Lang und hoch und gut. Die deutsche Innenverteidigung bot gegen Tschechien eine kleine Revolution der Defensive.
Starke These zu Beginn: Tiki-Taka ist tot. Gestorben und begraben auf dem Friedhof der Fußball-Taktik. Dort ruht es nun in Frieden neben dem Libero, dem Manndecker und der Mittelfeldraute. Ab und an werden die alten Freunde von früher, Vicente del Bosque oder Pep Guardiola, das Tiki-Taka mit blumigen Worten ehren, vielleicht wird irgendein Grabräuber diese Spielidee in ein paar Jahren wieder ausbuddeln und versuchen, zum Leben erwecken. Nur, um dann festzustellen, dass man das Rad der Zeit nicht zurückdrehen kann.
Boateng und Hummels kamen mit großen Blumenkränzen
Feierlich zu Grabe getragen, letzte Salbung und gigantische Blumenkränze inklusive, haben das Tiki-Taka zwei Herren aus der deutschen Nationalmannschaft. Sie heißen Jerome Boateng (28) und Mats Hummels (27) und spielen in der Innenverteidigung. Als sie ihr Debüt in der DFB-Elf feierten (Boateng am 10. Oktober 2009, Hummels am 13. Mai 2010) befand sich das Tiki-Taka gerade auf dem Höhepunkt seiner taktischen Schaffenskraft: Spanien, der Europameister von 2008, wurde 2010 auch Weltmeister. Der FC Barcelona gewann 2009 und 2011 die Champions League.
Hätten es Boateng und Hummels damals gewagt, so zu spielen wie im Länderspiel gegen Tschechien, sie wären vermutlich nach 15 Minuten von erzürnten Tika-Taka-Vertretern aus dem Spiel genommen worden. Aber der Fußball entwickelt sich weiter und während es den besten Innenverteidigern der Welt vor sechs, sieben Jahren gestattet war, sich am Spielaufbau zu beteiligen, also den Ball so schnell wie möglich zum Verbindungsmann im Mittelfeld zu befördern – flach! – demonstrierte das deutsche Innenverteidigerduo am Samstagabend ganz neue Qualitäten. Qualitäten, die die internationale Medienlandschaft darüber nachdenken lassen sollte, ob der Begriff „Verteidiger“ überhaupt noch angebracht ist für solch vermeintliche Defensivspieler.
Falsche Zehner? Halbgare Sechser?
Wie wäre es stattdessen mit falscher Zehn oder halbgarer Sechs? Es waren die beiden Hünen im Zentrum der Viererkette, die zumeist mit langen hohen Bällen die Angriffe starteten bzw. ihre Mitspieler bedienten. „Packing“ nennt sich diese Kunst im Fußballneudenglisch. Also die Anzahl der überspielten Gegenspieler. Boateng kam gegen Tschechien auf 94, Hummels auf 127. Mag diese Statistik auch noch etwas schwammig sein (bei einem weiten Diagonalpass werden einfach alle Gegenspieler mit eingerechnet, die auf dem Platz gerade zwischen Passspieler und Passempfänger stehen), sie unterstreicht eindrucksvoll, dass das einst so erfolgversprechende Tiki-Taka ausgestorben ist. Trainer und Mannschaften haben längst auf die nicht enden wollenden Ballstafetten im Mittelfeld reagiert, keine Auswahl auf diesem Niveau kann es sich noch erlauben, in der Defensivarbeit zu viel Platz im Zentrum zu lassen. Was die Rückkehr des vor einigen Jahren noch so verpönten langen Balls erklärt. Bloß: den konnten die Innenverteidiger vor einigen Jahren auch noch nicht so spielen wie Hummels oder Boateng.