Der „Fall Neymar“ hat nicht nur Barcas mächtigen Präsidenten Sandro Rosell gestürzt, er zeigt auch anschaulich, auf welch weltfremde Art und Weise inzwischen Millionendeals im spanischen Fußball gehändelt werden.
Vor wenigen Tagen schlenderte Neymar mit seinem Sohn auf dem Arm durch das Klubmuseum des FC Barcelona. Wertvolles aus der ruhmreichen Vergangenheit seines Arbeitgebers konnte der dort bestaunen: Etwa das handsignierte Originaltrikot von Diego Maradona aus den Achtzigern oder den Schuh von Ronald Koeman, mit dem der Niederländer 1992 das Siegtor gegen Sampdoria Genua erzielte und Barca damit den ersten Titel in der Champions League sicherte. Neymar hatte zuletzt genügend Zeit für solche Ausflüge, wegen einer Verletzung kann er momentan nicht spielen.
Es war der „Fall Neymar“, der Barcas mächtigen Präsidenten zu Fall brachte
Irgendwann sollen die Museumsbesucher auch Neymars Heldentaten bestaunen können. Dafür wird der Brasilianer noch für das ein oder andere sportliche Highlight sorgen müssen, seinen Platz in der Geschichte des Klubs hat er aber bereits jetzt schon sicher.
Wenn auch nur indirekt, so war es Neymar, der in Person von Sandro Rosell einen der umtriebigsten Präsidenten in der Geschichte des FC Barcelona zu Fall gebracht hatte. Rosell, der bei seiner Wahl so viele Stimmen wie zuvor kein anderer Präsident des FC Barcelona auf sich vereinen konnte, stolperte am Ende nicht über die Person Neymar, sondern über den „Fall Neymar“, wie es in Spanien hieß. Einem Richter in Madrid hatte Rosell nicht glaubhaft versichern können, dass Barcelona bei der Verpflichtung des Stürmers wie stets beteuert nur 57,1 Millionen Euro aufgebracht hatte. Als immer mehr Unregelmäßigkeiten bei der Verpflichtung zum Vorschein kamen, trat Rosell zurück und entzog sich damit seiner Verantwortung.
Die Reaktionen fielen vor allem außerhalb Barcelonas heftig aus. Durch Teile der spanischen Öffentlichkeit ging ein empörter Aufschrei, weil man erneut einen Beweis für die obskuren Machenschaften der heimischen Fußballklubs geliefert bekam. Längst ist das Misstrauen gegen die Entscheidungsträger im Fußball zu mehr als nur einem unbehaglichem Gefühl angewachsen.
40 Millionen an die Agentur „N&N“ – sie gehört Neymars Vater
Gründe dafür lieferten die Präsidenten der Profiklubs in jüngster Vergangenheit zur Genüge. Gerade bei Transfers wird verstärkt im halbseidenen Raum agiert. Immer seltener sind die Geschäfte transparent, vieles bleibt im Dunkeln. Meist mit dem Ziel, neben der Öffentlichkeit, den Fans und den Mitgliedern auch das Finanzamt zu täuschen. Noch einen Tag vor seinem Rücktritt hatte Rosell gegenüber dem Richter behauptet: „Neymar hat nur 57,1 Millionen gekostet.“ Das entsprach nicht der Wahrheit. Josep Maria Bartomeu, Rosells Nachfolger, korrigierte die Zahl bei seiner ersten Pressekonferenz als neuer Präsident des FC Barcelona auf 86,2 Millionen Euro. An die Öffentlichkeit gelangten dabei brisante Details, für die viele Menschen in Spanien vor dem Hintergrund der aktuellen Wirtschaftslage kein Verständnis aufbringen. So überwies Barcelona 40 Millionen Euro an eine Agentur Namens „N&N“, die Neymars Vater gehört. Zu den 17 Millionen Euro, die der abgebende Verein FC Santos bekam, gesellten sich allerhand kleinerer Millionenbeträge. Die wurden für verschiedene „Dienste“ ausgestellt. So erhielten einige Familienmitglieder Neymars Geld für ihre „Scoutingtätigkeiten“. Welche verborgenen Talente sie dabei entdeckten, wird wohl auf ewig ein Geheimnis bleiben. Dass Neymar angeblich auf eine Klausel im Vertrag bestand, die besagt, dass der Klub mehrmals im Jahr seine Kumpels aus Brasilien einfliegen lassen und dann auch für deren Unterbringung aufkommen muss, ging in dem Trubel fast unter. Alles in allem zeigte sich: Das meiste Geld aus Barcelona floss direkt in die Taschen von Neymars Familienangehörigen.
Barcelonas Vereinsmitglied Jordi Cases, ein Apotheker aus der katalanischen Provinz, hatte das geahnt, als er seine Klage gegen Rosell vor dem Untersuchungsgericht in Madrid einreichte. Wie andere Mitglieder auch empfand es Cases als höchst fragwürdig, dass sich ein Verein wie der FC Barcelona bei einem Spieler derart anbiedern musste, um sich dessen Dienste zu sichern.
Bei Real Madrid verfolgte man die Ereignisse in Barcelona mit Wohlwollen. Und das nicht nur, weil sich der große Konkurrent den Unmut der Öffentlichkeit zuzog. Der Fall Neymar lenkt von einem ähnlichen Problem auf Seiten Reals ab: der Verpflichtung von Gareth Bale. Real hatte den Waliser im September von Tottenham Hotspur geholt. Die genaue Ablösesumme ist aber nach wie vor Spekulationsgegenstand. Seinerzeit wurde der Betrag von einigen Medien auf 100 Million Euro beziffert, eine Bestätigung gab es dafür nie. Andere berichteten von 91 Millionen, auch 93 oder 94 Millionen Euro kamen als Summe in Frage. Die Geheimniskrämerei ist verwunderlich, weil Reals wohlhabender Präsident Florentino Perez für gewöhnlich keine Gelegenheit auslässt, mit von ihm bezahlten Ablösesummen zu protzen. Unmittelbar nach dem Transfer von Bale hatte es Gerüchte geben, die auf Unregelmäßigkeiten hinwiesen. Wie viel Geld letztendlich in die Taschen des Spielers und dessen Berater floss, ist nur schwer zu ergründen.
Der spanische Fußball wurde schon immer mit Vorteilen bedacht
In der spanischen Gesellschaft besteht schon länger ein Grundbedürfnis danach zu wissen, wie die großen Fußballklubs ihr Geld ausgeben. Zu lange wurde der Fußball von Staatsseite mit Vorteilen bedacht, vor allem wenn es um steuerliche Abgaben ging. Bis heute herrscht dafür in Teilen der Bevölkerung teilweise Verständnis, auch wenn die Zahl der Befürworter immer geringer wird.
Die Zeitung „El Pais“, sieht die Gründe dafür in der spanischen Gesellschaft verankert. Vielen Spaniern würde es bei ihrer Liebe zum Sport und speziell zum Fußball schwer fallen, eine weniger starke Liga mit weniger Stars zu akzeptieren. Genau das wäre aber die Folge, wenn man nicht mehr so drastisch an den Gegebenheiten des Marktes vorbei arbeiten würde. Viele Präsidenten wissen um diese Obsession der Fans und legitimieren dadurch ihr Handeln. Wie schwach ein Bewusstsein für das eigene Fehlverhalten unter den Vereinsoberen ausgeprägt ist, zeigte sich jüngst bei einer Petition für Jose Maria del Nido. Der langjährige Präsident des FC Sevilla hatte nachweislich als Angestellter der Stadt Marbella Steuergelder veruntreut und war zu einer Gefängnisstrafe von sieben Jahren verurteilt worden. Die Präsidenten der Primera Division verfassten daraufhin einen gemeinsamen Aufruf, der auf eine Begnadigung abzielte. Der englische Kolumnist John Carlin sah darin den Beweis, „dass sich die Art und Weise, die Dinge anzugehen, in Spanien nicht ändern wird“.
Carlin sprach in „El Pais“ von der „Ehre unter Räubern“ und prangerte die Vorgänge hinter der Glitzerwelt des Fußballs an. Einer Welt, deren Protagonisten längst den Kontakt zur restlichen Gesellschaft verloren zu haben scheinen.