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Seite 3: Die verpasste Chance gegen betrunkene Bremer

Auch Steins Ver­hältnis zu Dra­go­slav Ste­pa­novic war zwie­spältig. Schon am Tag seiner Amts­über­nahme am Rie­der­wald hatte der Serbe ein Macht­spiel mit zwei Füh­rungs­spie­lern begonnen. Heinz Gründel erin­nert sich: Einer der ersten Sätze, die Herr Ste­pa­novic sprach, lau­tete: ›Weiß ich genau, dass alle Angst haben vor Stein und Gründel.‹“ Zum Antreiber im Tor gab es für Stepi keine Alter­na­tiven, doch Gründel wurde nach der Win­ter­pause zeit­weise auf die Tri­büne ver­bannt. Der schöne Heinz“ hatte sich nur bedingt begeis­tert vom Vor­schlag des Trai­ners gezeigt, fortan als Was­ser­träger für Andreas Möller zu fun­gieren.

Trotz des Ärgers hielten sich die Flur­schäden in Grenzen. Nach der Hin­runde war Ein­tracht Tabel­len­führer. Bei den Bayern hatten sie mit einem 3:3 gran­dios auf­ge­trumpft. Mit einem 3:6 in Duis­burg bewiesen sie, dass es mög­lich ist, mit neun Angrei­fern ein Spiel zu gewinnen. Der 2:1‑Sieg in Stutt­gart, als es den Hessen gelang, einen 0:1‑Rückstand beim schwä­bi­schen Meis­ter­schafts­aspi­ranten zu drehen, gilt für viele bis heute als das beste Spiel dieser Saison.

Im Winter kam die Diva raus

Doch im Winter kam die Diva raus“, sagt Man­fred Binz. Andreas Möller koket­tierte öffent­lich mit einem Wechsel nach Ita­lien. Manager Gerster wurde wegen diverser Inter­es­sen­kol­li­sionen vom Klub beur­laubt. Möller hatte sich ver­pflichtet, bis 1993 in Frank­furt zu bleiben, andern­falls musste er sich für fünf Mil­lionen Mark aus dem Ver­trag her­aus­kaufen. Doch erst hieß es, Juventus wolle von seiner Kauf­op­tion Gebrauch machen, dann, Ata­lanta Ber­gamo habe Juve die Option abge­kauft. Dann wieder bekräf­tigte Möller, es sei ihm eine mora­li­sche Ver­pflich­tung, für Frank­furt zu spielen.“ Es blickte kaum noch einer durch, sogar die FIFA wurde ange­rufen und nannte Klaus Gerster zeit­weise eine uner­wünschte Person“. Axel Kruse äußerte zur Causa Möller: Der muss doch erst mal in seine Lügen­fibel schauen.“ Uli Stein ließ über seinen Anwalt einen Beschwer­de­brief an die Klub­füh­rung schi­cken. Der Kern­satz lau­tete: Inner­halb des Klubs laufen Dinge, die mit Profi­fußball nichts mehr zu tun haben.“

Die Mann­schaft zer­fiel in Lager: Da waren die Gerster-Boys“; die neu­trale Mitte mit umgäng­li­chen Spie­lern wie Uwe Bin­de­wald, Ralf Fal­ken­mayer, Uwe Bein und Anthony Yeboah. Dra­go­slav Ste­pa­novic sprach von Heinz Gründel, Axel Kruse, Stefan Studer und Lothar Sippel bald nur noch als den Rebellen“. Bei einem von ihm ange­ord­neten Spa­zier­gang um einen Enten­teich mar­schierten sie demons­trativ in ent­ge­gen­ge­setzter Rich­tung zum Rest der Mann­schaft. Uli Stein sym­pa­thi­sierte mit den Außen­sei­tern, spielte aber mit seiner radi­kalen Hal­tung gegen­über dem gecken­haften Trainer und den zau­dernden Funk­tio­nären in einer eigenen Liga. Stepi erkor die Not kur­zer­hand zur Tugend und zemen­tierte das Image von der Frank­furter Zwie­tracht: Kein Pro­blem. Montag und Dienstag haben wir Theater, am Wochen­ende spielen wir dann gut. Viel­leicht sollte ich noch zwei Spieler holen, damit Mitt­woch und Don­nerstag auch Theater ist – dann sind wir sams­tags noch besser.“

Die Rebellen ließen sich die Laune davon nicht ver­ha­geln. Selbst nach Nie­der­lagen trafen sie sich zum Vor­glühen in der Trat­toria bei Rocco in Sach­sen­hausen, anschlie­ßend ging es zum Abhotten in die Mühl­heimer Disco Lemon“ im Frank­furter Osten. Und wenn dort die Lichter aus­gingen, zogen sie in die nahe­ge­le­gene Woh­nung von Lothar Sippel. Heinz Gründel: Lothar war ein biss­chen pin­gelig, wir mussten vor der Tür die Schuhe aus­ziehen.“ Die weiße Aus­le­ge­ware sollte schließ­lich nicht leiden. Einer drückte irgend­wann mal die Sohlen in den Schmutz – und hin­ter­ließ an der Tapete lus­tige Spuren. Im Stock­werk über Sippel wohnte Stefan Studer mit seiner Freundin. Und wenn es unten hoch her­ging, ent­fuhr einem der Fei­er­biester auch mal ein laut­starkes: Stefan, komm runter.“

Höl­zen­bein brauchte nach der Sport-Bild“-Lektüre eine Magen­tablette

Es waren die letzten unschul­digen Jahre des Pro­fi­fuß­balls. Medien hatten es nicht nötig, die Besäuf­nisse der Profis zu doku­men­tieren, denn der mei­nungs­freu­dige Kader lie­ferte auch so genug Stoff. Und wenn mitt­wochs die Sport-Bild“ erschien, musste Vize­prä­si­dent Bernd Höl­zen­bein nach dem Früh­stück erst mal eine Magen­tablette ein­werfen, damit er die Schlag­zeilen des Tages ertrug. Keine Woche ver­ging, ohne dass einer der streit­baren Eleven wieder vor Repor­ter­mi­kro­fonen sein See­len­leben aus­ge­breitet hatte. Der Kicker“ schrieb: Krach, Stunk, Eifer­sucht, Zwie­tracht und Neid beherr­schen das Geschehen.“

Doch im Gegen­satz zu heu­tigen Meis­ter­schafts­aspi­ranten waren die ker­nigen Ein­tracht-Profis nicht nur in Bezug auf die Mit­spieler selbst­be­wusst. Mit Aus­nahme des FC Bayern gibt es keinen Klub mehr, der offen dazu steht, dass nur der Titel das Happy End einer Saison sein kann. Manni Binz sagt: Wir haben nie einen Hehl daraus gemacht und laut gesagt: Wir wollen Meister werden.“

Und so gelang es der Ein­tracht, nach 34 Spiel­tagen Deut­scher Meister zu sein. In dieser Phase labo­rierte Uwe Bein an einer Kno­chen­haut­ent­zün­dung auf dem Spann und trai­nierte kaum noch. Im Umfeld des Teams gras­sierte der Gag: Woran merkt man in Frank­furt, dass Freitag ist? Uwe Bein kommt zum Trai­ning!“ Ste­pa­novic, der bei seinen Auf­stel­lungen stets mit kleinen Papier­zet­teln han­tierte, auf denen die Namen der Profis standen, schob die Schnipsel immer will­kür­li­cher über die Tak­tik­tafel. Bei seiner Per­so­nal­po­litik setzte er auf Über­ra­schungs­ef­fekte, um den dau­ernden Zoff zu kom­pen­sieren. Ein Zitat aus diesen Wochen: Hab isch neue Mann in de Spiel geworfe – und patsch, ham mer gewonne.“ Am 34. Spieltag begna­digte er Minuten vor Anpfiff in Lever­kusen Heinz Gründel und stimmte sich dar­über mit dem Mann­schaftsrat im Dusch­be­reich ab. Ein­tracht siegte 3:1 und war Tabel­len­führer. Doch die deut­sche Ein­heit hatte in diesem Jahr die Zusam­men­le­gung der Ligen bewirkt – und damit die Ver­län­ge­rung der Saison um vier wei­tere Spiele.

Borowka dachte Och, nööööö!“

Am 9. Mai 1992 standen elf Ein­tracht-Profis im Spie­ler­tunnel des Wald­sta­dions und war­teten darauf, Seite an Seite mit der Mann­schaft von Werder Bremen zum letzten Heim­spiel der Saison ein­zu­laufen. Die Bremer hatten drei Tage zuvor den Euro­pa­pokal der Pokal­sieger gewonnen. In der Bun­des­liga bewegten sie sich längst im Nie­mands­land der Tabelle. Dieter Eilts und Uli Borowka hatten sich eine Glatze schneiden lassen, Par­ty­stim­mung lag in der Luft. Ein ent­spannter Früh­lings­kick stand bevor. Borowka freute sich, nach dem Match mit den frisch­ge­ba­ckenen Meis­tern einen Sekt-Auf­guss zu machen: Aber was machen die? Treten von der ersten Minute an wie die Irren! Binz! Gründel! Selbst der Möller! ›Och, nöööööö!‹, habe ich gedacht – und dann haben wir dagegen gehalten.“ Erst in der 82. Minute konnte Tony Yeboah die Bremer 2:1‑Führung aus­glei­chen. Selbst mit ver­einten Kräften gelang es nicht, Schieds­richter Lothar Löwer dazu zu bewegen, einen Straf­stoß zu pfeifen. Dieter Eilts grätschte Uwe Bein in den Staub des 16-Meter-Raums, Borowka säbelte einer inneren Bestim­mung fol­gend noch Sippel und Yeboah um – doch der Pfiff blieb aus. Am Ende hieß es 2:2. Da wurde selbst Uwe Bein stinkig und schnauzte Rich­tung Referee: Du bist der größte Feig­ling, den ich je gesehen habe.“