt. Schwitzt. Fußball ist halt ein Laufspiel, denkt er, muss er halt auch was tun. Er klatscht in die Hände. High Five mit einem Ersatzspieler. Die Haare speckig wie zur Profizeit, nur nicht mehr ganz so goldgelb. Der letzte Vokuhila westlich von Berlin-Mitte. Nochmal, denkt er, ich bleibe dabei. Vor dem Spiel zimmert er mit der Wucht des Ungeheuers sein Mantra in jedes Mikro: „Macht überhaupt keinen Sinn, das Spiel zu verlieren.“ Und nie lag Horst Hrubesch mit diesem Satz richtiger als jetzt. Denn eine Niederlage des HSV gegen den 1. FC Nürnberg hätte gestern weder sportlich noch tabellenarithmetisch irgendeinen Sinn ergeben.
Doch der Alte hat die Gespenster aus den Köpfen seiner Spieler verjagt. Die Dämonen der Vergangenheit, die schon in zurückliegenden Jahren auf der Saisonzielgerade beim HSV zur Lähmung führten. Die Geister, die den Profis im Aufstiegsrennen Versagensangst einflüsterten. Der gescholtene Sonny Kittel macht gestern plötzlich sein Tor und grätscht sogar am eigenen Strafraum. Hrubesch setzt den 21-jährigen Robin Meißner der Drucksituation aus, um jeden Preis gewinnen zu müssen, und der Angreifer dankt es ihm bei seinem ersten Startelfeinsatz, indem er nach dreißig Minuten den Torreigen eröffnet. Simon Terodde folgt endlich wieder seiner Bestimmung. Und auch sonst deutet im menschenleeren Volkspark gestern nichts darauf hin, dass der HSV sich bereits aufgegeben hat. Und das obwohl unmittelbar zuvor Holstein Kiel auch sein Nachholspiel gegen Hannover 96 gewinnt.
Horst Hrubesch hat daran unschätzbaren Anteil. Wer ihn gestern wahlweise schmunzelnd, schimpfend und wohlfeil phrasendreschend bei den TV-Interviews erlebte, konnte sehen, wie positiv den 70-Jährigen seine Berufung zum Bundesliga-Coach befeuert. 36 Jahre nach seinem letzten Engagement in dieser Spielklasse. Keine Frage: Dieser Mann hat Bock. Und zwar großen. Wer ihm zuhörte, hatte nicht den Eindruck, als habe sich seit damals viel verändert. Hrubesch sprach Worte, die kurz nach dem Mauerfall noch als Nachweis für die Einfältigkeit von Fußballern geführt wurden, Profivokubular halt. Heute klingen seine Sätze aber so wunderbar leicht und unprätentiös, dass einem als Zuschauer plötzlich wieder einfällt, was man am Fußball, seinen Protagonisten und dem ganzen Drumherum in grauer Vorzeit mal so faszinierend fand.
Hrubesch macht das, was ihn schon als Spieler unwiderstehlich machte: Er lässt eine Sache, die gerade noch als Ding der Unmöglichkeit betrachtet wurde – einen HSV-Sieg – leicht aussehen. Genauso wie sein „Manni Bananenflanke, ich Kopfball, Tor!“ über Jahrzehnte als Synonym beschränkter Profirhetorik missverstanden wurde, in Wahrheit aber nicht weniger als der Markenartikel zweier Genies war, der bis heute in der Form nie mehr reproduziert werden konnte.
Das Lob der Reporter für seine Spieler gestern federte er ab wie ein Lehrer, der über ein Schülermatch bei den Bundesjugendspielen redet: „Normal ist Sonny ein Unterschiedsspieler. Der haut sich im Training rein. Aber das sehr ihr ja nicht. Nochmal, für mich kommt das alles nicht überraschend.“ „Robin hat das gut gemacht, aber jetzt kommt das Problem: Jetzt kennen ihn ja alle. Nun muss er beweisen, dass er die Leistung bestätigen kann.“
Frei nach dem Motto: War was? Und alles andere hätte ja auch keinen Sinn gemacht.
Hrubeschs Interview bei „Sky“ sollte beim nächsten Fernsehpreis in einer Sonderkategorie prämiert werden. Einerseits, weil man ihm einfach gern zuhört in seiner unnachahmlichen Art. Andererseits, weil es so putzig war mitzuerleben, wie der coole Torsten Mattuschka als Co-Kommentator, nachdem er eben noch HSV-Verteidiger Toni Leistner flauschig in die Kabine verabschiedet hatte – „So, Junge, jetzt geh duschen“ – in Hrubeschs Gegenwart plötzlich auf die Größe eines C‑Jugendlichen zusammenschrumpfte, so dass am Ende nur noch fehlte, dass er seine Frage vom Zettel ablesen muss. Sogar Nürnbergs Trainer Robert Klauß ließ sich trotz der herben 5:2‑Niederlage zu einer Ehrerbietung hinreißen.
Es schien, als würden sich alle – selbst die Gegner – freuen, dass sich Hrubeschs Amtsübernahme nicht als Himmelfahrtskommando entpuppt, sondern mit ein bisschen Glück und nervösen Konkurrenten am Saisonende ein Märchen schreiben könnte. „Hier zählt jetzt jedes Tor“, sagte Hrubesch, auch wenn es in seinem Leben noch nie anders war. Aber wenn er es ausspricht, klingt es einfach nur gut.
Ganz am Ende des „Sky“-Interviews ging er auf die anstehenden Spiele ein. Klar, die Konkurrenz darf sich nun keine Schnitzer erlauben, aber auch der HSV kann nur so weitermachen, wie es der Klub im Spiel gegen Nürnberg unter Beweis gestellt habe. Jetzt geht es nach Osnabrück. „Bremer Brücke“, so Hrubesch, „kenn ich! Da muss auch erst mal gewonnen werden.“ Er klang, als sähe er vorm geistigen Auge den zerrupften Osnabrücker Rasen an einem regnerischen Freitagabend unter Flutlicht und er läuft noch einmal als junger Mittelstürmer von Rot-Weiß Essen auf. In diesen brodelnden Hexenkessel, wo ihn die Fans vom „Affenfelsen“ wüst beschimpfen, denen er gleich mit seinen Toren gehörig das Maul stopfen wird.
Als Hrubesch bei „Sky“ über die Bremer Brücke sprach, hatte er offenbar für einen Moment vergessen, dass der HSV am kommenden Samstag unter Geisterspiel-Voraussetzungen dort spielen wird. Und es ein ganz anderes Stadionerlebnis sein wird, als er aus seiner Vergangenheit kennt. Doch wer ihn gestern Abend im weiten Rund des Volksparks hörte, wie er munter seine flottgemachten Eleven anblaffte, konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er als Ein-Mann-Ultragruppe das Osnabrücker Stadion am Wochenende doch mächtig unter Dampf setzen will. Nochmal: Er kennt die Bremer Brücke ja.