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13. Spieltag 90/91: Karls­ruher SC – VfL Bochum 3:1 (10. 11. 1990)
Famullas Fehler: Der Beginn der Ära Kahn

10. November 1990, Wild­park­sta­dion Karls­ruhe
KSC-Trainer Win­fried Schäfer springt im Dreieck. Sein Team liegt nach zwei Pat­zern eines über­ner­vösen Alex­ander Famulla mit 1:2 zurück. In der Halb­zeit degra­diert Schäfer die Nummer eins und ersetzt ihn durch einen unbe­kannten Blond­schopf aus der Ama­teur­mann­schaft. Der 21 Jahre alte Oliver Kahn spielt eine starke Halb­zeit, rettet mehr­fach gegen die anstür­menden Bochumer. Am Ende gewinnt Karls­ruhe mit 3:2. Auf die Frage, wie es sich anfühle vom Fehler eines Kol­legen zu pro­fi­tieren, ant­wortet Karls­ruhes neue Nummer eins kame­ra­scheu ins Leere bli­ckend: Tja…äh…wir sind zwar alles Kol­legen, aber… so ist das Geschäft nun mal.“ Ein ARD-Reporter will wissen, ob er nicht ges­tern mit dem Ein­satz im Ama­teur­team gerechnet habe. Kahn ver­steht nicht: Ich weiß gar nicht, wie die Ama­teure gespielt haben!“ Mit Kahn im Tor ver­liert der KSC bis zum Sai­son­ende kein Heim­spiel mehr. Zwei Jahre später steht Karls­ruhe im Halb­fi­nale des UEFA-Cups, und Kahn wech­selt für die Rekord­summe von 4,6 Mil­lionen DM zum FC Bayern – damals der teu­erste Tor­wart­transfer der Bun­des­li­ga­ge­schichte.


28. Spieltag 95/96: VfB Stutt­gart – FC Bayern 0:1 (13. 4. 1996)
Olli vs. Andi Herzog: Die Erfin­dung des Ur-Kahn“

13. April 1996, Gott­lieb-Daimler-Sta­dion Stutt­gart

Kahns erste Zeit in Mün­chen ver­läuft holprig. Zu oft eckt der uner­fah­rene Tor­hüter mit seinem ego­zen­tri­schen Auf­treten bei den Ver­ant­wort­li­chen an. Gegen den VfB Stutt­gart pariert Kahn glän­zend, ver­hin­dert ein um das andere Mal die Stutt­garter Füh­rung. Nach­läs­sig­keiten und per­sön­liche Ver­feh­lungen hasst der Ver­fechter von unnach­gie­biger Akribie wie die Pest, und davon pro­du­zieren seine Vor­der­leute an diesem Tage eine ganze Menge. Als Bay­erns Andreas Herzog ein wei­teres Mal geis­tes­ab­we­send durch den Straf­raum tor­kelt, schmoren unter Kahns Base­ball­kappe die Siche­rungen durch. In dis­ko­the­ken­reifer Tür­ste­her­ma­nier stürzt der Keeper aus seinem Kasten und beginnt, den Öster­rei­cher zu würgen. Herzog ver­steht die Welt nicht mehr, blickt im Strau­cheln zurück zu Kahn und wür­digt die Sze­nerie mit ver­ständ­nis­losem Kopf­schüt­teln. In der 78. Minute reagiert Bayern-Coach Reh­hagel und nimmt den Öster­rei­cher vom Platz. Die Bayern gewinnen mit 1:0, und die Bun­des­liga hat ein neues Feind­bild: King Kahn“, den Gorilla“ im Bayern-Tor.

24. Spieltag 98/99: Bor. Dort­mund – FC Bayern 2:2 (3. 4. 1999)
Kung Fu-Kahn“ und Flying Olli“

3. April 1999, West­fa­len­sta­dion Dort­mund

Im Top­spiel gegen Borussia Dort­mund liegt der FC Bayern zur Halb­zeit mit 0:2 zurück. Als Samuel Kuf­four in der 30. Minute mit Rot vom Platz fliegt, droht die Stim­mung im West­fa­len­sta­dion zu kippen. Wieder ist es ein Sams­tag­abend im April, wieder scheint sich alles gegen Kahn ver­schworen zu haben. Der Druck, den es braucht, um ihn zu Höchst­leis­tungen und an den Rand des Kon­troll­ver­lusts zu bringen, ist mit Händen zu greifen. Wenn es um alles geht, bin ich meist am stärksten,“ wird Kahn später in seiner Bio­gra­phie zitiert. Ein Grund­satz, den er in den Anfangs­jahren gna­denlos ver­folgt, auch wenn andere dafür zurück­ste­cken müssen. Als Kung Fu-Kahn“ fliegt er an diesem Abend mit den Stollen voraus fast in BVB-Stürmer Cha­puisat, und wenig später als ani­mierte Trick­figur durch das Fern­seh­studio von Harald Schmidt. Kurz darauf macht Heiko Herr­lichs Wan­gen­kno­chen Bekannt­schaft mit dem Unter­kiefer des Bayern-Tor­warts, der mitt­ler­weile über den Platz rum­pel­stilzt, als ginge es um einen Welt­meis­ter­gürtel im Trash-Boxen und nicht um drei Punkte in der Meis­ter­schaft. Wach­rüt­teln, das ist es, was Kahn will, dessen Ruf mitt­ler­weile voll­ends rui­niert ist. Nach einer Stunde erzielt Jan­cker den 2:2‑Ausgleich. Zwei Wochen später sichern Kahns kat­zen­hafte Reflexe gegen Dynamo Kiew den Einzug ins Cham­pions League Finale. Gegner: Man­chester United. Der Spieler Kahn ist auf dem vor­läu­figen Zenit seiner Kar­riere. Dann kommt Ole Gunnar Sol­skjaer…

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29. Spieltag 99/00: SC Frei­burg – FC Bayern 1:2 (12. 4. 2000)
Die Golf­ball­at­tacke

12. April 2000, Drei­sam­sta­dion Frei­burg

Spä­tes­tens nach den Ereig­nissen von Dort­mund tritt Kahn in den erlauchten Kreis der meist gehassten Bun­des­liga-Tor­hüter ein. Die einen preisen ihn als den besten deut­schen Keeper seit Sepp Maier“, für die anderen ist er ein ver­rückt gewor­dener Ego­mane in Tor­wart­hand­schuhen. Kaum ein anderer Keeper wurde in den Sta­dien der Repu­blik mit einer grö­ßeren Anzahl an Frisch­obst beworfen als Kahn. Die flä­chen­de­ckende Tape­zie­rung des Bayern-Straf­raums mit Süd­früchten, allen voran Bananen – dem Gorilla-Symbol“ – gehört in dieser Zeit zum Stan­dard­re­per­toire der ihm feind­lich gestimmten Fan­blöcke. Einen trau­rigen Höhe­punkt erreicht die Ent­wick­lung im April 2000. Im Frei­burger Drei­sam­sta­dion wird Kahn von einem Golf­ball an der Schläfe getroffen. Der Tor­wart sinkt blut­über­strömt zu Boden. Bayern-Arzt Müller-Wohl­fahrt sprintet auf den Platz, um Kahn zu behan­deln, doch dieser rap­pelt sich auf und beginnt wie wild nach dem Gegen­stand zu suchen. Er kennt das Gefühl von Wurf­ge­schossen aus dem geg­ne­ri­schen Fan­block nie­der­ge­streckt zu werden. 1993, noch zu KSC-Zeiten, wurde Kahn im Pokal­spiel gegen Mön­chen­glad­bach von einer Kas­tanie getroffen und musste aus­ge­wech­selt werden. Karls­ruhe pro­tes­tierte und verlor das Nach­hol­spiel auf neu­tralem Boden. 2000 in Frei­burg wird Kahn nicht aus­ge­wech­selt – auf­geben passt nicht zu seinem Immer-Weiter-Stil, mit dem sich der Titan“ jüngst selbst insze­niert. Mit dem ban­da­gierten Kahn im Tor gewinnen die Bayern das Spiel und ver­zichten auf einen offi­zi­ellen Pro­test beim DFB.

34. Spieltag 00/01: Ham­burger SV – FC Bayern 2:2
Noch drei Minuten!“

19. Mai 2001, Volks­park­sta­dion Ham­burg

HSV-Stürmer Sergej Bar­barez reißt die Arme nach oben. Neben ihm steht Bay­erns Patrick Anderson und blickt erschro­cken Rich­tung Tor­netz. Dort liegt der Ball, den er eigent­lich aus der Gefah­ren­zone hätte weg­köpfen sollen. Der HSV führt gegen den nun ehe­ma­ligen Tabel­len­führer Bayern Mün­chen mit 1:0, der – wenn alles so bleibt – gerade seinen Meis­ter­titel ver­spielt hat. Samuel Kuf­four sinkt im eigenen Straf­raum zu Boden, da reißt ihn etwas zurück in den auf­rechten Stand. Noch drei Minuten! Los jetzt! Noch drei Minuten!“ brüllt Kahn seine Mit­spieler an und jagt ihnen damit das Adre­nalin zurück in den Körper. Als Patrick Anderson 160 Sekunden später zum Frei­stoß anläuft, sprintet Kahn los, um sein nächstes Opfer zu würgen: die Eck­fahne vor Block 8 des Volks­park­sta­dions. Der Rest ist Fuß­ball­ge­schichte und lässt sich stim­mungs­voll nach­lesen in der Ver­eins­chronik von Schalke 04.

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Ch. League Finale 2001: FC Bayern – FC Valencia 5:4 n.E.
Elf­me­ter­schießen

23. Mai 2001, Gui­seppe-Meazza-Sta­dion Mai­land

Ein­fach Voll­spann in die Tor­mitte – der Ita­liener Amedeo Car­boni hatte sich vor dem Duell mit Kahn für die sicherste Vari­ante des Elf­me­ter­schie­ßens ent­schieden. Trifft der Abwehr­chef vom FC Valencia, sind die Spa­nier so gut wie durch. Kahn fixiert die linke untere Ecke, bemerkt im Fallen Car­bonis Absicht und reißt im letzten Moment die Hand nach oben. Der Ball klatscht an die Latte und von dort zurück ins Feld. Kahn schnappt sich das Leder, schüt­telt es wie eine Schnee­kugel und ballt die Faust. Kurz darauf pariert er gegen Pel­le­grino, und Bayern ist Cham­pions League Sieger 2001. Es sind kleine Reflexe, die ein Spiel mit Kahn zu einem beson­deren machen. Die kurzen Augen­blicke, in denen der Fan in Erwar­tung eines Gegen­tref­fers schon die Augen zusam­men­kneift, um gleich darauf zu erfahren, dass es Tor­hüter mit der gefühlten Reak­ti­ons­zeit eines Com­pu­ters gibt, die scheinbar schon im Moment der Schuss­ab­gabe wissen, wo der Ball ein­schlägt. Im Jahr 1999 häm­merte Ran­gers-Stürmer Rod Wal­lace aus kurzer Distanz auf das Bayern-Tor. Kahn bekam im letzten Moment die Hand dazwi­schen, der Ball klatschte an die Latte und von dort zurück ins Feld. Vier Jahre später gelang ihm Ähn­li­ches gegen Celtic. Im Inter­view mit 11FREUNDE gesteht Kahn: In sol­chen Momenten zahlt sich die ganze harte Arbeit aus.“

WM-Finale 2002: Bra­si­lien – Deutsch­land 2:0
Die Krö­nung bleibt aus

30. Juni 2002, Inter­na­tional Sta­dium Yoko­hama
Der beste Tor­hüter der Welt“ – da sind sich die Experten einig – muss schon einen ver­dammt schlechten Tag haben, wollen Bra­si­liens Stürmer über­haupt eine Chance auf den WM-Titel haben. In der Tat schien das Gestänge hinter Oliver Kahn wäh­rend den letzten WM-Wochen zu einer Art alu­mi­niertem Fort Knox mutiert zu sein. Einen mageren Gegen­treffer hat die DFB-Elf bis­lang kas­siert, und Kahn gegen Kamerun, Süd­korea und Irland das Zehn­fache dieser Zahl ver­hin­dert. Der Titan“ ist in der Form seines Lebens, die sein Bruder Axel wenig später als nicht gesund“ beschreibt. Doch an diesem Abend in Yoko­hama hat Kahn seinen schlechten Tag. Keinen ver­dammt schlechten, aber es reicht, um Ronaldo in Szene zu setzen, der den ersten Fehler der deut­schen Nummer eins gna­denlos aus­nutzt. In der 67. Minute lässt Kahn einen Schuss von Rivaldo abtropfen und kommt anschlie­ßend zum ersten Mal seit vier Wochen zu spät. Nach dem Finale lehnt der Tor­wart minu­ten­lang am Pfosten seines Tores und prägt damit das Bild der WM 2002.

11. Spieltag 03/04: Schalke 04 – FC Bayern 2:0 (1. 11. 2003)
Eier, wir brau­chen Eier“

1. Sep­tember 2003, Arena Auf­Schalke“

Der ver­dutzte Pre­miere-Reporter musste schon zweimal nach­fragen, so unglaub­lich erschien ihm Kahns Ant­wort. Ent­schul­di­gung, was hat ihrer Mann­schaft heute Abend gefehlt?“ – Eier! Das wissen Sie doch,“ wie­der­holt Kahn sto­isch, als wolle er seinem Schwie­ger­sohn die kor­rekte Zube­rei­tung eines fami­li­en­in­ternen Geheim­re­zeptes erklären. Eier! Das war es also, was dem FC Bayern heute gefehlt hatte. Nicht das Salz, nicht die Milch. Nein: Eier!“ Was für eine Frage! Es soll Stu­dien geben, die beschei­nigen dem gemeinen Fuß­ball­profi im Anschluss an ein Bun­des­li­ga­spiel emo­tional bedingt das Unver­mögen, selbst ein­fachstes Gedan­kengut in klare Worte zu fassen. Kahns resi­gnierte Ode an das Oster­fest dagegen gehört alles andere als in die Kate­gorie lus­tige Fuß­ball­ver­spre­cher“. Mit dem, was Olli blumig als Eier“ tarnte, waren näm­lich weder die Hüh­ner­frucht noch – Gott bewahre – das männ­liche Kör­per­teil gemeint. Viel mehr mokierte sich der Titan über den in seinen Augen zu geringen Tes­to­ste­ron­spiegel seiner Team­ka­me­raden, die gerade ohne jede männ­liche Aggres­si­vität, aber dafür mit ihren – pardon – Eiern“ gegen Schalke 04 ver­loren hatten.

Pres­se­kon­fe­renz zur Klins­mann-Ent­schei­dung (10. 4. 06)
Die WM ist wich­tiger als die Person Oliver Kahn“

10. April 2006, Pres­se­raum des FC Bayern

Die Medi­en­ver­treter können kaum glauben, was aus den Boxen des Pres­se­raums ertönt. Der unan­greifbar wir­kende Tor­wart-Titan“ Oliver Kahn, für den der Status als Nummer eins im Tor der Natio­nal­mann­schaft immer oberste Prio­rität zu haben schien, wirkt über­ra­schend ruhig, fast auf­ge­räumt. Drei Tage zuvor hat ihn Klins­mann hinter Rivale Jens Leh­mann zur Nummer zwei degra­diert. Viele erwarten nun einen seiner Aus­brüche, viel­leicht gar den Rück­tritt aus der Natio­nal­mann­schaft. Statt­dessen erklärt Kahn, es ginge nun nicht mehr um per­sön­liche Eitel­keiten und Schick­sale, son­dern um das ganz Große.“ Der Unan­greif­bare hat gelernt zu ver­lieren – mehr noch: der Moment der Nie­der­lage macht aus dem ego­ma­ni­schen Titanen einen Team­player mit stei­genden Sym­pa­thie­werten. Statt eines Rück­tritts fährt Kahn zu seiner vierten WM, zum dritten Mal nur als Nummer zwei. Danach, weiß er, wird er seine Kar­riere in der Natio­nalelf beenden. Mit den Worten: Dies war mein letztes Län­der­spiel, ein schö­neres letztes Län­der­spiel kann es nicht geben.“

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WM-Vier­tel­fi­nale 06: Deutsch­land – Argen­ti­nien 4:2 n.E. (30. 6. 2006)
Das ist jetzt dein Ding!“

30. Juni 2006, FIFA WM-Sta­dion Berlin

Wohl kaum ein Moment der WM wurde von den Medien so positiv reflek­tiert, wie der legen­däre Hand­schlag der beiden Tor­hüter-Rivalen auf dem Ber­liner Rasen. Leh­mann sitzt im Gras und wartet auf die bevor­ste­hende Elf­me­ter­ent­schei­dung gegen Argen­ti­nien. Da erscheint sein Team­kol­lege Kahn, umarmt ihn und gibt ihm ein paar Worte mit auf dem Weg: Das ist jetzt dein Ding,“ wird Kahn später zitiert. Der Moment hat Sym­bol­cha­rakter. Er zeigt den Team­geist der Klins­mann-Elf und dient als Meta­pher auf die Wand­lung des Oliver Kahn vom ego­zen­tri­schen Gorilla“ zum ange­sehen Sports­mann. Nach der WM deko­riert man die beiden ehe­ma­ligen Rivalen Kahn und Leh­mann mit dem Sport-Bambi. Kahn erscheint ohne seinen Tor­wart­kol­legen zur von Kung Fu“-Erfinder Harald Schmidt mode­rierten Gala und nimmt stolz einen Preis ent­gegen – für ein Spiel, in dem er nur Ersatz­tor­wart war.

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Das neue 11FREUNDE-Heft ist ab heute im Handel erhält­lich. Die Themen außerdem:

Lever­kusen 2002 – Alb­traum eines Som­mers
Profis nach der Kar­riere – Knie­tief im Dispo
Sex & Suff – Eng­lands Anti-Held Vic Kasule
Sta­di­onposter Stutt­garter Kickers
uvm.