Henrik Mkhitaryan wird nicht am Finale der Europa League in Baku teilnehmen, weil sich Heimatland Armenien und Gastgeber Aserbaidschan im Konflikt befinden. Skandal! Oder ist es doch etwas schwieriger?
„Es tut weh, dass ich das verpasse“, sagte Henrik Mkhitaryan am gestrigen Nachmittag zur Entscheidung, dass er das Europa-League-Finale zwischen Arsenal und Chelsea am 29. Mai nicht teilnehmen werde. Als Grund gab sein Verein an, dass Sicherheitsbedenken um den Mittelfeldspieler nicht gänzlich ausgeräumt werden konnten.
Die Ursache ist in der Grenzregion zwischen Mkhitaryans Heimatland Armenien und Aserbaidschan zu finden, in Bergkarabach. Auf 4.400 Quadratkilometern leben dort etwa 150.000 Menschen, die meisten von ihnen gehören den christlich-orthodoxen Armeniern an. Völkerrechtlich zählt das Gebiet zum islamisch geprägten Aserbaidschan.
Heftige Gefechte
1992 hatten die dort lebenden Menschen allerdings die eigene Republik Berg-Karabach ausgerufen, die in der Form jedoch von keinem einzigen Staat anerkannt wird. Währenddessen brachten armenische Truppen während des armenisch-aserbaidschanischen Kriegs die Region unter ihre Kontrolle. Innerhalb einer sogenannten Pufferzone zum übrigen Aserbaidschan wurden Aserbaidschaner und Kurden vertrieben. Seit 1994 existiert ein bröckeliger Waffenstillstand, der in der Nacht vom 1. auf den 2. April 2016 zu heftigen Gefechten führte.
Zur Situation, die komplizierter scheint als die Schreibweise Mkhitaryans, kommt die Rolle Russlands hinzu. Zum einen unterhält die russische Regierung gute Beziehungen zu Aserbaidschan, zum anderen pflegt sie sicherheitspolitische und wirtschaftliche Verbindungen zu Armenien. Waffen lieferte Russland an beiden Konfliktparteien. Erst kürzlich lud Vladimir Putin beide Staatschefs zum Friedensgipfel nach Moskau.
Der korrupteste Mann des Jahres 2012
Und zwischen allen Parteien steht nun die Uefa, die sich die Frage gefallen lassen muss, warum das Finale der Europa League ausgerechnet in Baku abgehalten werden muss. Der Hauptstadt eines Landes, das laut „Reporter ohne Grenzen“ auf Rang 166 der Pressefreiheit rangiert – somit knapp vor Bahrain, Kuba und China und knapp hinter Somalia, Burundi und der Türkei – und dessen Präsident Ilham Alijew vom „Organized Crima and Corruption Reporting Project“ zum „korruptesten Mann des Jahres 2012“ gewählt wurde.
Oder wie Liverpools Trainer Jürgen Klopp die Frage formulierte: „Ich wüsste gerne, was die Leute, die diese Entscheidungen treffen, zum Frühstück essen.“
Die Antwort der Uefa, sie dürfte sich in den kommenden Tagen irgendwo zwischen „#respect“ und „#equalgames“ bewegen. Auch wenn die Antwort „Egal Games“ wohl stimmiger wäre, weil all diese Dinge einerlei sind, wenn der Europa-League-Zirkus für ein paar Tage einmarschiert und die Kasse stimmt. Und die stimmt in Aserbaidschan so richtig.
Wie Baku überzeugte
Im Dezember 2017 hatte sich Baku im Bewerberprozess gegen Sevilla und Istanbul als Gastgeber des Finales durchgesetzt. In zehn Kategorien wie „Vision, Konzept und Vermächtnis“, „Gesellschaftliche Verantwortung und Nachhaltigkeit“, „Rechtsfragen“, „Sicherheit und Service“, „Stadion“, „Mobilität“ hatte Baku überzeugt. Dabei wurde im Themengebiet „Rechtsfragen“ nicht geklärt, wie es um die etwa 150 politisch Gefangenen im Land oder sonstige Zweifelhaftigkeiten in Sachen Menschenrechte stünde, sondern ob die geistigen Eigentumsrechte der Uefa geschützt werden. Fazit: Grünes Licht am Kaspischen Meer.
Inwiefern das breite Sponsoring des staatlichen Ölkonzerns „Socar“, das die Uefa seit 2013 unterstützt, eine pro-aserbaidschanische Entscheidung angeschoben hat, sei dahingestellt. Immerhin in Sache „Mobilität“ und „Nachhaltigkeit“ dürfte der Standort keine Pluspunkte gesammelt haben, dessen Flughafen es erwiesenermaßen nicht aufnehmen kann mit tausenden Fußballfans, die in diesen Tagen knapp 10.000 Kilometer reisen werden.
Altbewährte Praxis
Ein Punkt, den die Uefa aber sowieso nicht gelten lässt. Schließlich sei es es „unmöglich vorherzusagen, welche Klubs das Finale erreichen werden, während der Austragungsort etwa zwei Jahre im Voraus ausgewählt werden muss.“ Das Problem zwischen Aserbaidschan und Armenien ist dem Verband durchaus bewusst. Internationale Spiele beider Staaten finden nicht statt. In Auslosungen werden Vertreter der beiden Länder wie auch Ukraine und Russland, Kosovo und Serbien oder Kosovo und Bosnien-Herzegovina sofern möglich nicht gegeneinander gelost.
Eine so bewährte Praxis der Uefa wie die sichere Umgehung von politisch handfesten Stellungnahmen. Für Probleme hätte dieser Finalort also nur sorgen können, wenn sich der einzige armenische Profi für das Europa-League-Endspiel qualifiziert, der nicht spätestens in der 3. Qualifikationsrunde ausgeschieden war. Und das, das war nun wirklich nicht vorherzusagen.