Olaf Gerhardt versorgt Bundesligaspieler mit den neuesten Smartphones und besorgt Neuzugängen zur Not auch mal einen Kühlschrank. Wer ist dieser Mann?
Olaf Gerhardt kennt keine Pausen. Irgendwas ist immer. Nun rast er in einem BMW X6 über die A52 zu einem Termin, während ununterbrochen das Handy klingelt und der Schweiß von seiner Stirn perlt. Hömma! Sach ma! Alter Falter! Wat? Nee, du! Als er auf dem Display den Namen Daniel Masuch erblickt, ruft er: „Daniel Masuch, Fußballgott!“ Und dann: „Wat? (…) Welcher Fußballer fährt mit dem Bentley durch Düsseldorf? (…) Wer das sein könnte? (…) Choupo? Neeee, der ist doch im Trainingslager.“ So geht das 40 Minuten. Und so geht das eigentlich immer, wenn Gerhardt unterwegs ist. Ein Fußballer nannte ihn mal den „Handy-Dealer der Bundesliga“. Das gefiel ihm, und deswegen nennt er sich heute selber so.
Olaf Gerhardt, VIP-Betreuer
Vor rund neun Jahren tauchte das Schwergewicht plötzlich im Dunstkreis der Bundesliga-Profis auf und bewegt sich seitdem so flink und behände in der Szene, als sei er mindestens hundert Kilo leichter und 20 Jahre jünger. Wenn sich der 44-Jährige offiziell vorstellt, nennt er sich nicht „Handy-Dealer“. Er ist dann der „VIP Betreuer“ des Telekommunikationsunternehmens Mobile World 24 aus Essen. Und wenn er den Leuten erklärt, was das ist, ein VIP-Betreuer, dann erzählt er gerne eine Anekdote aus der Kabine seines Lieblingsvereins Schalke 04, die sich im Sommer 2012 zugetragen haben soll. Als der damalige Neuzugang Roman Neustädter den neuen Kollegen von seinem einmaligen Handytarif erzählte, zwinkerten sich fünf, sechs andere Spieler vielsagend zu. Neustädter war irritiert. Jermaine Jones klärte ihn schließlich auf: Den Vertrag habe er doch hundertprozentig vom Olaf bekommen. Neustädter antwortete perplex: „Wie, ihr kennt den Olaf auch?“ Na, klar. Olaf kennt doch jeder.
Persönlich signierte Trikots an den Wänden
Gerhardts Kleinunternehmen residiert in einem Neubau direkt an einer vielbefahrenen Hauptstraße im Essener Stadtteil Altenessen, unter einem Dach mit einem Matratzenhändler und einem Jalousiengeschäft. Nebenan eine Tankstelle, schräg gegenüber eine Spielothek, daneben noch eine Tankstelle. Ruhrpottidylle. Immobilienmakler preisen hier vermutlich die Nähe zur Autobahn.
An diesem heißen Julitag preist Gerhardt lieber die inneren Werte des Büros, das genauso gut ein Fußballmuseum oder ein Zahnarztwartezimmer sein könnte – je nach Perspektive. An den Wänden hängen Trikots von Toni Kroos, Kevin-Prince Boateng, Ilkay Gündogan und vielen anderen – alle für ihn persönlich signiert. Hinter der zweiten Tür links eröffnet sich der Blick in Gerhardts Büro. Auch hier ist alles voll mit Fotos, Trikots, Autogrammen. Es ist heiß. Deswegen hat der Handy-Dealer etwas improvisiert: Neben einem Kevin-Volland-Porträt leitet ein Waschmaschinenschlauch die Luft aus dem Ventilator nach draußen.
Gerhardt, blau-weiß kariertes XXXL-Karohemd, Heiligenarmband am Handgelenk, Rosenkranz um den Hals, sitzt am Schreibtisch. Die kleinen wachen Augen lugen hinter der Designerbrille hervor. 130 Bundesligaspieler versorge er mittlerweile mit Smartphone samt Vertrag, sagt er. Er rüstet sogar ganze Vereine aus, wie den VfL Wolfsburg, den Hamburger SV oder den FC Augsburg, macht Deals mit Spielerberatern oder mit einzelnen Profis. Auch die Spielerfrauen und ‑eltern gehören zu seiner Klientel. So wie Kerstin Lasogga, die Mutter des HSV-Stürmers Pierre-Michel Lasogga.
Was die Spieler für Wünsche haben? Immer das neueste iPhone – und zwar noch am Erscheinungstag, individuelle Telefonnummern, angelehnt an die Rückennummer, riesiges Datenvolumen. „Viele Spieler wechseln aus Sicherheitsgründen sehr oft ihre Nummer, da muss ich schnell sein.“
Er werde damit nicht reich, sagt Gerhardt, denn die Spieler bekämen die gleichen Tarife wie alle anderen Kunden. Warum macht er das dann also? Für ein bisschen Glamour? Für die Freundschaft? Für die Selfies, die er auf seiner Facebook-Seite präsentiert? „Man kennt sich, man hilft sich“, sagt Gerhardt. So einfach sei das.
Aber wie wird man eigentlich zum Handy-Dealer derart prominenter Kunden? Warum vertraut ein großer Teil der Profispieler ausgerechnet dem dicken Olaf Gerhardt aus Altenessen? Am Internetauftritt des Unternehmens jedenfalls liegt es nicht. Die Seite wirkt wie ein Relikt aus den neunziger Jahren, und man hört aus der Ferne das 56k-Modem rödeln. Oben rechts findet man immerhin den Link „VIP-Kunden“.
Rastlos und doch unaufgeregt
Aber vielleicht ist genau das ein erster Hinweis darauf, was die Profis bei ihm finden: Olaf Gerhardt ist trotz seiner Rastlosigkeit normal und unaufgeregt geblieben. „Die Spieler schätzen es, dass wir nicht so fordernd auftreten und ständig Autogramme wollen – wir halten uns im Hintergrund“, sagt er.
Plötzlich ertönt im hinteren Teil des Raumes ein Torschrei. Er kommt aus dem Mund von Felix Dornebusch, der gerade Gerhardts Chef Fatih Sözeri eine deftige 4:0‑Packung an der Playstation verpasst hat. Dornebusch, 20, ist Torwart beim VfL Bochum und vor dem heutigen Training zum Kurzbesuch bei Gerhardt vorbeigekommen. „Ich bin öfter mal im Internet, daher brauche ich oft dringend mehr Datenvolumen“, sagt er. „Den Olaf kann man immer erreichen, und er kümmert sich dann direkt.“
Neuer erzählte ihm als einem der Ersten von seinem Wechsel
Das stimmt, bestätigt Gerhardt. Sechs Stunden am Tag telefoniere er. „Ich bin keinem böse, der mich nachts anruft. Der wird sicher ’nen Grund haben“. Sieben Mal schon habe er sein Handydisplay wechseln müssen, da er es heiß telefoniert und es sich gelöst habe. Dann erzählt er die Geschichte vom „Manu“, wie er Manuel Neuer nennt. Der Bayern-Torwart sei neben Heiko Westermann und Marcel Schäfer einer seiner besten Freunde. Olaf zeigt als Beweis Bilder auf seinem Handy, die der Manu ihm aus Brasilien geschickt hat. Und die Widmung im WM-Fotobuch. „Für Olaf, dein Manuel Schnapper“, steht da. „Wegen Ballschnapper“, erklärt Gerhardt. Vor vier Jahren habe Neuer ihm, dem Handy-Dealer, sogar als einem der Ersten erzählt, dass er zu Bayern München wechseln werde. „Manu, hab ich gesagt, ich akzeptiere das. Geschäftlich gesehen ist das super. Aber privat müsste ich dir in den Arsch treten.“
Mit Neuer hat alles angefangen für den Schalke-Fan Gerhardt. 2006 lernte er den Torwart über den Essener U21-Nationalspieler Baris Özbek kennen. Neuer interessierte sich für Gerhardts Geschäft, die beiden trafen sich öfter. Mittlerweile ist Neuer sogar Gesellschafter bei Mobile World 24. Damals war der gelernte Bürokaufmann Gerhardt erst seit Kurzem im Mobilfunkgeschäft tätig. Jahrelang hatte er sich in der Speditions- und Versicherungsbranche verdingt, nun witterte er seine Chance. Über Neuer knüpfte er Kontakt zur deutschen U21-Nationalmannschaft und rüstete sie beim EM-Sieg 2009 mit Handys und Verträgen aus. „Der erste große Coup war dann die WM 2010 in Südafrika“, sagt Gerhardt. „Dreimal darfste raten, mit wessen Flatrate der Özil und die anderen nach Deutschland telefoniert haben!“
„Ist das der Dicke mit den Handys?“
Weltmeisterschaften sind für Gerhardt die Kür. Sein Tagesgeschäft aber bedeutet: Präsenz zeigen. Jedes Wochenende treibt er sich in anderen Hotellobbys und anderen Bundesligastadien herum. Immer in der Nähe der Profis, versteht sich. So seien im Laufe der Zeit immer mehr Spieler auf ihn aufmerksam geworden: „Ist das der, von dem du erzählt hast? Der Dicke mit den Handys?“ Gerhardts üppige Statur ist sein Wiedererkennungsmerkmal.
Auch unter der Woche ist er häufig unterwegs. Heute geht es noch nach Mönchengladbach, Mittagessen mit Tony Jantschke, Peniel Mlapa und Djibril Sow, einem Neuzugang aus der Schweiz. Die Stirn glänzt, es wird immer heißer. „Tauwetter für Dicke“, sagt Gerhardt.Wieder vergeht keine Minute ohne Anruf. Zunächst meldet sich Peniel Mlapa: „Peniel Emmmmlapa, wo biste? (…) Sach dem Tony, er soll mitkommen, wenn er seine Fußpflege fertig hat. (…) Sonst hat der morgen kein Netz mehr.“ Aber Mlapa und Jantschke haben anscheinend doch keine Zeit für das verabredete Mittagessen, Lucien Favre hat das Training vorverlegt. Dann ist etwas Ruhe. Unerträglich beinahe. Sach ma, wie läuft’s eigentlich für Tim Wiese in Las Vegas? Kurzer Blick aufs Display, die Nummer steht da, wie eine Währung. Anruf. Mailbox. „Das ist unüblich für ihn.“ Egal, weiter geht’s!
Angekommen in Mönchengladbach setzt sich Gerhardt mit einem Spielerberater in das Fußballlokal „Parkklause“. Lagebesprechung. Mehrere Profis des Spielerberaters haben Verträge mit Mobile World 24, der neueste ist Djibril Sow, der gerade noch mit Jantschke und Co. trainiert. „Man kennt sich, man hilft sich“, sagt Gerhardt noch einmal.
Gewusel im Dunstkreis der Spieler
Es ist nicht so, dass Gerhardts Wirken sich im Verborgenen abspielen würde. Im Gegenteil: Längst sind Spielerberater und Boulevardreporter hinter ihm her, sie wollen über ihn an neue Deals, Telefonnummern und Storys herankommen. Gerhardt ist genervt von ihnen, macht aber sein Handy trotzdem nicht aus. „Wir mischen uns nie und nimmer in deren Arbeit ein und geben auch keine Empfehlungen ab. Da können sich die Spieler sicher sein, dass wir keinen Scheiß machen. Das geht gar nicht.“ Schwarze Schafe, die das Vertrauen der Spieler missbrauchen, gebe es durchaus. Die ganze Szenerie rund um die Profis floriert: Alle sind miteinander vernetzt, wuseln umher im Dunstkreis der Spieler. Auch Gerhardt gehört im Grunde zu dieser Spezies, denn er beschafft nicht nur Handys. Er kümmert sich um Nachsendeanträge, Rundfunkgebühren, Gemeindeanmeldung, Passfotos oder einen neuen Kühlschrank. Warum? Ach, ja: Man kennt sich, man hilft sich. Was Gerhardt ebenfalls zugutekommt: Er vergisst fast nichts. Bei einem Gerichtsverfahren trat er vor Jahren als Nebenkläger auf. Das Gericht bescheinigte ihm damals überdurchschnittliche Intelligenz und ein ungewöhnliches Erinnerungsvermögen.
Später Nachmittag in der Sportsbar im Borussia-Park. Hier will Gerhardt nun endlich seine Spieler treffen. Zuerst kommt Djibril Sow aus der Kabine, ein schüchterner 18-Jähriger aus der Schweiz, der erst seit anderthalb Wochen in Deutschland ist. Gerhardt muss dem Jungspund eine unangenehme Nachricht überbringen: „Es ist alles fertig, die Nummer weißt du ja schon. Nur leider ist dem Kurier dein Handy geklaut worden, das ist wirklich wahr.“ Sow nickt nur. Er wirkt, als wäre er gerade gern woanders. „Aber das wird schon“, sagt Gerhardt. „Guter Berater, guter Verein, gutes Netz, jetzt fehlt nur noch die beste Disko und das tollste Mädchen.“ Nun lächelt Sow immerhin kurz. Er ist froh, als Peniel Mlapa und Marvin Schulz dazustoßen. Die beiden kennen Gerhardt schon, Handschlag, „Servus“. Gleich wollen sie noch ins Kino, „Die Minions“ anschauen. Gerhardt quatscht mit ihnen über die neuesten Filme. „Mein letzter Film war ja der ‚Schuh des Manitu‘“ Kurze Stille. Dann das obligatorische Foto mit den Spielern, „für Facebook“. „Ich meld mich die Tage bei dir“, sagt Schulz zum Abschied, „ich brauch nämlich noch was.“
Das Kaffee im Herzen Gelsenkirchens
Fahrt in Richtung Gerhardts Heimatstadt Gelsenkirchen, gleich ist Feierabend. Seit Jahren schon lässt Gerhardt jeden Tag in einem italienischen Eiscafé ausklingen. Dort soll es jetzt hingehen. Vorbei an grauen Unterführungen, Supermärkten und Multispielotheken. „Das Café ist mein zweites Wohnzimmer“, sagt Gerhardt. Ein bekannter Umschlagplatz in der Gelsenkirchener Fußballszene. Die Altintops wohnten einst nebenan, Gerald Asamoah sei gestern noch da gewesen. Und natürlich komme Manuel Neuer, wann immer er es schafft.
Die Besitzerin des Cafés begrüßt ihn persönlich, sie hat schon auf ihn gewartet. „Hier kenne ich jeden Stammgast, viele sind auch meine Kunden“, sagt Gerhardt. Von hier weitete er sein Geschäft aus. Auch wenn es natürlich nicht immer nur darum gehe. Die Spieler lägen ihm am Herzen. Wenn sie sich von der Freundin trennen oder sich verletzen, Olaf Gerhardt hat ein offenes Ohr. „Fußball ist schnelllebig“, sagt er. Shawn Parker vom FC Augsburg habe er vor Kurzem noch im Trainingslager gesehen. Eine Woche danach rief er an: „Olaf, ich bin im Krankenhaus, wieder verletzt, Kreuzbandriss. Mach mal das Datenvolumen hoch.“