Fußball im KZ? In fast allen Konzentrationslagern der Nazis gab es organisierten Sport. Der Österreicher Ferdinand Hackl war einer der wenigen, die im KZ Dachau gegen den Ball traten. Über eine Ambivalenz zwischen unvorstellbarem Grauen und der Freude am Kicken.
Denn ab 1942 wandelte sich die Funktion der Konzentrationslager für die Nazis. Die Häftlinge arbeiteten dann für die Rüstungsindustrie für den ins Stocken geratenen Krieg an der Ostfront. Und um die Arbeitsmoral zu stärken, durften die Gefangenen Sport ausüben. So finden sich in Berichten aus nahezu allen Lagern Hinweise auf organisierten Fußball. „Es bildeten sich mehrere Mannschaften, die auf dem Platz hinter der letzten Blockreihe zu üben und zu Wettspielen anzutreten pflegten“, schrieb der Publizist Eugen Kogon in seinem Werk „Der SS-Staat“ über das KZ Buchenwald. Zeitweise habe es dort zwölf Mannschaften gegeben. Meistens traten entweder Arbeitskommandos oder Nationalitäten gegeneinander an.
Die Polen seien so etwas wie der „Angstgegner“ der deutschen Häftlinge gewesen, schreibt der Publizist und Politikwissenschaftler Wolf Oschlies in einem Beitrag über Sport in Auschwitz. „Die SS schaute den Spielen interessiert zu, bedrohte aber gelegentlich den polnischen Tormann, wenn dieser bei Spielen gegen die ‚deutschen‘ Mannschaften allzu gut hielt“, so Oschlies. Eine ähnliche Erinnerung hat auch der ehemalige österreichische Profi Igor Fischer, der Theresienstadt und Auschwitz überlebte und zum Teil sogar auf dem Platz SS-Leuten gegenüberstand. „Der Gegner da auf dem Platz war ein ganz spezieller. Er konnte dich auch umbringen. Nicht gleich am Fußballplatz, aber später.“
In Theresienstadt gab es sogar einen Ligabetrieb. In der „Liga Terezin“ trafen beispielsweise Häftlinge aus dem Arbeitskommando in der Kleiderkammer auf ihresgleichen, die in der Küche zu arbeiten hatten. Der Propagandafilm „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ aus dem Jahr 1944 zeigt Fußballspiele zweier Mannschaften mit je sieben Spielern. In diesen Szenen bejubeln Hunderte von Zuschauern die Akteure auf dem kleinen Feld. Der Regisseur Kurt Gerron habe zwar versucht, „den jüdischen Häftlingen so etwas wie eine Würde zu geben“, sagt Historikerin Springmann. „Aber es ist und bleibt ein Propagandafilm, in dem die Szenen gestellt sind, auch wenn sie so oder so ähnlich stattgefunden haben.“
Für die Organisation des Fußballs in Dachau war der damalige Schutzhaftlagerführer Michael Redwitz zuständig. Einmal sogar wollte Redwitz die Häftlinge für Schauspiele aus dem KZ holen und beauftragte die Blockältesten mit der Zusammenstellung des Kaders. Einer der Ausgewählten war Ferdinand Hackl, dem besonders ein Detail in Erinnerung blieb. Im September 1943 wurde ihm ein Zettel überreicht, auf dem er „nicht mit dem üblichen Du, sondern mit Sie angesprochen wurde“. Später erinnerte sich der Österreicher, dass dies das einzige Sie gewesen sei, das er je von der SS zu hören bekam. Zu dem Spiel kam es allerdings nie, Redwitz’ Vorschlag wurde wohl vom Reichssportführer abgelehnt.
Schutzhaftlagerführer Redwitz, der nach Hackls Bericht Häftlinge auf Transport schickte, der schlimme Strafen wegen kleiner Vergehen verhängte und der selbst auch als Schläger auftrat, war häufig auch als Zuschauer bei den Spielen an den freien Sonntagen anwesend. Demnach soll er zwischen den zuschauenden Häftlingen, die zumindest für einige Stunden abgelenkt waren, auf einem Stuhl Platz genommen haben. Hackl konnte während der Spiele seinen Hunger und sein Leid für kurze Zeit ausblenden. „Selbst der üble Geruch von verbranntem Fleisch, den der Wind vom nahegelegenen Krematorium herbeitrug, wurde, wenn er nicht zu arg war, während der Fußballspiele weniger beachtet“, schreibt er in seinem Bericht.
Diese Ambivalenz zwischen den Gräueltaten in Konzentrationslagern und der Ausgelassenheit während eines Fußballspiels findet sich in mehreren Erzählungen von Häftlingen wieder. Der norwegische Architekt und spätere UNICEF-Mitbegründer Odd Nansen schrieb in sein Tagebuch aus dem KZ Sachsenhausen: „Während der Fußballkampf am schlimmsten tobte, kamen zwei Gefangene, die eine Leiche auf einer Bahre trugen. Sie setzten die Leiche hin, zündeten ihre Stummel an und begannen, dem Kampf zu folgen. Als der spannende Augenblick vorbei war, gingen sie zur Leiche zurück und setzten den Transport zum Leichenhaus fort, während von sämtlichen Lautsprechern lustige Operettenmusik ertönte.“