Yuryi Vernydub gewann mit Sheriff Tiraspol gegen Real Madrid. Jetzt zieht der Trainer in den Krieg. Seinem Arbeitgeber könnte das aus mehreren Gründen nicht gefallen.
Yuryi Vernydub steht am Spielfeldrand des Estádio Braga im Norden Portugals und blickt auf das imposante Felsmassiv, das das Stadion auf einer Seite abschließt. Da steht seine Entscheidung vielleicht schon fest. Seine Elf muss an diesem Tag in der Europa League die Segel streichen, scheidet nach Elfmeterschießen gegen Braga aus. Das war am letzten Donnerstagabend. Wenige Stunden zuvor an jenem Morgen waren Putins Truppen in die Ukraine einmarschiert. In Vernydubs Heimatland.
Genau eine Woche später zeigt ihn ein Bild mit zwei weiteren Soldaten. Vernydub steht in der Mitte und zeigt, wie der Soldat auf der linken Seite, das Peace-Zeichen, während der Soldat auf der rechten Seite lässig den Daumen reckt. Im Hintergrund ein Parkplatz, der Himmel grau. Das ukrainische Sportmedium „Zorya Londonsk“ hatte das Bild auf Twitter veröffentlicht. Vernydub hatte sich kurz zuvor entschieden, in den Krieg zu ziehen und den Fußball für den Moment hinter sich zu lassen. Aus dem Kriegsgebiet grüßte der Trainer, der sich spätestens durch den 2:1‑Erfolg gegen Real Madrid in der Gruppenphase der Champions League einen Namen gemacht hatte.
Vernydub hat den ukrainischen Medien seine Motivation erklärt. „Alles wird gut, wir sind unbesiegbar. Ich weiß nicht, wann wir an die Front gehen und wohin. Aber ich bin bereit, das Land zu verteidigen“, ließ er verlauten und führte fort: „In Saporoschje habe ich gesehen, wie viele Menschen die Ukraine verlassen. Es ist eine Katastrophe. Ich habe beschlossen, nicht in Panik zu geraten und ich werde für meine Familie kämpfen.“
In seinem Heimatland ist er jetzt ein Held. Er – ganz alleine – habe erst Real Madrid im Herbst besiegt, nun sei er „auch bei der Territorialverteidigung dabei“, titelte „Zorya Londonsk“. Dabei ist Vernydub ein Grenzgänger. Als Spieler hat er nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Ukraine und Russland gespielt. Der Ukrainer hat in der Saison 1993/1994 sieben Partien als Verteidiger für den Chemnitzer FC bestritten. Zudem war er sowohl für Dnipr Dnipropetrovsk und Zenit St. Petersburg aktiv.
Seit 2001 trainierte Vernydub erst den ukrainischen Erstligisten Metallurg Saporoschje, dann FC Zorya Luhansk, um über den weißrussischen Verein Schachtior Soligorsk bei Sheriff Tiraspol in Moldawien zu landen. Einer seiner größten Erfolge: Nach zwei Spieltagen in der Champions League steht sein Team vor Real Madrid und Schachtior Donezk auf Platz eins der Gruppe D. Das war im September letzten Jahres, doch mittlerweile scheint das Jahrzehnte her zu sein.
Auf einer Pressekonferenz vor dem ersten Aufeinandertreffen mit Inter Mailand sagte er noch: „Der Enthusiasmus, der sich durch das Madrid-Spiel entwickelt hat, täuscht. Ich habe Angst vor zu viel Medienaufmerksamkeit. Wir wollen im Schatten bleiben. Inter spielt ganz anders als Real und Schachtior. Es wird sehr hart für uns.“ Recht hatte er. Beide Spiele gegen die Italiener gingen mit 3:1 verloren. Übrig blieb der dritte Platz und die Qualifikation für die Europa League. Immerhin. Für einen Verein, der sich in seiner 24-jährigen Erstligahistorie das erste Mal für die Champions League qualifiziert hatte: Auf den ersten Blick ein Wunder. Auf den zweiten, eher nicht.
Vernydub gegen Russland. Das ist paradox. Denn Tiraspol, der Ort seines Schaffens, liegt in Transnistrien, einer Region Moldawiens, die abtrünnig ist. Sie hat ihre eigene Währung, ihr eigenes Militär und eine eigene Verwaltung. Russland agiert im Hintergrund als Schutzmacht, der Konzern „Sheriff“ ist eine Art Staatsunternehmen und kontrolliert wohl über die Hälfte der Wirtschaft. Das Unternehmen soll von Korruption durchzogen sein. In den letzten 19 Jahren ging die moldawische Meisterschaft 17 Mal an Sheriff. Das erstaunt wenig, fördert das Unternehmen, das auch über die Politik Transnistriens bestimmt, den Fußball jedes Jahr mit Millionenbeiträgen.
Es ist also fraglich, ob Vernydub nach seiner Entscheidung, für die Ukraine gegen Russland in den Krieg zu ziehen, noch eine berufliche Zukunft bei seinem aktuellen Klub hat. Seine Einstellung gegenüber Putin hat er in einem Statement deutlich gemacht: „Putin wird niemals Herrscher der Welt werden. Er ist eine Kopie von Adolf Hitler und seine Propaganda sieht aus wie die von Goebbels“, sagte er. Vernydub ist übrigens nicht der einzige prominente ukrainische Sportstar, der sich kriegsbereit zeigt.
Auch die Klitschkos haben beteuert, vor Ort kämpfen zu wollen. Der ehemalige Profiboxer Vitali Klitschko ist Bürgermeister der Hauptstadt Kiew. Tennis-Profi Sergej Stachowski, der bei den Australian Open vor zwei Wochen erst noch sein letztes Match spielte, verabschiedete sich „hin- und hergerissen“ von seinem dreijährigen Sohn, um in den Krieg zu ziehen. Ein ukrainischer Nachwuchs-Biathlet namens Yevhen Malyshev kam erst kürzlich im Krieg ums Leben. Oleksandr Usyk, Box-Weltmeister der WBA, WBO und IBF in der Schwergewichtsklasse, stellte sich der ukrainischen Armee zur Verfügung. An einer Hand lassen sich die Sportler, die an die Front gezogen sind, nicht mehr abzählen. Und die Zahl wächst.
Yuryi Vernydub, dessen Geschichte in den letzten zwei Tagen auf den sozialen Medienkanälen viral gegangen ist, erhielt auch von eigenen Spielern Anteilnahme. So twitterte der peruanische Verteidiger Gustavo Dulanto Sanguinetti: „Möge Gott meinen Yuryi beschützen, der in die Ukraine gegangen ist.“ Der Coach hatte „Zorya Londonsk“ noch am 1. März gesagt: „Ich habe mein Leben gelebt. Mein Team spielt heute, aber sie wissen, dass ich nicht dabei sein werde. Ich gehöre jetzt zur Armee.“ Ohne ihn gewann Tiraspol vor zwei Tagen 1:0.