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Nicole Billa, haben Sie nach dem Sieg im zweiten Grup­pen­spiel gegen Nord­ir­land Glück­wün­sche aus dem Kin­der­garten erreicht?
(Lacht).
Ich war in letzter Zeit leider nicht so oft vor Ort. Vor zwei Jahren habe ich meine Aus­bil­dung als Päd­agogin abge­schlossen und arbeite seitdem in einem Kin­der­garten in der Hof­fen­heimer Region. Aber da wir wäh­rend der letzten Saison mit der TSG in der Cham­pions League gespielt haben und kurz nach Sai­son­ende schon die Vor­be­rei­tung auf die EM ange­fangen hat, hatte ich dafür weniger Zeit als sonst. Aber die Kinder wissen natür­lich, dass ich Fuß­ball spiele. Sie ver­stehen nur noch nicht so ganz, warum ich oft ein blaues und manchmal ein rotes Trikot anhabe. Den Unter­schied zwi­schen Verein und Natio­nal­mann­schaft ver­stehen sie noch nicht. Aber ja, ich bekomme hin und wieder Videos oder Fotos von den Kin­dern geschickt, auch zur­zeit. Und das freut mich jedes Mal.

Wel­ches Fazit ziehen Sie selbst nach den ersten zwei Grup­pen­spielen?
Unser Ziel war von Anfang an, dass wir beim letzten Grup­pen­spieltag gegen Nor­wegen ein End­spiel ums Wei­ter­kommen haben. Und dieses Etap­pen­ziel haben wir mit dem Sieg gegen Nord­ir­land erreicht, wir sind also noch mit­ten­drin im Rennen. Dass wir beim Tur­nier­auf­takt gegen Eng­land im Old Traf­ford keine Punkte geholt haben, dafür müssen wir uns sicher­lich nicht schämen.

Nicole Billa (26) spielt seit 2015 für die TSG Hof­fen­heim. In 120 Bun­des­li­ga­spielen traf sie bereits 68 Mal. 2021 wurde die Stür­merin zu Deutsch­lands Fuß­bal­lerin des Jahres aus­ge­zeichnet. Bei Öster­reichs erster WM-Teil­nahme 2017 schaffte es das Team direkt ins Halb­fi­nale.

Wie haben Sie das Spiel im Old Traf­ford vor rund 70.000 Zuschauern erlebt?
Wir haben uns mental natür­lich darauf ein­ge­stellt, dass das kein nor­males Spiel wird. Dass da richtig, richtig viele Leute kommen werden. Wir waren schon einen Tag zuvor beim Abschluss­trai­ning im Sta­dion und haben es auf uns wirken lassen. Es war ein sehr cooles Gefühl, dieses Sta­dion für sich zu haben, auf die leeren Ränge zu schauen. Natür­lich ist jedem bewusst, welche Geschichte das Old Traf­ford hat, was für Spiele dort schon gespielt wurden. Am Spieltag haben wir schon bei der Anfahrt im Bus die laute Musik von der Fan-Party gehört. Wir haben all die Leute gesehen, die dort gefeiert haben, die zum Sta­dion geströmt sind. Allein das war richtig cool. Es war schon ein ein­zig­ar­tiges Erlebnis, bevor wir über­haupt in der Kabine ange­kommen sind. Dann standen wir vor dem Anpfiff im Spie­ler­tunnel und haben den Nebel von der Eröff­nungs­feier gesehen, der noch über dem Rasen lag. Dazu dieses Grund­rau­schen, die Span­nung, die dort im Sta­dion herrschte und dann der Blick, als wir aus dem Tunnel raus auf den Rasen sind. Das war ein Gefühl, das ich kaum mit irgend­etwas anderem ver­glei­chen kann. Das war Wahn­sinn. Man muss sich ein­fach freuen, wenn man Teil von so einem Erlebnis seien darf. Egal ob im Publikum oder als Spie­lerin.

Wie stand es um Ihre Ner­vo­sität?
Ich war eigent­lich gar nicht nervös. Das bin ich aber auch nie. Ich habe mich vor allem gefreut. Aber natür­lich war es auf dem Rasen sehr spe­ziell: Wenn du da vor 70.000 Leuten spielst, hörst du die Mit­spie­lerin links und rechts gar nicht mehr. Keine Chance. Reden brauchst du da gar nicht erst. Wir mussten dann mit Gestik und Mimik arbeiten, um uns irgendwie zu ver­stän­digen. Aber ich habe es wirk­lich genießen können, mit meinem Team in diesem Sta­dion spielen zu dürfen.

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Nicole Billa beim Auf­takt­spiel gegen Eng­land im Old Traf­ford

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Wenn das Gefühl vor­herrscht, dass wir diesen Sieg jetzt ein­fach aus­ge­lassen feiern wollen, dann gibt es die Erlaubnis dazu. Hier soll jede so sein wie sie ist und sich aus­leben dürfen.“

Gegen Nord­ir­land hat es dann mit einem Sieg geklappt. Und den haben Sie als Team­or­dent­lich gefeiert. Sie haben die Pres­se­kon­fe­renz Ihrer Trai­nerin Irene Fuhr­mann gecrasht, in Live­streams bei Insta­gram gab es Ein­blicke in die wilde Kabi­nen­party. Manch einer hat sich gewun­dert, da es ja nur“ um einen Sieg in der Grup­pen­phase ging.
Wer uns kennt und bei der EM 2017 ver­folgt hat, weiß, dass wir eine unheim­lich har­mo­ni­sche Truppe sind, bei der der Spaß und die Emo­tionen im Vor­der­grund stehen. In der sich nie­mand ver­ste­cken muss. Und wenn gerade das Gefühl vor­herrscht, dass wir diesen Sieg jetzt ein­fach aus­ge­lassen feiern wollen, dann gibt es die Erlaubnis dazu. Hier soll jede so sein wie sie ist und sich aus­leben dürfen. Für uns Öster­rei­che­rinnen ist es immer noch etwas beson­deres, bei einer EM dabei zu sein. Dass sind wir ja erst zum zweiten Mal. Das darf man nicht ver­gessen. Uns kennt man noch nicht so lange auf dieser Bühne. Wir genießen es, dass wir dabei sein dürfen – und da wird jeder Sieg ent­spre­chend gefeiert.

2017 schafften Sie es über­ra­schend bis ins Halb­fi­nale, dort war dann gegen die spä­teren Sie­ge­rinnen aus den Nie­der­landen Schluss. Was hat sich seitdem getan?
Wir wussten vor dem aktu­ellen Tur­nier viel besser, was auf uns zukommt, wie groß der Rummel ist und was von uns erwartet wird. Wobei ich sagen muss, dass hier in Eng­land deut­lich mehr Zuschauer sind als damals in den Nie­der­landen. Man spürt, dass sich Eng­land sehr aktiv darum bemüht, dass die Sta­dien gut gefüllt sind. Bei unseren Spielen auch mit öster­rei­chi­schen Fans, was für uns super ist. Ansonsten hat sich unsere Natio­nal­mann­schaft weiter pro­fes­sio­na­li­siert, unser Betreu­er­team ist größer geworden, die Bedin­gungen sind noch bes­sere. Aber trotzdem sind wir im Kern immer noch ein har­mo­ni­scher Haufen, in dem es viele Freund­schaften und viel Ver­trauen gibt. Und das ist das Wich­tigste.

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Gegen Nor­wegen spielen Sie nun um den Vier­tel­fi­nal­einzug. Und das, nachdem die Skan­di­na­vie­rinnen mit 0:8 von den Eng­län­de­rinnen ein­ge­packt worden sind. Ver­än­dert dass die Vor­zei­chen dieser Partie?
Das beschäf­tigt uns ehr­lich gesagt nicht. Im Gegen­teil: Ich glaube, jeder kann sich vor­stellen, dass man als Spie­lerin nach einer 0:8‑Klatsche umso gewillter ist, es im nächsten Spiel wieder besser zu machen. Auf eine solche Trotz­re­ak­tionen bereiten wir uns vor. Denn wenn ich von mir aus­gehe, weiß ich, mit wel­cher Wut ich nach einer sol­chen Klat­sche wieder auf den Rasen gehen würde. Bei den Nor­we­ge­rinnen dürfte es nicht anders sein. Wir wissen natür­lich, wie stark diese Mann­schaft ist und über wie viele her­vor­ra­gende Ein­zel­spie­le­rinnen sie ver­fügt. Unser Ziel muss es sein, dass wir wieder als Kol­lektiv auf dem Platz stehen und zeigen, dass wir als geschlos­sene Mann­schaft auch gegen solche Gegner bestehen können.

Bis zum Alter von 16 Jahren waren Sie auch als Kick­bo­xerin aktiv. Je dreimal gewannen Sie die Junio­re­n­eu­ropa- und Welt­meis­ter­schaft. Und hörten dann auf, weil Sie auf der Suche nach einer neuen Her­aus­for­de­rung waren. Was müsste denn im Fuß­ball pas­sieren, dass Sie sagen: Damit bin ich jetzt durch“?
Es gibt ja einen großen Unter­schied: Kick­boxen ist ein Ein­zel­sport, da pas­siert ein­fach nicht immer so viel. Da gibt es nicht so viele ver­schie­dene Fak­toren wie beim Fuß­ball. Man fährt zum Tur­nier, bereitet sich auf den Kampf vor, wärmt sich auf und geht auf die Matte. Beim Fuß­ball ist das Ganze natür­lich sehr viel größer. Da gibt es viel mehr Men­schen, mit denen man viel mehr teilen und gemeinsam etwas erleben kann. Im Fuß­ball ist die Her­aus­for­de­rung, immer weiter und höher hinaus zu kommen. Es gibt viel mehr Mög­lich­keiten, weil ich als Fuß­bal­lerin immer noch mal zu einem anderen, grö­ßeren Verein gehen und etwas Neues erleben könnte. In diesem Sport werde ich ganz anders gefor­dert. Ich glaube nicht, dass es da bald den Punkt gibt, an dem ich sage: Jetzt brauche ich eine ganze neue Chall­enge. Dafür gibt es noch zu viel zu erleben. Wie eine solche EM samt einem Spiel im Old Traf­ford.