Er macht sich kritische Gedanken über die Zukunft des Fußballs, verbringt seinen Urlaub in Zwei-Sterne-Hotels und trägt keine Tattoos. Ein Anti-Star ist Julian Brandt trotzdem nicht. Wir haben mit ihm gesprochen.
Dieses Interview erschien erstmals in Ausgabe #224 im Juni 2020. Hier lest ihr es zum ersten Mal online. Das komplette Heft ist im Shop erhältlich.
Julian Brandt, was vermissen Sie gerade am meisten?
Einfach mal rauszugehen und mich mit Freunden in ein Café zu setzen. Ein bisschen frei zu sein. Aber da geht es mir wohl wie den meisten Menschen.
Aber die Unterbrechung wegen der Corona-Pandemie hat Ihnen offenbar gutgetan. Beim 4:0 gegen Schalke waren Sie an allen vier Toren beteiligt.
Auf die Pause hätte ich trotzdem liebend gern verzichtet. Es ist doch so: Mal braucht man nur ein paar Tage, um irgendwo anzukommen, mal dauert es einige Monate. Wichtig ist, dass ich mich wohl fühle in einer Stadt, im Verein, mit meinen Mitspielern. Ich bin ein Wohlfühlfußballer.
Wie war es zu Beginn beim BVB?
Es war jedenfalls kein Feuerwerk ab Spieltag eins. Aber ehrlich, ich hatte schon damit gerechnet, dass ich etwas Zeit brauche. Nach fünfeinhalb Jahren bei Bayer Leverkusen ist das normal, finde ich. Es war eine tolle Zeit, aber am Ende war es auch eine Komfortzone für mich. Ich bin zum BVB gewechselt, weil ich was Neues wagen wollte.
Und weil Marco Reus Sie gefragt hat.
Einige Leute waren dafür, dass ich nach Dortmund gehe. Selbst meine Mutter hat erstaunlich oft einen gelben Pullover getragen, als der Wechsel im Gespräch war. Und Marco hat mich bei der Nationalelf gefragt, das stimmt. Es hat mich geehrt, aber der Hauptgrund für den Wechsel war, dass ich darin eine Chance gesehen habe, in einem Team zu spielen, das jedes Jahr bis zum Ende der Saison um den Titel mitspielt und damit auch regelmäßig in der Champions League vertreten ist.
Was ist in Dortmund noch anders als in Leverkusen?
Dortmund ist in nahezu allen Dingen schlichtweg größer. Allein dieses Stadion ist enorm, und es wird noch viel imposanter mit den Leuten darin. Denn so ein Stadion zu bauen und irgendwo hinzustellen, das ist das eine. Es so zu beleben wie in Dortmund, ist die Kunst. Das findet man selten in Europa. Leverkusen dagegen, da kann ich ehrlich sein, hatte ich als Junge nie so auf dem Schirm. Aber es ist der perfekte Verein, um sich als junger Spieler zu entwickeln. Das ahnte ich schon, als mich Rudi Völler zum ersten Mal besucht hat.
„Rudi Völler hat ehrliche Augen“, sollen Sie nach dem Gespräch zu Ihrem Vater gesagt haben.
Er hat eine aufrichtige Art, ich hätte ihm in diesem Gespräch alles geglaubt. Und seine Versprechen wurden ja auch wahr. Wir spielten attraktiven und erfolgreichen Fußball. Dazu hast du als junger Spieler nicht so einen krassen Druck von außen, die Medienlandschaft zum Beispiel ist in Leverkusen überschaubarer als an manch anderem Standort.
Fehlen Ihnen eigentlich die Fans im Westfalenstadion?
Ich war nie so der Typ, der während des Spiels viel von den Rängen wahrnimmt. Aber beim Spiel gegen Inter Mailand, als wir nach der Pause auf die Süd zugespielt und ein 0:2 in ein 3:2 gedreht haben, da habe ich gemerkt, wie wichtig den Leuten hier der Fußball ist und wie viel sie uns zu geben bereit sind. Das war so ehrlich, authentisch und direkt. Eines der schönsten Spiele bislang.
Zuvor hatte Sie Michael Rummenigge als „C‑Jugend-Spieler“ betitelt. War das Spiel gegen Inter, bei dem Sie auch ein Tor machten, ein Schlüsselmoment?
Jeder darf seine Meinung kundtun, das ist völlig okay. Ich bin jedenfalls niemand, der darauf anspringt. Und ich war ja auch nicht so richtig zufrieden mit meinem Spiel. Vermutlich war der Wendepunkt schon der 2:1‑Sieg im Pokal gegen Gladbach ein paar Tage vorher. Nicht nur, weil ich beide Tore geschossen habe, sondern weil ich zum ersten Mal auf der Zehn spielen durfte. Danach wurde mein Spiel konstanter.