Im Sommer 2013 beteiligten sich Fans von Besiktas an den Gezi-Protesten. Nun stehen sie vor Gericht. Ihr Anwalt Inan Kaya spricht im Interview über den skurrilen Prozess.
Gibt es Repressionen gegen die Angeklagten?
Nicht konkret, aber man spürt die Beobachtung. Früher kam es schon mal vor, dass das Ordnungsamt beispielsweise ein Lokal überprüfte, heute wird das allerdings vier- oder fünfmal in Folge getan.
Werden immer noch die Telefonate abgehört?
Ich denke ja. Wir werden sicherlich überwacht. Es kann sogar sein, dass heute Abend jemand hier in Berlin-Neukölln zuhört.
Warum sind Sie dann hier?
Weil die Menschen außerhalb der Türkei davon erfahren müssen. Wir brauchen kein Geld, wir brauchen Öffentlichkeit.
Hat der Prozess für Sie persönlich Folgen?
Ich habe vorher viele Unternehmen vertreten. Zwei Drittel meiner Mandanten sagen mir nun: „Wir mögen dich, aber wir können nicht mehr mit dir zusammen arbeiten.“
Wie verhält sich eigentlich der Verein?
Anfangs war Fikret Orman (Vereinspräsident, d. Red.) das alles ziemlich egal. Momentan versucht er aber, gute Stimmung bei Recep Tayyip Erdogan zu machen. Neulich erst hieß es von Vereinsseite, dass Erdogan den Stadionneubau so toll unterstützt habe – was schlichtweg gelogen ist. Aber so muss sich Orman nicht rechtfertigen, dass er keine Partei für die Fans ergreift.
Wird Carsi von anderen Fans unterstützt?
Einige Galatasaray- und Fenerbahce-Anhänger sind bei der ersten Hauptversammlung erschienen. Allerdings gibt es bei den Vereinen auch eine Vielzahl von Erdogan-Anhängern und Carsi-Gegnern.
Wie ist es bei den Besiktas-Spielen?
Da bekommen sie Unterstützung von unseren Fans. Es hängen weiterhin Carsi-Banner, und es ertönen weiterhin Sprechchöre. Alle Besiktas-Fans haben das Gefühl, dass sie gemeinsam auf der Anklagebank sitzen.
Es soll aber auch Erdogan-Anhänger unter den Besiktas-Fans geben. Im September 2013 kam es beim Derby gegen Galatasaray zu einem Platzsturm, für den die Fangruppe „1453 Kartallari“ verantwortlich gemacht wurde. Ein Sprecher dieser Gruppe sagte in der Zeitung „Sabah“: „Es hat uns gestört, dass Carsi politisch so in den Vordergrund gedrängt ist.“
Diese Gruppe existierte maximal zwei oder drei Wochen. Das legt zumindest den Verdacht nahe, dass das keine Besiktas-Fans waren, sondern Schergen von Erdogan. Diese Gruppe sollte Stimmung gegen uns machen. Sie sollte den Anschein erwecken, dass es bei uns auch eine starke rechte Fanszene gibt.
Carsi wurde also unterwandert?
Richtig. Uns wurden künstliche Blumen in die Kurve gelegt.
Herr Kaya, ist an diesem Freitag bereits mit einem Urteilsspruch zu rechnen?
Der Staatsanwalt soll sein Schlussplädoyer direkt nach der Verhandlung halten. Wir werden als Verteidiger in jedem Fall um einen Fristaufschub bitten, um unsere Plädoyers zu halten.
Glauben Sie, dass die jüngsten Wahlen in der Türkei einen Einfluss auf den Prozess haben könnten?
Das weiß man nicht, in jedem Fall haben sich die Machtverhältnisse geändert, Erdogans AKP hat nicht mehr die Mehrheit. Es ist möglich, dass sie sich durch einen Freispruch dadurch schmücken wollen, wie unabhängig die Justiz doch ist.
Gehen Sie denn von einem Freispruch aus?
Dieses gesamte Verfahren ist sowieso schon ein Skandal. Doch eine Verurteilung wäre die türkische Dreyfus-Affäre. Wenn meine Mandanten verurteilt werden, dann ist das der tatsächliche Beweis, dass wir in der Türkei keine unabhängige Justiz haben. Wenn das so ist, dann können wir alles vergessen, dann müssen wir raus aus dem Land.