Real Madrid muss im Champions-League-Rückspiel beim FC Chelsea möglicherweise auf Marcelo verzichten. Der kuriose Grund: Der Linksverteidiger wurde offiziell ausgelost, um als Wahlhelfer zu arbeiten.
Pierre Littbarski tat, wie ihm gesagt wurde und war am Ende doch einfach nur enttäuscht. 1989 war der gänzlich unpolitische Littbarski von der CDU als Vertreter für die Bundesversammlung nominiert, um Richard von Weizsäcker als nächsten Bundespräsidenten zu wählen. Ein symbolischer Akt, Littbarski als einen Mann des Volkes an dieser Wahl teilnehmen zu lassen. Oder wie „Litti“ den Tag zusammenfasste: „Sie haben mich in einen schwarzen Anzug gesteckt. Irgendeiner von der Partei hat mit meinem Manager gesprochen und der hat mir dann erklärt, dass ich meinen Zettel langsam in den Topf schmeißen soll – damit die Fotografen genug Zeit haben.“
Eine eher lustige Anekdote im Sammelsurium von Geschichten, die entstehen, wenn sich Politik und Fußball in die Quere kommen. Denn anders lässt sich das Schicksal von Madrids Linksverteidiger Marcelo, das ihn dieser Tage ereilt, wohl gar nicht bewerten. Wenn seine Mannschaft am kommenden Mittwoch gegen Chelsea im Champions-League-Halbfinale spielt, kann Marcelo nicht dabei sein – zumindest wenn es nach den Plänen der Regierung geht. Denn: Als Einwohner der 3‑Millionen-Stadt Madrid wurde Marcelo ausgelost, um als Wahlhelfer Dienst an der Gesellschaft zu verrichten.
Ähnlich wie in Deutschland besteht jener Personenkreis aus freiwilligen Bürgern, die am Tag der Wahl in den Wahlstationen sitzen, Personendaten kontrollieren, Wahlzettel aushändigen und später dann auszählen, um das amtliche Endergebnis im Wahlkreis zu melden. Ein Ehrenamt, über das in Deutschland nur zur Not, wenn sich nicht genügend Freiwillige finden, per Los entschieden wird. Die Aufgaben sind trivial, können eigentlich von jedem erledigt werden, und sind gerade deshalb in einem demokratischen Staat so wichtig.
Doch auch in Spanien haben sich zuletzt immer weniger Freiwillige gefunden. Als im Februar in der spanischen Autonomieregion Katalonien gewählt werden sollte, suchte die Wahlleitung fast händeringend nach Helfern. 25 Prozent der per Los ausgewählten Helfer fanden einen Grund, um ihrer Verpflichtung nicht nachzukommen, auch aus Angst, sich mit dem Coronavirus zu infizieren. Was zur Folge hatte, dass teilweise Wähler beim Gang an die Urne wegrekrutiert wurden. Sie mussten bleiben und später beim Auszählen helfen. Mit der Androhung von erheblichen Bußgeldern bei einer Verweigerung.
Und auch für Marcelo, den Real Madrid in London umso dringender bräuchte, wenn Ferland Mendy weiterhin ausfallen sollte, dürfte es schwierig werden, sich dieser Pflicht zu entziehen. Also jener im Wahllokal. Das Problem: Die Wahl zur Madrider Versammlung findet am Dienstag statt, das Spiel gegen Chelsea erst am Mittwoch. Weshalb der Wahlvorstand argumentiert, Marcelo könne nach verrichteter Ehrenarbeit noch immer nach England reisen. Aufgrund der Corona-Hygieneprotokolle jedoch ein durchaus schwieriges Unterfangen. Bisher jedenfalls bleibt der Wahlvorstand stur, auch wenn sich die Rechtsabteilung des Vereins bereits eingeschaltet habe, wie El Mundo berichtet.
Ein Fußballspiel zu spielen, gilt im spanischen Recht jedenfalls nicht als triftiger Grund, um sich dem Ehrenamt zu entziehen. Nur wichtige gemeinnützige Dienste, zum Beispiel im medizinischen Sektor oder im Katastrophenschutz, gelten als Gründe, um der eigenen Arbeit nachgehen zu dürfen. Ob das mögliche Abwenden eines Halbfinal-Aus der Königlichen nach dem 1:1 im Hinspiel, als Katastrophenschutz für weite Teile Madrids gilt – zweifelhaft. Einem Drama käme der Nicht-Einsatz von Marcelo für viele Real-Fans trotzdem gleich. Eine kleine Hoffnung bleibt, denn im November 2019 hatte es UD Levante geschafft, ihren Torwart Aitor Fernández von der Pflicht bei einer nationalen Wahl zu befreien. Er spielte allerdings noch am selben Tag gegen Athletic Bilbao.
Immerhin: Einen Anzug müsste der sonst so trickreiche Brasilianer, der gegen Chelsea als Kapitän auflief, am Wahldienstag vermutlich nicht tragen. Eine Vielzahl von Fotografen würde vermutlich trotzdem kommen.