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Diese Repor­tage stammt aus dem 11FREUNDE SPE­ZIAL Die Geschichte der Zweiten Liga“. Erhält­lich bei uns im Shop.

Am Tag, als es in Barmbek zum ersten Mal nach großem Fuß­ball aussah, drückte Her­mann Sanne dem sechs­jäh­rigen Andreas Brehme einen blau-gelben Wimpel in die Hand. Es war der 22. August 1967, die Sonne strahlte durch die engen Straßen des Ham­burger Arbei­ter­vier­tels, und Sanne, Mäzen und Self­made-Mil­lionär, war an diesem Tag außer­or­dent­lich gut gelaunt. Sein Klub Barmbek-Uhlen­horst, im Volks­mund lie­be­voll BU genannt, weihte gegen den Ham­burger SV seinen neuen Rasen­platz ein, 7000 Zuschauer waren gekommen. Sanne diri­gierte, schüt­telte Hände, und dann schickte er den jungen Brehme los, wäh­rend dessen Hand den Wimpel umklam­merte. Am Mit­tel­kreis blieb der Junge stehen. Na, mein Lütter, wie heißt du denn?“, fragte Uwe Seeler, und der Lütte sagte: Andi“. Er übergab dem Spiel­führer des HSV den Wimpel und rannte davon. Der Regio­nal­li­gist vom Wil­helm-Rup­p­recht-Platz verlor an diesem Som­mertag zwar gegen Seeler, Dörfel, Schulz und die anderen Super­stars, doch das Spiel war äußerst umkämpft, am Ende stand es 3:4.

Viel­leicht war es an diesem Tag, als Her­mann Sanne glaubte, es könnte was werden mit seinen Plänen. Er hatte sich nach dem Krieg gegen Wider­stände nach oben gekämpft. Er war nach 1945 bet­telarm durch die Straßen von Barmbek gezogen und hatte sich als Alt­pa­pier- und Lum­pen­sammler durch­ge­schlagen. Doch bald besaß er eine der modernsten Sor­tier­an­lagen Europas und war so reich geworden, dass sie ihn den Alt­pa­pier-Baron von Ham­burg nannten.

Der erste Coup: Willi Gie­se­mann

In seiner Frei­zeit spielte er für BU, und als er genug Geld zusam­men­hatte, wurde er Prä­si­dent. Sein Ziel war es, mit seinem Hei­mat­verein den FC St. Pauli als Nummer zwei der Stadt abzu­lösen. Wenn er davon sprach, klang das nicht uto­pisch, son­dern eher visionär. Er sprach nie von astro­no­mi­schen Ablö­se­summen, son­dern von vielen kleinen Räd­chen, die inein­an­der­greifen sollten. Von Netz­werken und einem mit­tel­fris­tigen Plan, der den kleinen Stadt­teil­klub in den pro­fes­sio­nellen Fuß­ball bringen sollte.

Sein erster Coup gelang ihm 1968. Wäh­rend Andreas Brehme, mitt­ler­weile sieben Jahre alt, von seinem Vater Bernd auf einem Neben­platz mit Blei­weste über den Platz gescheucht wurde, saß Her­mann Sanne in der Geschäfts­stelle und rief Willi Gie­se­mann an. Er hatte gehört, dass der HSV-Spieler seine Kar­riere beenden wollte.

Gie­se­mann, mitt­ler­weile 77 Jahre alt, wohnt heute in einer kleinen Sied­lung in Ham­burg-Tonn­dorf. Die Beine machen nicht mehr mit, also sitzt er in einem Ohren­sessel, er trägt Bade­lat­schen und T‑Shirt, an der Wand hängen ein paar Fotos aus alten Zeiten. Er erzählt von früher. Von der WM 1962 und Uwe Seeler. Von Her­mann Sanne oder dem jungen Andreas Brehme. Vom großen Fuß­ball, der für ein paar Jahre über die roten Barm­beker Back­stein­häuser wehte. Und natür­lich vom Foul, mit dem Pelé ihm im Mara­canã das Bein brach. Weil Gie­se­mann wenig später noch einen Menis­kus­riss erlitt, war die Pro­fi­kar­riere jäh vorbei. Beim HSV hat’s für einen Ein­bei­nigen nicht mehr gelangt, für BU reichte es noch“, sagt er.

Gie­se­mann spielte für die Barm­beker ab 1968 ein paar Jahre in der Regio­nal­liga, aber wich­tiger war sein Enga­ge­ment abseits des Platzes. Er war die gute Seele, sagen die Fans heute, denn er ach­tete stets auf den Zusam­men­halt. Er führte etwa das gemein­same Kaf­fee­trinken ein. Jeder BU-Spieler musste nach den Par­tien min­des­tens eine Stunde im Klub­heim bleiben, um mit den Anhän­gern zu klönen. Andere sagen heute, Gie­se­mann sei Obmann gewesen. Er selbst sagt: Wie nennt man die Leute, die Spieler holen? So einer war ich!“ Ein Scout.

Neue Leute gehen bei mir über die Waage“

Zwar betrieb er wei­terhin seinen Lotto-Toto-Laden, doch nebenher lotste er etliche Profis nach Barmbek, die in der Bun­des­liga nicht mehr zum Ein­satz kamen: Erhard Schwerin, Jörg Martin, Helmut Sand­mann und Klaus Fock vom HSV, Uwe Dreyer von Werder Bremen sowie Ernst Kreuz, der einst für Ein­tracht Frank­furt gespielt hatte. Er schickte die Spieler mit Emp­feh­lung zu Her­mann Sanne, der sie auf ihre Leis­tungs­fä­hig­keit tes­tete. Dabei ver­folgte er ein striktes Aus­wahl­ver­fahren: Neue Leute gehen bei mir über die Waage, ich will keine kleinen und leicht­ge­wich­tigen Spieler.“

Der Königs­transfer gelang BU 1973. Anfang jenes Jahres bekam Willi Gie­se­mann in seinem Laden Besuch von Friedo Dörfel. Dieser berich­tete, dass sein Sohn, HSV-Legende Charly Dörfel, bald aus Süd­afrika heim­kehren würde und Lust hätte, noch ein paar Jahre in Ham­burg zu spielen. Gie­se­mann wurde hell­hörig. Wenige Wochen später saß Dörfel im Büro des Prä­si­denten. Ich komme“, sagte der Spieler. Aber ich werde mich nicht wie damals beim HSV abspeisen lassen.“ Als Dörfel 1958 vom SV Polizei zu den Rot­hosen wech­selte, bekam er ein Paar Schuhe, ein T‑Shirt und eine Fass­brause. Sanne ver­sprach, dass er den Geld­beutel dieses Mal ein biss­chen weiter auf­ma­chen würde als bei den anderen Spie­lern, die wei­terhin ihren Berufen als Bäcker oder Lehrer nach­gingen und bei BU nicht mehr als 400 oder 500 Mark ver­dienten. Dörfel war ein­ver­standen.

Im letzten Regio­nal­li­ga­jahr vor dem Auf­stieg, in der Saison 1973/74, wurde das Sta­dion voller, denn BU spielte gut, und Dörfel lockte nun auch Zuschauer aus den umlie­genden Vier­teln ins Sta­dion. Manchmal kamen über 4000 Zuschauer, und wenn er nicht seinen linken Fuß trai­nieren musste oder am Kopf­ball­pendel auf und ab sprang, war auch Andi Brehme unter ihnen. Mitt­ler­weile war er 13 Jahre alt und galt als das größte Nach­wuchs­ta­lent Ham­burgs. Trainer und Prä­si­dent waren sich einig: Brehme ver­sprach eine gol­dene Zukunft für Barmbek-Uhlen­horst, an deren Anfang der Zweit­li­ga­auf­stieg stehen sollte.

Das erste Fanu­tensil: ein blau-gelber Drache

Einer, der schon damals im Fan­block stand, ist Detlef Grandt. Der heute 57-Jäh­rige ist ein red­se­liger Mann, mit Bäuch­lein und einer beein­dru­ckenden Fan-Vita. Gemeinsam mit Andi Brehme sah er, wie Charly Dörfel mal bril­lierte, mal fluchte und gegen Ende der Saison, nach einem Kabi­nen­streit, ent­lassen wurde. Sie sangen Hi, ha, hu, HSV BU“ und brachten bei einem Aus­wärts­spiel das erste Fanu­tensil ins Sta­dion: einen blau-gelben Dra­chen am Stock.

Es war eine unbe­schwerte Zeit“, sagt Grandt. Die Zuschauer standen wenige Zen­ti­meter hinter der Sei­ten­linie, vieles war unpro­fes­sio­nell und pro­vi­so­risch, aber viel näher und fami­liärer als beim HSV.“ Sinn­bild­lich für jene Jahre ächzte direkt am Ein­gang das Klub­heim, eine Holz­haus, wes­wegen die Spieler anderer Ver­eine häufig über den Bara­cken­klub“ spot­teten. Zugleich ver­suchte der Trainer, Rein­hold Ertel, das Ama­teur­hafte aus seinem Team zu schreien. Spieler, die ver­letzt vom Feld getragen wurden, beschimpfte er, nach Nie­der­lagen zer­schlug er Glas­aschen­be­cher an der Kabi­nen­wand. Doch offenbar brauchten seine Spieler diesen harten Umgangston. Die Mann­schaft qua­li­fi­zierte sich für die neu gegrün­dete Zweite Bun­des­liga Nord, und plötz­lich ging es für Grandt, Brehme und die anderen Fans mit gemie­teten Bussen in die Ferne. Nach Dort­mund, Köln oder Essen.

Viermal Trai­ning in der 2. Liga – da mache ich nicht mit“

Dabei glich der Auf­stieg einer kleinen Sen­sa­tion. Denn wäh­rend Mäzen Her­mann Sanne und die meisten Fans die 2. Bun­des­liga her­bei­ge­sehnt hatten, wollten einige Spieler par­tout nicht auf­steigen. Trainer Rein­hold Ertel war kurz vor Sai­son­ende sogar über­zeugt, dass Mit­tel­feld­spieler Ulrich Fas­tert kon­se­quent gegen die Mann­schaft gespielt habe. Sein Ver­dacht bestä­tigte sich, als Fas­tert in einem Inter­view sagte: Viermal Trai­ning in der Zweiten Liga – da mache ich nicht mit. Dann spiele ich lieber in Ham­burg.“

Fas­tert stand mit seiner Mei­nung aller­dings nicht alleine da. Auch Spieler von anderen Ver­einen blickten skep­tisch auf die neue Zweite Bun­des­liga, denn sie sollten mit einem Mal unter Pro­fi­be­din­gungen spielen und trai­nieren, mussten aber wei­terhin ihre regu­lären Jobs aus­üben. BU hatte mit Her­mann Sanne einen Mäzen, doch dieser war eben ein prag­ma­ti­scher Geschäfts­mann und kein Gold­esel. Die Gehälter der Spieler blieben im drei­stel­ligen Bereich.

Als der DFB kurz vor Sai­son­start den Wil­helm-Rup­p­recht-Platz für nicht zweit­li­ga­taug­lich erklärte, ging das Schla­massel richtig los. BU musste an den Ham­burger Rothen­baum ziehen, Miete zahlen und einige Umbauten vorneh­men, etwa einen Zaun um den Platz errichten. Wenn über­haupt, dann haben wir nur in dieser Umge­bung eine Chance in der Zweiten Liga“, ließ man zwar ver­lauten, doch ehe man sichs in Barmbek versah, stand der Verein knie­tief im Dispo. Zumal er mit 4000 Zuschauern kal­ku­liert hatte, doch an den fremden Rothen­baum selten mehr als 2000 kamen.

Bitt­brief an Helmut Schmidt

Im Winter 1974/75 ver­mel­dete der Klub Ver­bind­lich­keiten in Höhe von über 200 000 Mark. Zugleich wurde bekannt, dass Spieler und Trainer seit Monaten kein Gehalt mehr bekommen hatten und zu Aus­wärts­spielen in pri­vaten Autos reisen mussten. Geschäfts­führer Klaus Fulda ent­ließ sich sogar selbst und erle­digte seine Arbeit nach Fei­er­abend, um Geld zu sparen. Auch sport­lich lief es nicht, bereits Ende November rutschte BU auf den letzten Tabel­len­platz ab.

In der Win­ter­pause ver­suchte der Klub, Geld auf­zu­treiben. Der Vor­stand ver­schickte einen Bitt­brief an Helmut Schmidt, schließ­lich sei der Bun­des­kanzler Barm­beker und ein guter Schul­ka­merad“ eines Vor­stands­mit­glieds gewesen. Doch Schmidt ant­wor­tete nie. Als er später einmal auf den Brief ange­spro­chen wurde, sagte er: Ich wusste ja nicht, wie schlecht es um den Verein steht.“ Zugleich hatte BU auch beim Ham­burger Senat um eine Bürg­schaft gebeten, doch diese wurde wegen der finan­zi­ellen Pro­bleme der Stadt abge­lehnt.

Schließ­lich kam Her­mann Sanne auf die Idee, das eh schon geringe Grund­ge­halt der Spieler auf 300 Mark zu redu­zieren und sie an den Ticket­ein­nahmen zu betei­ligen. Es machte alles nur noch schlimmer. Die Spieler ver­wei­gerten sich dem Vor­schlag, einige suchten sich sogar einen neuen Verein, so dass BU am Ende der Saison nur noch 13 Spieler im Kader zählte. Ihr Groll war durchaus ver­ständ­lich, denn mitt­ler­weile schwanden die Zuschauer von Spiel zu Spiel. In der Rück­serie kamen oft weniger als 500. Zum vor­letzten Heim­spiel gegen Schwarz-Weiß Essen waren es gerade mal 307. Der Kas­sierer zählte eine Ein­nahme von 1800 Mark, der Vor­stand zählte Ver­bind­lich­keiten von 500.000 Mark.

Abschied im Zorn?

Anfang Juni 1975 flat­terten 13 frist­lose Kün­di­gungen auf der BU-Geschäfts­stelle ein. Doch vor dem letzten Sai­son­spiel über­nahm der DFB die Gehälter von ins­ge­samt 70 000 Mark, und die Mann­schaft lief zu einem finalen Zweit­li­ga­spiel gegen Han­nover auf. Her­mann Sanne war da als Prä­si­dent schon zurück­ge­treten. Im Januar 1975 hatte er erklärt, dass er sich um seinen erkrankten Sohn küm­mern müsse. Einige Fans glaubten hin­gegen, er habe sich an der Situa­tion zu stark auf­ge­rieben. Die Presse schrieb von einem Abschied im Zorn.

Sanne ver­passte eine unge­ahnte Soli­da­ri­sie­rungs­welle. Das Ernst-Deutsch-Theater spielte für den Klub dreimal vor aus­ver­kauftem Haus und spen­dete 16.000 Mark. Barm­beker Bürger sam­melten der­weil über 30.000 Mark. Den größten Betrag erlöste aber Gerd Ribatis vom NDR, der seine Kon­takte in die Schla­ger­szene spielen ließ. Der Rund­funk­jour­na­list konnte Heino, Tony, Cindy und Bert, Costa Cord­alis und Roberto Blanco für eine Schall­platte mit dem Titel Stars singen für BU“ gewinnen. 10.000 ver­kaufte Exem­plare bewahrten den Verein vor der Insol­venz.

Trai­ning mit der Blei­weste hatte sich gelohnt“

Den sport­li­chen Nie­der­gang konnten Roberto Blanco und Co. aller­dings nicht ver­hin­dern, zwi­schen­zeit­lich stieg BU sogar in die Bezirks­liga ab. Nur Brehmes Geschichte ging stetig bergauf. Drei Jahre nach der Zweit­li­ga­saison debü­tierte er als 17-Jäh­riger in der Ober­liga Ham­burg. Grandt war begeis­tert. Das Trai­ning mit der Blei­weste hatte sich gelohnt“, sagt er.

Und dann erzählt er eine schöne Geschichte, die jeder in Barmbek kennt. Ende der sieb­ziger Jahre lernte Grandt eine Frau in Bie­le­feld kennen, die Kon­takt zu dem dama­ligen Arminia-Geschäfts­führer Willi Nol­ting hatte. Grandt sah die große Chance für Andi Brehme, die große Chance für BU, mal wieder in die Schlag­zeilen zu kommen. Er stellte tat­säch­lich einen Kon­takt zur Arminia her. Der dama­lige Bun­des­li­gist ver­sprach, Andreas Brehme zu beob­achten. Als Grandt, der Hobby-Spie­ler­ver­mittler, wenige Wochen später noch einmal auf der Arminia-Geschäfts­stelle fragte, was nun mit seinem Lieb­lings­spieler sei, hieß es dort: Brehme ist nicht bun­des­li­ga­taug­lich.“

Der Rest ist bekannt. Brehme machte Kar­riere beim 1. FC Kai­sers­lau­tern, beim FC Bayern und Inter Mai­land. Am 8. Juli 1990 schoss er Deutsch­land zum Welt­meis­ter­titel. In jenen Jahren wurde öfter über BU berichtet, schließ­lich wollten die Leute wissen, woher der Junge mit den zwei Wun­der­füßen stammte. Grandt nahm damals noch einmal Kon­takt nach Bie­le­feld auf. Er schickte ein Plas­tik­ge­biss an die Arminia-Geschäfts­stelle. Dazu legte er einen Brief. Er begann mit den Worten: Damit Sie sich selber in den Arsch beißen können.“