Friedhelm Funkel geht in Rente. Niemand hat mehr Bundesligaspiele auf dem Buckel, sein Image als integrer Sportsmann ist makellos. Für die neue 11FREUNDE-Ausgabe #220 (jetzt am Kiosk) haben wir ihn in den ersten Tagen als Ruheständler begleitet. Vor acht Jahren gab uns der Coach schon einmal die Ehre. Lest das große Porträt aus Ausgabe #128 – wie hat Funkel sich verändert?
Schon als er 2000 aus dem Westen zu Hansa Rostock wechselte, fühlte er sich da oben im Norden irgendwie einsam, weil dort Misserfolge viel schwerer wogen, als er es gewohnt war. Die guten Freunde waren weit weg: „Da war niemand, mit dem ich darüber reden konnte, wenn es nicht lief.“ Im Gegensatz zu Kollegen wie dem Burnoutversehrten Ralf Rangnick ist es ihm aber gelungen, stets eine gewisse Distanz zum Job zu behalten. Er hat es sich nie nehmen lassen, an Länderspielwochenenden für ein paar Tage auf Mallorca zu entspannen. Journalisten mögen ihn, weil er zuverlässig seine Quotes liefert, andererseits beißen sie sich an ihm die Zähne aus, weil seine Aussagen nie für eine Schlagzeile taugen.
Die Zeiten, in denen er nach einer Fehlentscheidung „Das war Betrug“ in TV-Kameras schrie – fünf Mal musste er wegen solcher Entgleisungen beim DFB-Sportgericht vorstellig werden – sind längst Geschichte. Kaum ein aktueller Coach wirkt ausgeglichener. „Ich bin gesund geblieben“, sagt Funkel stolz. Es sind nicht immer nur die Titel, die Erfolg im Fußball definieren. Er hat Techniken entwickelt, um die Fassung zu wahren. Nach dem Abpfiff geht er grundsätzlich nie zur Mannschaft in die Kabine, sondern schaltet im Coachingraum für Augenblicke ab. Die Spieler sollen den Ärger dann unter sich regeln. Er weiß, dass in emotionalen Momenten eine affekthafte Aussage des Trainers viel Porzellan zerschlagen kann. Sein Ziel ist es, die Spieler nach Möglichkeit nicht autoritär zu maßregeln, sondern argumentativ zu führen. Funkel weiß: „Heute muss ein Trainer viel mehr mit einem Spieler reden als früher.“ Gehört es doch zu seinen Qualitäten, schlingernde Mittelklasseprofis so zu bearbeiten, dass ein Verein auch ohne größere Investitionen seine Planziele erreicht.
„Friedhelm, wenn du noch hier wärst, würden wir nicht absteigen.“
Am Eindrucksvollsten ist ihm dies in Frankfurt gelungen. Dort erlebte er seine erfolgreichste und längste Amtsperiode. Als er die Eintracht nach dem Bundesligaabstieg im Sommer 2004 übernahm, ging der dezimierte Klub ohne große Verstärkungen in die Saison. Dennoch gelang es ihm, den klammen Absteiger postwendend zurück in die erste Liga zu führen und zwei Jahre später sogar ins Pokalfinale. Vier Spielzeiten hielt er die Frankfurter genau dort, wo sie von ihrem Potential her zu verorten waren. Eine Saison spielte der Klub sogar Europa League, ansonsten fristete man ein Dasein im grauen Niemandsland der Liga – und kam dort langsam wirtschaftlich wieder auf die Beine. Vorstandsboss Bruchhagen machte unmissverständlich klar, dass es unter seiner Führung keine Diskussion um den Trainer geben würde. Doch nach vier Jahren zwischen den Plätzen vierzehn und neun, wurden die Stimmen der prätentiösen Kritiker im Umfeld schlicht zu laut.
Funkel verabschiedete sich pflichtschuldig: „Weil aus meiner Sicht die Möglichkeiten nicht ausreichten, um die Eintracht zumindest auf den sechsten Platz zu führen.“ Er sollte recht behalten. Als die Eintracht zwei Jahre später abstieg, kämpfte er – obwohl längst in Bochum in Amt und Würden – mit den Tränen. Er konnte nicht verstehen, dass sich dieser gefestigte Klub statt im Bereich der Europa-League-Platzierungen nun in den Niederungen der Zweitklassigkeit wiederfand. Als er beim letzten Heimspiel gegen Köln im Eintracht-Stadion weilte, kamen ausgerechnet seine einst größten Widersacher aus dem Aufsichtsrat und sagten: „Friedhelm, wenn du noch hier wärst, würden wir nicht absteigen.“ Er dachte, wie pervers das Fußballgeschäft doch sein kann. Doch kennt er es nicht anders. Sein Leitspruch lautet: „Wenn es dem Esel zu gut geht, will er aufs Glatteis!“
Seinen eisernen Pragmatismus wendet Funkel deshalb auch auf die negativen Begleitumstände seines Jobs an. Auf die Frage, woran ein Trainer merkt, dass seine Zeit abläuft, hat er mal geantwortet: „Wenn die Frau am Empfang der Geschäftsstelle vergisst, den Trainer am Morgen beim Reinkommen zu grüßen, weiß er, dass es langsam eng wird.“ Er klang dabei nicht verbittert, er sprach es, als sei es ein natürlicher Teil des Prozesses. Business as usual. Bei jeder neuen Vertragsunterschrift sind die menschlichen Verwerfungen, wenn eine Zusammenarbeit auf ihr Ende zuläuft, von ihm bereits mit einkalkuliert. Ein Trainerleben ist nun mal geprägt von Abschieden. Wer wüsste das besser als er.