Rund zwei Jahre lang hat unser Autor den ehemaligen Bundesligaprofi Michael Tönnies begleitet und über dessen bewegtes Leben ein Buch geschrieben. Am 26. Januar 2017 ist Michael Tönnies gestorben.
Auf dem Bolzplatz spielte ich seine Tore nach und fühlte mich unbesiegbar. Mit sieben ist die eigene Welt noch klein und doch so reich. Auch wenn der Horizont der Gitterzaun des Bolzplatzes ist, sind die Niederlagen und Siege, die man dort erlebt, so tief greifend wie vielleicht nie wieder. Schon ein aufgeschlagenes Knie kann diese Welt in ihren Grundfesten erschüttern, und ein Eis kann sie wieder retten. Und Helden haben es leicht, übermenschlich groß zu wirken.
Wohl jeder hat Helden in seiner Kindheit gehabt. Für die fußballbegeisterten Kinder der Kriegsgeneration war es vielleicht Helmut Rahn, der WM-Torschütze von 1954. Für die Kinder der 50er und 60er Jahre – so wie Michael Tönnies – war es Günter Netzer. Was Netzer für ihn war, war er für mich. Viele Kindheitshelden werden irgendwann vergessen oder verklärt. Die wenigsten treffen ihre Helden tatsächlich und müssen sich mit dem Menschen hinter dem Heldenbild auseinandersetzen. Mir ist es passiert.
Bei unserem ersten Treffen im Sommer 2013 erzähle ich ihm davon und frage ihn: „Wissen Sie eigentlich, was Sie damals angerichtet haben?“
Er zuckt mit den breiten knöchrigen Schultern und grinst verlegen. „Da läuft das Schicksal“, sagt er und fügt entschuldigend hinzu: „Ich habe mich in die Herzen der Fans geschossen.“
Er zockte. Und rauchte. Und soff
Doch so fulminant der 27. August 1991 für Michael Tönnies war, so einmalig war er auch. Es war der späte Höhepunkt einer Karriere, die in der Jugend des FC Schalke 04 begonnen hatte und danach als Odyssee durch die Oberliga zu Ende zu gehen schien. Immer wieder hatten ihm Trainer und Mitspieler bescheinigt, was für ein Talent er habe, doch er unterwarf sich den eigenen Zweifeln – schaffste eh nicht, sagte er sich. Stattdessen lenkte er sich ab und trieb sich in den Kneipen und Spielotheken des Reviers herum. Er zockte, er rauchte und soff.
Vor unserem ersten Treffen im Sommer 2013 habe ich mich gefragt, wie es sein würde, wenn ich ihm endlich begegne, ihm, dem Menschen, der der Held meiner Kindheit war. Ich fragte mich: Kann man zu jemandem aufschauen, der am Boden ist? Kann so einer noch ein Held sein – mit all seinen Schwächen als Mensch?