Der Mexikaner Cuauhtémoc Blanco wurde weltberühmt, weil er sich den Ball zwischen die Füße klemmte und wie eine Kröte an seinen Gegenspielern vorbeisprang. Erinnerungen an den schönsten und hässlichsten Signature Move der Fußballgeschichte.
Jede Krise ist auch eine Chance.
Entschuldigt diesen christianlindnerhaften Einstieg, und großes Sorry vorab, denn auch das hier ist eine Art Nutze-die-Corona-Zeit-Story. Aber ehrlich mal: Ihr habt kein Home-Fitness-Studio im Keller, Gymnastik und Yoga sind nicht so euer Ding, und ihr lacht über Jogger im Park wie früher Wolfram Wuttke?
Dann versucht doch, einen neuen Trick zu entwickeln. Eine Finte, die einfach ist, aber die noch nie jemand vor euch gemacht hat. Nach drei, vier oder acht Monaten kommt ihr aus der Quarantäne und werdet berühmt, beliebt, reich und vielleicht sogar ein einflussreicher und berüchtigter Politiker.
So wie Cuauhtémoc Blanco, der einem bescheuerten und simplen Kabinettstückchen so ziemlich alles verdankt. Es ist ein Trick, der für immer und ewig an ihm klebt.
Solche sogenannten Signature Moves gibt es im Fußball zuhauf. Zu den bekanntesten zählen Zinedine Zidanes „Marseille-Roulette“, Ronaldos dreifacher Übersteiger oder der „Okocha-Trick“. Aber die meisten dieser Kunststücke werden irgendwann kopiert oder weiterentwickelt. Schon der Zidane-Trick war im Grunde nur eine Fortführung von Maradonas „Roulette“.
Es gibt nur wenige Tricks, die mit einer einzigen Person verknüpft sind: Neben Blancos Trick ist da noch Rene Higuitas „Scorpion Kick“ zu nennen, aber der war wirklich reiner Selbstzweck und Angeberei.
Blanco hingegen verblüffte nicht nur die Fans, sondern ließ auch seine Gegenspieler oft erstarren. Zum ersten Mal sah die Weltöffentlichkeit seinen selbstkreierten Trick bei der WM 1998 gegen Südkorea. An der Außenlinie lockte er zwei Verteidiger an, die ihn doppelten, wie man im Fußball sagt. Sie standen gebannt vor ihm, den Mexikaner und den Ball fixiert. Blanco aber befreite sich aus der misslichen Lage, indem er sich den Ball zwischen die Beine klemmte und wie eine Kröte zwischen den verdutzten Gegenspielern hindurchhüpfte. Die mexikanischen Fans jubelten und grölten, denn sie kannten den Trick schon aus der Heimat.
Man sollte wissen, dass Blanco in Mexiko nie als der beste Fußballer gesehen wurde, aber er war immer einer der beliebtesten. Ein Scherzbold, der halbhohe Anspiele mit seinem Po stoppte, mit seinem Bunte-Liga-Bäuchlein Pässe weiterleitete und für einen Torjubel einmal einen pinkelnden Hund am Pfosten imitierte. Die längste Zeit seiner Karriere spielte er für den Club America. In Europa allerdings kannten ihn vor der WM 1998 nur Experten.
Vielleicht hatte er diesen Auftritt deswegen sogar vorbereitet, als eine Art Bewerbung. Er nutzte die Weltbühne für seine Show. Ihr denkt, ihr habt alles gesehen? Dann schaut mal genau hin!
Alleine im Spiel gegen Südkorea führte er den Trick dreimal vor, zweimal gelang er.
Sein Trick war zuerst mal die Antwort auf viele Kinder-Fragen, bei denen man immer etwas ratlos war: Dürfen fünf oder sechs Spieler den Ball in ihrer Mitte hin- und herpassen und geschlossen Hand in Hand übers Feld rennen? Darf man den Ball unters Trikot drücken und mit ihm ins Tor laufen? Und, sag mal Papa, darf man den Ball zwischen die Beine klemmen und wie eine Kröte übers Feld hüpfen?
„Eine Weltneuheit“, frohlockte die „Hamburger Morgenpost“. Blanc Oh!
Allerdings musste der hüpfende Mexikanische er auch ein wenig Spott ertragen. Was daran lag, dass er im Kreis von modernen Fußballartisten wirkte wie unbewegliches Playmobilmännchen. Die Tricks wurden ab Mitte der Neunziger immer ausgefeilter. Computersimulationen wie Fifa 98 ahmten die Bewegungen der Profis perfekt nach und befeuerten die Gier nach einem trickreichen und perfekten Spiel.
Zinedine Zidane drehte sich in 360-Grad-Pirouetten auf dem Ball. Dennis Bergkamp vollbrachte physikalisch Unmögliches. Ihre Bewegungen waren wie filigrane Pinselstriche von Großen Meistern, Blancos Sprung wirkte wie etwas, das man in den Achtzigern hier vergessen hatte, als der Fußball aussah wie Blanco selbst: bucklig und dicklich.
Immerhin, wenn man sich zu Ende amüsiert hatte, gab Blanco auch Grund zur Hoffnung, dass man selbst mit seinen limitierten Achtziger-Jahre-Skills gar nicht so weit weg war von Zidane, Ronaldo, Bergkamp, Boban und den anderen 98er Superhelden. Denn einen Ball zwischen die Beine klemmen und dann nach vorne hüpfen – das konnte wirklich jeder. Warum war man selbst nie darauf gekommen?
Dabei war Blanco nicht mal Mexikos eigentlicher Star, das war nämlich Luis Hernández, der schon bei der Copa America ein Jahr zuvor brilliert hatte und Torschützenkönig geworden war. Auch in Frankreich erzielte er in vier Spielen vier Tore. Heutzutage würde so einer direkt nach Europa transferiert werden, Hernández aber blieb in Mexiko, nach der WM schloss er sich UANL Tigres an, danach ging er zu Los Angeles Galaxy.
Aber zurück zu Blanco, der krötigen Hoffnung Mexikos. Er machte im Turnier ein wichtiges Tor, im zweiten Gruppenspiel gegen Niederlande, als seine Mannschaft ein 0:2‑Rückstand egalisierte. Mexikos Spieler verkündeten nun: „Wir werden Weltmeister!“ Im Achtelfinale schied die Mannschaft aber unglücklich gegen Deutschland aus. Von diesem Spiel gibt es ein Bild, das Blanco im Moment seines Tricks zeigt: Er quetscht-hüpft sich durch Jörg Heinrich und Christian Wörns hindurch, das Bild sieht in etwa so ästhetisch aus wie ein aufgeklappter Döner, und mehr muss man zu diesem Spiel eigentlich auch nicht wissen.