19 Jahre lang verkörperte Lenny Berry das Bradford-City-Maskottchen „The City Gent“. Jetzt hat ihn der Klub von seinen Aufgaben entbunden – weil er nicht mehr dick genug war
Jahrelang waren die Auftritte von Lenny Berry das einzige Ermunternde im Valley Parade, der Heimstatt des britischen Fußballklubs Bradford City. Dritte englische Liga. Niemandsland. Über 19 Jahre betrat Berry bei Spielen der „Bantams“ unter tosendem Applaus den Rasen, schmiss Süßigkeiten in die Menge, setzte vor der Kurve zum Diver an und ließ sich laut lachend auf seine imposante Plautze klatschen. Die Fans sangen „Who ate all the pies“, Omas feixten, Kinder quietschten vor Freunde. Sie alle liebten Lenny Berry. Er machte aus Bradford City einen besonderen Klub.
Man muss nicht lügen, um zu sagen: Lenny Berry war dick. Machen behaupten sogar: Er war fett. Soweit eigentlich keine Besonderheit in einem Land das Baked Beans zum Frühstück, frittierte Mars-Riegel zum Mittag und Fish and Chips zum Abendessen verspeist. Doch seit dem Jahr 1994 machte Lenny Berry sein adipöses Fettgewebe zur Legende bei Bradford City. Seinerzeit entdeckte ihn der damalige Klubboss Geoffrey Richmond in der Player’s Bar des Valley Parade. Er erkannte im fülligen Lenny Berry ein Ebenbild im Bradford-Männchen, das einst Veinsboss Stafford Heginbotham in den Sechzigern selbst gezeichnet hatte. Geoffrey Richmond hatte eine Idee. An diesem Tag wurde aus Lenny Berry, dem lustigen Dicken aus Bradford, „The City Gent“, das lebende Maskottchen von Bradford City.
Maskottchen müssen „anonymisierende Verkleidung“ tragen
Seitdem haben die Fans von Bradford City viel mitgemacht. Aufstiege, Abstiege, Pleiten, Pech und Pannen. Der Klub war eine mittelschwere Skandalnudel, dessen größter Erfolg bisher der Gewinn des FA-Cups war. Im Jahr 1911. Seitdem sind viele Spieler, Trainer und Vereinsbosse gekommen und gegangen. Lenny Berry wurde in seiner Rolle als „The City Gent“ für lange Zeit die einzige Konstante bei Bradford City. Das ist jetzt vorbei. Lenny Berry wurde vom Klub von seinen Aufgaben entbunden. Weil er nicht mehr dick genug ist. Nach 19 Jahren ist der „The City Gent“ Geschichte.
Und die Sache ist tatsächlich noch viel bizarrer als sie klingt. Nachdem der Klub in der letzten Saison in den Playoffs den Aufstieg in die Dritte Liga geschafft hatte, wurden die Verantwortlichen aus Bradford von der FA freundlich darauf hingewiesen, dass in diesen Sphären des englischen Profifußballs selbst Maskottchen gewisse Auflagen zu erfüllen hätten. Eine davon: Menschliche oder tierische Glücksbringer sind nur dann erlaubt, wenn sie ein „anonymisierende Verkleidung“ tragen würden. Es ist weiß Gott nicht das erste Mal, dass Lenny Berry den Regelwahn der Verbände zu spüren bekam. 2009 wurde ihm etwa das Werfen von Süßigkeiten im Stadion untersagt. Aus Sicherheitsgründen. Damals hat „The City Gent“ das ertragen. Doch diesmal gab es keinen Ausweg mehr.
Ohnehin hat „The City Gent“ in den letzten Jahren an Substanz verloren. Lenny Berry litt schließlich an Diabetes. Ärzte rieten ihm zu einer gesunderen Lebensweise. Der massive Gewichtsverlust war kaum noch zu kaschieren. Den Fans war das egal. Sie liebten ihr lebendes Maskottchen. Und dennoch bot ihm der Klub vor einigen Wochen an, anstelle seiner verloren Plautze einfach einen Sumo-Anzug überzustreifen. Doch Lenny Berry hat auch seinen Stolz. „Ich bin absolut enttäuscht. Ich bin ein erwachsener Mann und das ist etwas, was ich niemals tun würde. Ich bin hier durch das Feuer gegangen, habe alles mitgemacht. Ich werde mich nicht verkleiden. Ich könnte weinen“, sagte er der britischen Regionalzeitung „Telegraph and Argus“.
Und so sah sich der Vorstand gezwungen Lenny Berry mitzuteilen, das er den „The City Gent“ nicht mehr länger glaubhaft verkörpern könne. Ein dünnes Maskottchen passe nicht in das ursprüngliche Konzept des „The City Gent“. „Ich will dem Klub nicht schaden. Ich liebe Bradford City“, sagte Lenny Berry wenige Stunden später. „Doch ich bin sehr enttäuscht darüber, wie alles gelaufen ist. Ich kann nichts mehr daran ändern.“
An diesem Wochenende spielt Bradford City sein erstes Heimspiel in der Dritten Liga. Zu Gast ist Carlisle United. Und kurz vor dem Anpfiff werden die Fans sehnsüchtig auf den Rasen blicken. Sie werden auf Lenny Berry warten, wie er unter tosendem Applaus den Rasen betritt, vor der Kurve zum Diver ansetzt und sich laut lachend auf seine geschrumpfte Plautze klatschen lässt. Es ist das erste Heimspiel seit 19 Jahren bei dem sie vergebens warten müssen. Der Klub verkündete, dass es keinen Ersatz für „The City Gent“ geben werde. Willkommen in der Zukunft von Bradford City.