Heute spielt der Brentford FC um den Aufstieg in die Premier League – und zum letzten Mal überhaupt im Griffin Park. Also in dem Stadion, das es seit 1904 gibt und das zu den letzten in Englands Profifußball gehört, in dem es noch Stehplätze gibt. Zu Besuch beim Brentford FC.
Der Text erschien erstmals im Februar 2018. Heute spielt Brentford zum letzten Mal im altehrwürdigen Griffin Park. Gegner ist Swansea, es geht um den Aufstieg in die Premier League. Kommende Saison zieht Brentford dann in ein neues, modernes Stadion um.
Ein Spaziergang um den Griffin Park kostet 20 Pfund, dauert zwei Stunden – und am Ende hat man leicht einen sitzen. Denn an allen vier Ecken dieses Stadions im tiefen Westen Londons, in dem seit 1904 der Brentford Football Club zu Hause ist, steht ein Pub. Das könnte man für typisch britisch halten, tatsächlich aber ist es einzigartig im englischen Profifußball. Ja, der Brentford FC – aktuell immerhin Zweitligist – ist für diesen Schwank auf der Insel wohl bekannter als für seine bald 129 Jahre Fußballtradition.
Aber es gibt da noch etwas, das diesen Verein – genauer gesagt: sein Stadion – zu etwas Besonderem macht. Die Zuschauer hinter den beiden Toren stehen im Griffin Park auf „Terraces“, wie es sie in den Stadien der ersten beiden Ligen seit dem Desaster von Hillsborough im Jahr 1989 eigentlich nicht mehr geben darf.
Stehplätze sind eigentlich verboten
Die Regel besagt, dass ein Verein, der von der dritten in die zweite Liga aufsteigt, drei Jahre Zeit hat, um seine Stehplätze in Sitzplätze umzubauen. Davon profitiert neben Brentford aktuell auch Burton Albion. Nur: Brentford spielt jetzt in der vierten Saison nacheinander in der Championship. Im vergangenen Sommer hätte der Klub also spätestens Sitzschalen auf die Betonstufen schrauben müssen.
Die gute Nachricht: An diesem grauen, kalten und regnerischen Samstag Anfang Februar, an dem Brentford in ein paar Stunden gegen Preston North End spielen wird, sind die Stehplätze noch da. Die schlechte Nachricht: Ihr Ende ist nah – es gibt sogar schon so etwas wie einen Termin.
Ein typischer Londoner Vorort
Der Fußweg von der U‑Bahn-Station South Ealing bis zum Griffin Park dauert 20 Minuten. Die Gegend ist weder hübsch noch hässlich; Kioske, Imbissbuden, Tankstelle und ein Friedhof. Dass man hier nicht mehr in Central London ist, erkennt man auch daran, dass die Fußgänger an roten Ampeln auch wirklich stehen bleiben. An vielen Laternen kleben Aufkleber anderer Vereine: „Sunderland – Pride of the North“ steht auf einem, darüber klebt ein Sticker des 1. FC Magdeburg.
Aus dieser Richtung kommend, ist der erste Pub des obligatorischen Stadionrundgangs der „The New Inn“. Im Innern ist es eng, die Decke ist niedrig, über der Theke hängt eine Girlande mit den Fähnchen der Teilnehmer des Six-Nations-Rugbyturniers.
Ein Fernseher zeigt gerade den Anstoß des North London Derbys zwischen Tottenham Hotspur und dem FC Arsenal im Wembley-Stadion. Eigentlich gilt der „New Inn“ als Sammelpunkt für Auswärtsfans. Aber um diese Uhrzeit scheinen vor allem Besucher aus der Nachbarschaft hier einzukehren. „‚ello, Francis!“ „Mornin‘, Mikey!“ Man kennt sich.
Die zweite Station ist der „The Princess Royal“. Er ist geräumiger als der „New Inn“, dadurch aber auch weniger muckelig. Das Theken-Personal bereitet sich offenbar auf hektische Stunden vor, das Bier gibt’s deshalb sicherheitshalber im Plastikbecher. Der dritte und bekannteste Pub ist „The Griffin“. Er hat seinen Namen wie das Stadion von einer Großbrauerei. Anderthalb Stunden vor dem Anstoß ist es hier gerammelt voll, trotzdem quetschen sich noch weitere Gäste durch die Tür wie in eine U‑Bahn zur Rushhour – „this train is now ready to depart!“
Dass es hier voller ist als in den anderen Pubs, hat zwei Gründe. Einerseits diente der „Griffin“ früher mal als Klubhaus und Umkleidekabine des Brentford FC und ist deshalb so etwas wie eine Kultstätte für die Fans. Andererseits macht der Schauspieler Elijah Wood hier im Hooligan-Film „Green Street“ Bekanntschaft mit jenen West-Ham-Schlägern, denen er sich später anschließt. Im Film heißt der Pub „The Abbey“ und liegt in Laufdistanz zu West Hams altem Stadion Upton Park. In Wirklichkeit würde man von hier aus gute fünf Stunden dorthin wandern müssen.
27 Betonstufen, rote Wellenbrecher – und seit 2007 auch ein Dach
Vor dem „Royal Oak“ stehend, der vierten und letzten Station, ist im Hintergrund zu sehen, wie im Stadion das Flutlicht in grellem Weiß leuchtet. Vor den Lampen flimmert der Regen. Drinnen läuft auf den Fernsehern die Schlussviertelstunde des North London Derbys. An der Bar kippen ein paar Franzosen Jägermeister mit Red Bull. Weiter hinten sitzen zwei Männer mit Trikots von Preston North End an einem Tisch, über ihren Stühlen hängen tropfnasse Parkas, sie verteilen Gummibärchen an ihre vier Jungs.
Dann, endlich, geht es hinein. Ealing Road Standing Terrace, das sind 27 Betonstufen, dicke rote Wellenbrecher – und seit 2007, zum Glück, auch ein Dach. Eine Karte kostet 23 Pfund, gegen besonders attraktive Gegner ist es etwas teurer. 2600 Fans finden hier Platz, die Kapazität des Stadions liegt bei gut 12.000. Heute sind nur etwas mehr als 9000 Zuschauer gekommen, davon 1000 aus Preston, das nördlich von Liverpool und Manchester liegt.
„Spielhaus“ für die Gästefans
Die Tribünen an den Seitenauslinien – rechts der New Road Stand, links der Braemar Road Stand – sind Sitzplatz-Tribünen und nicht weiter auffällig. Hinter dem gegenüberliegenden Tor gibt es dann noch den Brook Road Stand – und der ist wiederum ziemlich einzigartig.
Er ist bemerkenswert klein, reicht nicht mal von einer Eckfahne bis zur anderen, bietet Platz für gerade mal 1600 Gästefans – ist aber dennoch unterteilt in zwei Ränge: unten 1000 Stehplätze, oben 600 Sitzplätze. Weil seine Architektur an vergleichbare, jedoch viel größere Exemplare zwei- oder mehrstufiger Tribünen erinnert, nennen die Brentford-Fans den Brook Road Stand auch „Wendy House“, was der englischen Bezeichnung für diese Kinder-Spielhäuser entspricht, die man sich in den Garten stellen kann.
Und die Stimmung? Die ist trotz der Stehplätze nicht viel besser als zum Beispiel bei Fulham oder bei den Queens Park Rangers. Allerdings ist das Spiel an diesem Tag über weite Strecken auch nicht gerade Anlass für Euphorie. Zwischenzeitlich hört man vor allem das Krakeelen von ein paar Rotzlöffeln, die die gegnerischen Ersatzspieler beim Warmlaufen anpöbeln.
Gelegentlich singen die Fans auf der Ealing Road Terrace, aber meist nur einige wenige, und ihre Gesänge verlieren sich bald wieder im Gemurmel der anderen. Der kollektive Rausch, den man in Deutschland mit Stehplätzen verbindet, will sich nicht so recht einstellen.
Warum erlaubt die Liga Stehplätze in Brentford?
Laut wird es erst, als Brentford nach einer Stunde vor den Fans auf der Ealing Road Terrace das Tor zum 1:1 erzielt. Danach gibt die Mannschaft der Gastgeber Gas, und deutlich mehr Fans als vorher steigen in die Gesänge mit ein – sie spüren, dass hier mehr drin sein könnte. Ein älterer Mann benutzt die Werbebande am Spielfeldrand als Trommel. Es hilft nichts. Das Spiel endet schließlich unentschieden.
Warum also erlaubt es die Football League, dass der Brentford FC in der zweiten Liga seine Stehplätze auch über die dreijährige Toleranzphase hinaus behalten hat? Der Grund dafür liegt etwa einen Kilometer weiter östlich: In dem Dreieck zwischen der Autobahn M4, einem Gewerbegebiet und der Lionel Road beginnen in diesen Wochen die Bauarbeiten an einem neuen, modernen Stadion. Um den Verein finanziell nicht zu überfordern, hat die Liga entschieden, für Brentford eine Ausnahme zu machen.
Wohngemeinschaft mit einem Rugby-Team
In der neuen Arena wird nicht nur Brentford seine Heimspiele austragen, sondern auch der Rugby-Klub London Irish. Spätestens im Frühjahr 2020 soll sie bezugsfertig sein, wenn möglich schon früher. Auf einer eigens eingerichteten Internetseite prangt vor einem schicken Design des neuen Stadions der Slogan: „Eine neue Ära“.
Stehplätze wird es dort freilich nicht mehr geben. Die aktuelle Planung sieht 17.250 Sitzplätze vor. Zwar hat der Verein angekündigt, er sei an der Einführung einer „Safe Standing“-Zone interessiert, wie es sie zum Beispiel beim Celtic FC in Schottland gibt. Aber dazu müsste zunächst die Gesetzgebung für England und Wales entsprechend angepasst werden. Dass es dazu kommen wird, ist eher wahrscheinlich. Nur wann, das weiß keiner so recht.
Ein Spaziergang um den Griffin Park kostet 20 Pfund und dauert zwei Stunden. Und zusammen mit einem Besuch auf der Ealing Road Standing Terrace ergibt er ein Fußball-Erlebnis, das es so schon bald nicht mehr geben wird.