Rund zwei Jahre lang hat unser Autor den ehemaligen Bundesligaprofi Michael Tönnies begleitet und über dessen bewegtes Leben ein Buch geschrieben. Am 26. Januar 2017 ist Michael Tönnies gestorben.
Er öffnet die Tür – und auf einen Schlag bin ich wieder sieben. Da steht er nun vor mir. Mit weit aufgerissenen Augen schaut er mich an, staunend, etwas verärgert, finde ich. So als sei ich ein lästiger Staubsaugervertreter oder bettelte um Futtergeld für Zirkustiere.
„Hallo, Herr Tönnies“, sage ich und denke: Wahnsinn, der Tönnies!
„Ja, komm’n Sie rein“, sagt er. Ganz freundlich.
Er schoss den MSV zurück in die Bundesliga
Rund zwei Jahre ist das nun her. Wir haben uns zu einem Interview verabredet. Es wird der Auftakt einer ganzen Reihe von Treffen sein, die dazu führen, dass ich schließlich ein Buch über sein bewegtes Leben schreiben werde. Anfangs soll es nur um den MSV Duisburg gehen, der damals nach dem Lizenzentzug vor dem Absturz in den Amateurfußball steht. Die Hoffnung heißt Dritte Liga. Es wäre ein tiefer Fall, aber keine Katastrophe. Denn so tief war der MSV schon einmal Ende der 80er Jahre, als Tönnies nach Duisburg kam. Das ewige Talent und der abgestürzte Traditionsverein – das passte. Mit seinen Toren schoss er den MSV zurück in die Bundesliga. In dieser Zeit, am 27. August 1991, hat mich mein Vater zum ersten Mal ins Wedaustadion mitgenommen. MSV Duisburg gegen den Karlsruher SC.
Mein Vater hat mich nicht zu seinem Lieblingsverein gedrängt. Nur eines hat er mir damals gesagt: dass es viel besser sei, für die Außenseiter zu sein. „Für Bayern kann jeder sein“, sagte er. „Um zu den Kleinen zu halten, muss man stark sein.“ Und weil sie so klein seien, müssten sie den Großen die Siege klauen, so wie Robin Hood. Damit hatte er mich, denn Robin Hood war mein Held. Ein Räuber mit Herz. Einer, der die Reichen beklaute, um die Beute den Armen zu geben. Und diese Duisburger Mannschaft erschien mir wie eine ganze Räuberbande, mit ihren Vokuhila-Frisuren und Schnurrbärten. In ihren blau-weiß-gestreiften Trikots sahen sie aus wie die Legopiraten in meinem Kinderzimmer. Und der Allerkühnste von ihnen war Michael Tönnies. Der Torjäger. Ein Mann mit zwei Spitznamen. „Tornado“, nannten sie ihn oder auch: „Dicker“. Wer ihn jemals spielen sah, weiß, dass das kein Widerspruch war.
Drei Tore gegen einen jungen Keeper namens Kahn
Es war an diesem Augustabend, als das Schicksal es wollte und KSC-Verteidiger Dirk Schuster es zuließ, dass Michael Tönnies das Spiel seines Lebens machte. In fünf Minuten schoss er drei Tore gegen einen jungen, kaum bekannten Torwart namens Oliver Kahn. Drei Tore in fünf Minuten – bis heute ist es der schnellste Hattrick der Bundesligageschichte. Tönnies traf noch zweimal und bereitete einen weiteren Treffer vor. Am Ende gewann der MSV mit 6:2. Der „Dicke“ und seine Bande hatten alles mitgenommen. Die Kleinen hatten gewonnen. Und ich war dabei gewesen. Ich gehörte zu ihnen.