„Wahrer Fußball statt Ware Fußball“ – Christoph Metzelder hat eine Kampagne für den Amateurfußball ins Leben gerufen. Und befürchtet eine „Vollkatastrophe“.
Christoph Metzelder, Martin Stock, der Platzwart ihres Heimatvereins TuS Haltern, sagt in einem Video über die Kampagne für den Amateurfußball: „Hier spielt das Leben, hier ist es schön. Viel schöner als im Profifußball.“ Hat er Recht?
Es ist anders. Der Profifußball der Gegenwart ist zu einem großen Geschäft geworden, zu einer Ware. Das will ich gar nicht übermäßig beklagen, aber es ist die Realität.
Schön ist das nicht.
Nein, nicht unbedingt, auch wenn ich in meiner Funktion als Sky-Experte davon ebenso profitiere wie ihr Magazin. Selbst wenn wir beide der Entwicklung durchaus kritisch gegenüber stehen, die Menschen strömen aus demselben Grund ins Stadion wie schon vor 40 Jahren: Weil sie ihr Herz an einen Verein verloren haben. Weil sie Dinge sehen wollen, die sie selbst nicht können. Weil sie die Spieler auf dem Platz für ihr Talent bewundern. Und das ist im Amateurfußball ja nicht unbedingt der Anreiz, am Sonntag an der Bande zu stehen.
Sondern?
Der Fußball ist hier ehrlich, nahbar und persönlich. Ich kann die Spieler, Trainer und Verantwortlichen wirklich erleben und mit ihnen sprechen. Gerade die Ehrenamtler – das sind beim TuS Haltern übrigens viele meine ehemaligen Mitspieler aus der Jugend – machen den Charme bei den Amateuren aus.
Sie waren Profi und haben damit viel Geld verdient. Warum haben Sie den Weg zurück in die Unterklasse gesucht? Und warum setzen Sie sich so vehement dafür ein?
Da muss ich etwas ausholen. Ich liebe diesen Sport seit meiner Kindheit. Damals war ich ein glühender Anhänger von Borussia Mönchengladbach. 1998 fuhr ich mit meinem damaligen Co-Trainer von Preußen Münster zum entscheidenden Spiel um dem Klassenerhalt am letzten Spieltag nach Wolfsburg. Wir kamen 20 Minuten zu spät, ich schlängelte mich ohne Ticket auf die Stahlrohrtribüne und feierte nach dem Abpfiff auf dem Platz mit Stefan Effenberg und Peter Wynhoff. Zwei Jahre später wurde ich Profi, bei Borussia Dortmund. Von da an war ich Leistungssportler und kein Fan mehr. Nach dem Ende meiner Profilaufbahn 2013 ging ich wieder zurück zu meinem Heimatverein aus Haltern, den ich seit Ende 2008 unterstütze. Und fand dort die emotionale Ebene wieder, die ich als Profi zuvor verloren hatte. Seitdem bin ich vor allen Dingen Fan und fiebere am Wochenende mit all unseren Mannschaften mit.
Sind Sie ein Romantiker?
Ja. Mit zunehmendem Alter klammert man sich an die Orte seiner Kindheit. Die „Stauseekampfbahn“ in Haltern ist so ein Ort.
Ist dem Profifußball die Romantik abhanden gekommen, die der Amateurfußball zu bieten hat?
Noch ist die Faszination vorhanden, die Stadien sind voll. Aber ich persönlich befürchte, dass sich das in Zukunft ändern könnte. Ich mache mir um das Talent der Spieler keine Sorgen, aber um ihre Persönlichkeit. Um das, was Geld und Popularität mit jungen Menschen macht. Irgendwann haben Fans vielleicht keinen Bock mehr, ihren ganzen Monatslohn auszugeben, wenn ihre Idole glauben, sie lebten in einer Parallelwelt.
„Wahrer Fußball, statt Ware Fußball“ nennen Sie das in der Kampagne.
Vielleicht ist irgendwann der neuralgische Punkt erreicht, an dem selbst die treusten Fans sagen: „Das ist nicht mehr mein Sport.“ Und weg bleiben. Zum Amateurfußball gehen. Oder ihren eigenen Verein gründen. Die Entwicklung gibt es ja in England seit Jahren, in Deutschland bislang nur beim HFC Falke. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass das erst der Anfang ist. Wobei auch das Probleme birgt.
Nämlich?
Der Kern des Fußballs, egal in welcher Spielklasse, ist und bleibt, Spiele zu gewinnen. Wer Erfolg hat, steigt auf, wer aufsteigt, braucht mehr Geld und wo mehr Geld ist, gibt es professionellere Strukturen. Und damit weniger Basisdemokratie. Weil das aufgrund der Komplexität gar nicht anders möglich ist. So wird jeder Verein, der Erfolg hat, irgendwann den Punkt erreichen, an dem sich Menschen nicht mehr angemessen vertreten fühlen. Oder man macht es so wie der FC Sheffield – der erste Verein der Welt – den wir vor einem Jahr in Haltern zu Gast hatten. Die haben sich selbst auferlegt, kein Geld zu zahlen und damit immer ein Amateurverein zu bleiben.
Was fasziniert Sie so am Amateurfußball?
Die Gemeinschaft, das Miteinander ohne Geschäftsmäßigkeit und die Einordnung dieses Sports als schönste Nebensache der Welt, unabhängig von Sieg oder Niederlage. Die charmanten Spielstätten. Und vor allem die Menschen. Sei es unserer Kassierer Rolf, der für jeden einen flotten Spruch parat hat. Oder Albertino Pinto am Grill, der seit der Geburt seines Sohnes Sergio vor 36 Jahren mit Stolz seinen Schnurrbart trägt und nach eigener Aussage Rekordstadtmeistertrainer in Haltern am See ist. Oder die Spieler, die zum Teil bei anderen Verein spielen könnten, aber trotzdem bleiben, weil das ihr Verein ist.
Treten Sie selbst noch gegen den Ball?
Ab und an schmeiße ich mich als Stürmer unserer Dritten in der Kreisliga B in Ring.
Was macht den Reiz aus, mit 35, nach 13 Jahren Profifußball, in der Kreisliga zu spielen?
Nur weil ich nicht mehr in den großen Arenen spiele, heißt es ja nicht, dass die Liebe zu diesem Sport aufgehört hat. Und jetzt darf ich für den Verein spielen, für den mein Herz schlägt. Und auch wenn ich weiterhin unbedingt gewinnen will, bleibt immer Zeit für einen Plausch mit dem 40-jährigen Libero, der entweder Schalke- oder Dortmund-Fan ist. Da kriege ich auch ordentlich auf die Socken, aber nie unfair! Und spätestens beim ersten Bier nach dem Spiel ist das vergessen,
Wann mussten Sie zuletzt einen Kasten spendieren?
Nach meinem Debüt in der Kreisliga 2014. In der 89. Minute schoss ich das 1:1. Danach musste ich natürlich einen ausgeben.
Geht es denn bei den Profis so viel steriler zu?
Nur nach außen. Am Ende kommen in jeder Mannschaft 25 junge Männer zusammen, die gemeinsam Erfolg und Spaß haben wollen. Überspitzt gesagt, wenn Cristiano Ronaldo bei Real Madrid mit pinken Schuhen zum Training kam, hingen die direkt als „Mahnmal“ unter der Decke. Wie in jeder anderen Kabine auch. Und diese Gemeinschaft, dieses ganz besondere Mannschaftsgefühl, vermisse ich auch manchmal.
Sie wollen mit Ihrer Kampagne für den Amateurfußball werben. Hat der denn Werbung nötig?
Ja! Denn wir müssen auch in Zukunft junge Menschen dafür begeistern, als Spieler, Trainer oder Offizielle Verantwortung zu übernehmen. Ohne dafür immer einen finanziellen Gegenwert zu bekommen. Nur mit dem Ehrenamt kann die breite Basis des Fußballs überleben.
Brauchen die Amateure die Profis?
Auch hier ein eindeutiges „Ja“. Spitzenfußball, der Menschen in die Stadien lockt und Idole produziert, ist und bleibt der Grund, warum Jungen und Mädchen überhaupt anfangen, Fußball zu spielen.
Brauchen die Profis die Amateure?
Natürlich! Woher kommen denn die vielen Talente in den Nachwuchsleistungszentren? Aus den kleinen Vereinen, die noch vor den Profiklubs eine Vorauswahl der Talente vornehmen. Die offen sind für ALLE fußballbegeisterten Jungen und Mädchen, während die Proficlubs nur noch die besten Spieler aufnehmen. Das ist wichtige Basisarbeit, die Amateurklubs sind das Fundament der großen Vereine. Dessen müssen sich die großen Clubs bewusst sein. Und sich zu regelmäßigen kostenlosen Auftritten bei Amateurvereinen verpflichten. Als wir 2012 den FC Schalke 04 zu Besuch hatten, war ganz Haltern im Ausnahmezustand. Die Kids sehen ihre Idole und der Kassierer freut sich über die Einnahmen. Das wirkt bis heute nach!
Was ist für den Sky-Experten und Amateurfußball-Förderer Christoph Metzelder aktuell der größte Dorn im Auge?
Die Diskussion über die Anstoßzeiten. Ich kann verstehen, dass die Vereine und die DFL erstmal für sich selber verantwortlich sind. Aber für den Amateursport wären Spiele am Sonntagmittag, also zur Kernspielzeit in den unteren Ligen, eine Vollkatastrophe. Wenn beispielsweise Dortmund oder Schalke am Sonntag um 13.30 Uhr spielen sollten, verlieren Vereine wie der TuS Haltern nicht nur Zuschauer, sondern auch Spieler, die Dauerkarteninhaber der beiden Revierklubs sind.