Die 11FREUNDE-Dienstagskolumne: Jeden Dienstag machen sich Lucas Vogelsang, Titus Chalk und Frank Baade im Wechsel Gedanken über den Fußball, die Bundesliga und was sonst noch so passiert. Wenn unser heutiger Kolumnist Frank Baade nicht gerade für uns malocht, schreibt er auf seiner Webseite über den Fußballgott und dessen irrationales Wirken in den Bundesligen, bei den Welt- und Europameisterschaften dieser Fußballwelt.
Sein Name war nicht bekannt, seine Visage hingegen schon. Für diesen Zweck hier soll er aber einen Namen bekommen: „Klaus“, der immer zwei Ränge weiter oben stand, hatte das Spiel begriffen. Ob es nun 0:2 stand oder 2:0. Was man hätte besser machen können, das wusste er jederzeit, unabhängig vom Spielstand. „Spielt mehr über außen, wir müssen mehr über außen kommen“, lautete sein Credo. Unerschütterlich über all die Jahre hinweg.
Dass dieses Credo zutreffend war, daran gab es keinen Zweifel. Denn zu überprüfen waren seine Aussagen ja ohnehin nie. Entweder fehlte im Strafraum der Vollstrecker oder es fehlte das Über-Außen-Spielen, um ihn zu widerlegen.
Hätte man mehr über Außen gespielt, natürlich hätte man den Gegner vernichtend aus dem Stadion geschlagen. Das glaubt Klaus nicht erst, seit man ihn im Stadion kennengelernt hatte, sondern auch das Vierteljahrhundert davor schon, also seit er überhaupt ins Stadion geht.
Für die umstehenden Ohren wäre es eine willkommene Erleichterung gewesen, wenn er einmal Recht gehabt hätte. Für ihn selbst wohl ein fürchterliches Eintreten jenes Sprichworts, das davon handelt, was man seinem schlimmsten Feinde wünscht: Dass sich all seine Wünsche erfüllen mögen.
Doch Klaus ist immer noch da. Und viele andere, die von der „Mehr-über-Außen“-These völlig überzeugt sind. Man hat es irgendwann aufgegeben, mit Realitäten zu argumentieren.
Seit dieser Saison aber wird alles noch viel schlimmer. Denn kleine, gemeine, auf von Stadiontrollen geplagte Menschen keine Rücksicht nehmende Firmen haben beschlossen, ihre detaillierten Lauf‑, Schweiß- und Tränendaten von allen Spielern der Bundesliga öffentlich einsehbar zu machen.
Für die Protagonisten selbst stellt das kein Problem dar. Am letzten Spieltag soll der lauffaulste Spieler der gesamten Bundesliga Lukas Podolski gewesen sein. Von dessen Einsatz in der Nationalmannschaft hielt das Jogi Löw gestern dennoch nicht ab.
Die Mannschaf t war nur 21,88564307 km/h schnell
Bei jenen um die vermeintlichen Experten Herumstehenden oder ‑lebenden hingegen wächst sich das zu einem größeren Problem aus. Denn jetzt wissen die Klaus’se dieser Stadionwelten alles noch besser. Spieler C ist 200 Meter weniger als der andere gelaufen, natürlich ist das Grund genug, ihn zu verteufeln. Die gesamte Mannschaft, im Durchschnitt nur 21,88564307 Kilometer pro Stunde schnell — das konnte ja nichts werden.
Wäre Verteidiger Z an jener Stelle doch nur 2,74 Stundenkilometer schneller gesprintet, dann hätte das alles nicht sein müssen. Die Niederlage nicht. Nicht die frustrierende Rückfahrt mit der U‑Bahn, nicht die anschließende unbedeutende Auseinandersetzung mit dem fußballuninteressierten Taxifahrer wegen der paar fehlenden Cent und schon gar nicht die Nacht in der Ausnüchterungszelle.
Mehr Stundenkilometer pro Eintrittseuro
Wieder daheim, in seiner Stammkneipe oder beim nächsten Mal im Stadion, wird der „Mehr-über-Außen“-Troll seinem Umfeld von nun an allerdings sehr deutlich klarmachen, was die Ursache für den ausbleibenden sportlichen Erfolg war. Denn er verfügt seit dieser Saison über alle und noch viel mehr der nötigen Daten: In Minute 18 hätte die Sprintlinie von Verteidiger P rot sein müssen, nicht hellgrün. Selbst der Torwart lief einmal zu langsam zum Einwurf, ganz klar zu erkennen an der Farbe seiner big-brother’schen-Bewegungslinie.
„Mehr-über-Außen“ ist seit dieser Saison als Troll-Motto eigentlich passé. Denn jetzt hat der Troll viel bessere Waffen in der Hand als ein plattes „mehr über Außen“. Jetzt heißt es für die Spieler, mehr Kilometer insgesamt, mehr Stundenkilometer pro Eintrittseuro und vor allem in noch roterer Farbe zu sprinten, als sie es je zuvor gekonnt hatten.
Doch so sehr Klaus es sich auch wünscht, bei all der schwindelerregenden Datenflut — an einem hat sich nichts geändert: Weit entfernt davon, das Spiel zu verstehen, sind seine Tiraden wie zuvor.