Mesut Özil lädt Erdogan zu seiner Hochzeit ein. Wieder kochen die Gemüter hoch. Die Gewinner sind deutsche Rassisten und türkische Nationalisten.
Dietrich Schulze-Marmeling veröffentlichte im vergangenen Jahr das Buch „Der Fall Özil. Über ein Foto, Rassismus und das deutsche WM-Aus“. An dieser Stelle verfasst er für 11freunde.de einen Gastkommentar.
Er tut es schon wieder! Özil trifft Erdogan! Mesut Özil lädt den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan zu seiner Hochzeit ein. In vielen Kommentaren dazu mischt sich Erleichterung mit Häme, weil es dieses Mal nicht die geringste Zweideutigkeit gibt. Niemand kann dieses Mal behaupten, Özil wisse nicht, was er tue. Die Häme rührt daher, dass seine Hochzeitseinladung angeblich ein Schlag ins Gesicht all jener sei, die ihn gegen den rassistischen Shitstorm in Schutz genommen haben.
Doch stimmt das wirklich? Nein. Es sei denn, man ist der Auffassung, dass Rassismus legitim sei, wenn das Opfer einen Autokraten verehrt. Genauer: einen türkischen Autokraten. Wenn Özil sich als gnadenloser Erdogan-Verehrer entpuppt: Müssen wir dann weiterhin über den rassistischen Shitstorm reden, der rund um die WM tobte? Wir müssen.
Özil wurde virtuell ausgebürgert
Ein Rückblick: Die Aversionen gegen Özil waren schon 2017 zu beobachten, als deutsche Fans bei einem Länderspiel riefen: „Ausländer raus! Özil abschieben!“ Während der WM 2018 erklärte der in Sachen Fußball strunzdoofe rechtspopulistische Journalist Claus Strunz im Sat.1‑Frühstücksfernsehen den Jogginghosen: „Mesut Özil gehört nicht zu Deutschland!“ Werner Steer, Leiter des Deutschen Theaters in München sowie Sprecher des deutschen Stammtisches, forderte Özil auf: „Verpiss dich nach Anatolien!“ Ein SPD-Politiker bezeichnete Özil und Gündogan als nicht-deutsche „Ziegenficker“. Und muslimische Ziegenfickerei gehört nun mal nicht zu Deutschland – anders als der Kindsmissbrauch in katholischer Kirche und Sportverein.
Der Sporthistoriker Diethelm Blecking konstatierte, man habe Özil und Gündogan „virtuell ausgebürgert“. Wenn Özil Erdogan nun zu seiner Hochzeit einlädt, dann tut er nur das, was sich viele der deutschen Özil-Kritiker insgeheim wünschen. Denn das eigentliche „Verbrechen“ von Özil und Gündogan bestand in ihren Augen darin, dass sich die Spieler seinerzeit für die deutsche Nationalelf entschieden. So manchem Fan wäre es lieber gewesen, Gündogan und Özil hätten das rote Trikot der Türkei übergezogen. So wäre der Türke ein Türke geblieben. Und die Welt einfach und überschaubar.
Für diese These spricht auch, dass der dritte Spieler auf dem Foto vom Treffen mit Erdogan in London, Cenk Tosun, in der Debatte keine Rolle spielt. Tosun, der beim FC Everton unter Vertrag steht, wurde im hessischen Wetzlar geboren. Der Stürmer durchlief sämtliche Nachwuchsteams des DFB, von der U16 bis zur U21, entschied sich aber anschließend für die türkische A‑Elf. Was ihm den Vorwurf des Hochverrats offenbar ersparte.