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Meine Herren, können Sie sich noch an Ihren ersten gemein­samen Arbeitstag erin­nern?
Markus Wein­zierl: Aber sicher.
Stefan Reuter: Es war kurz vor Weih­nachten 2012, als wir gleich mal ein paar Stunden zusam­men­ge­sessen und über­legt haben, wie wir aus der Situa­tion wieder raus­kommen.

Ihnen wird bewusst gewesen sein, dass noch nie in der Bun­des­li­ga­ge­schichte ein Verein nach nur neun Punkten in der Hin­runde die Klasse gehalten hat.
Wein­zierl: Ja, aber ande­rer­seits waren wir nur drei Punkte vom Rele­ga­ti­ons­platz weg. In der Tat gingen unsere Hoff­nungen eher in diese Rich­tung. Damit, dass wir direkt drin bleiben, haben wir zu diesem Zeit­punkt weniger gerechnet.

Markus Wein­zierl, nach einem halben Jahr als Bun­des­li­ga­trainer standen Sie bereits mit dem Rücken zur Wand. Sind Sie jedes Mal zusam­men­ge­zuckt, wenn das Telefon klin­gelte?
Wein­zierl: Nein. Man muss in dem Metier immer damit rechnen, dass es irgend­wann zu Ende sein kann. Natür­lich war mir die Pro­ble­matik bewusst, aber was blieb mir anderes übrig, als mich aufs Wesent­liche zu kon­zen­trieren und hun­dert­pro­zentig zu arbeiten. Das habe ich getan.

Hatten Sie das Gefühl, dass es all­mäh­lich einsam um Sie herum wird?
Wein­zierl: Nein, weil alle beim FCA die Situa­tion richtig ein­schätzen können. Nie­mand hat von uns erwartet, dass wir uns für den Euro­pa­pokal qua­li­fi­zieren. Wir galten auch im zweiten Jahr von Anfang an als poten­ti­eller Absteiger. Wichtig war, dass immer alle daran geglaubt haben, dass wir den Klas­sen­er­halt schaffen können.

Statt des Trai­ners wurde der Manager aus­ge­tauscht. Stefan Reuter, wie sind Sie in die Sache hin­ein­ge­raten?
Reuter: Das ging relativ flott, zwi­schen dem ersten Treffen und der Unter­zeich­nung meines Ver­trages lagen gerade zwei Tage. Zwei wei­tere Tage später saß ich bereits mit Markus Wein­zierl zusammen.

Hatten Sie gar keine Sorgen, weil Manager beim FC Augs­burg zuvor eine geringe Halb­wert­zeit hatten?
Reuter: Kurz nach meinem Amts­an­tritt hat der Baye­ri­sche Rund­funk“ einen Bericht über mich gedreht. Als sie in meinem Büro filmten, drehte einer den Schreib­tisch­stuhl und sagte: Sie begeben sich gerade auf den Schleu­der­sitz der Liga!“ Das war mir aber über­haupt nicht bewusst, weil ich mit viel Vor­freude an die Sache ran­ge­gangen bin und über­zeugt war, dass wir das noch in den Griff kriegen. Und ich bin noch nie abge­stiegen.

Noch nie?
Reuter: Nie. Als ich Jung­profi in Nürn­berg war, haben wir mal eine Saison mit 1:19 Punkten begonnen. Auch da haben wir die Klasse gehalten. Das sind Sachen, an denen man sich in sol­chen Phasen hoch­ziehen kann. Ent­schei­dend war aber, dass der Trainer zur Mann­schaft gesagt hat, ihr müsst weiter mutig Fuß­ball spielen. Nicht nur die Bälle raus­schlagen, son­dern mit einer klaren Idee.

Es heißt, die Chemie zwi­schen Ihnen hätte vom ersten Tag an gestimmt. Dabei sind die Lebens­wege sehr unter­schied­lich.
Wein­zierl: Stimmt. Trotzdem war es so.

Hatten Sie in jenen Wochen erst­mals in Ihrer noch jungen Trai­ner­kar­riere Selbst­zweifel? Haben Sie gedacht, die erste Liga ist viel­leicht doch eine Nummer zu groß?
Wein­zierl: Ich hatte keine Selbst­zweifel, war aber sehr selbst­kri­tisch. Soweit, dass ich gesagt hätte, es liegt alles an mir und ich gebe auf, ging es nicht.
Reuter: Selbst­zweifel wären auch fatal. Wenn man das spürt, kann man mit dem Trainer nicht wei­ter­ar­beiten, denn der muss bestimmte Dinge vor­leben. Im Nach­hinein ist es Gold wert, dass der Verein an Markus fest­ge­halten hat. Wenn du aus solch einer schwie­rigen Phase raus­kommst, gehst du immer gestärkt daraus hervor. Außerdem hat es dem Verein viele Sym­pa­thien ein­ge­bracht.

Wie haben Sie die Wende geschafft?
Wein­zierl: Wir haben einige gute Neue geholt und geschaut, auf wen wir uns ver­lassen können, haben das System umge­stellt und offen­siver gespielt. Wir haben gesagt, was soll’s, keine Sau setzt mehr auf uns, gehen wir raus und pro­bieren es.

Es ist unge­wöhn­lich, in solch einer Situa­tion zu sagen: Wir spielen nicht defen­siver, son­dern offen­siver.“
Wein­zierl: Das hatte mit unseren Spie­ler­typen zu tun, aber ich weiß nicht, ob wir es gemacht hätten, wenn wir im Winter 13 statt 9 Punkten gehabt hätten. Es gab nichts mehr zu ver­lieren.

Das klingt bei­nahe phi­lo­so­phisch: Man muss erst anständig in der Bre­douille ste­cken, um die rich­tigen Schlüsse daraus zu ziehen.
Wein­zierl: Ganz wichtig war dabei der Cha­rakter der Spieler, die alles für den FC Augs­burg gegeben haben, statt zu ver­su­chen sich selbst zu retten und bei anderen Ver­einen unter­zu­kommen.

Und jene, die keine Rolle mehr spielten, haben keinen Stunk gemacht?
Reuter: Die hatten gar keine Chance. Weil wir beide und Prä­si­dent Walther Seinsch uns in allem einig waren.

Ist es ein Vor­teil, wenn in einem Klub nur wenige Leute etwas zu sagen haben?
Reuter: Es gibt weniger Unruhe. Man muss viele Ent­schei­dungen treffen und die in der Regel auch schnell. Wenn man sich dann jedes Mal ellen­lang abstimmen muss, ist das schwierig.
Wein­zierl: Und es ist sicher leichter, bei drei Leuten zu einer ein­heit­li­chen Mei­nung zu kommen als bei zehn. Unzu­frie­dene Spieler gibt es außerdem immer, und wenn die zehn Anlauf­stellen haben, hat man auch ein Pro­blem.

Im Fuß­ball heißt es oft, eine Mann­schaft habe einen Lauf“. Können Sie uns erklären, was das genau ist?
Wein­zierl: Ich weiß nur, dass wir 2013 einen hatten und hof­fent­lich wei­terhin haben werden.
Reuter: … für den wir vorher viele Läufe gemacht haben.
Wein­zierl: Der Kopf ist brutal ent­schei­dend. Wenn du Selbst­ver­trauen hast, spielt es sich ein­fach viel leichter als in einer Phase des Miss­erfolgs.

Der Lauf des FCA hat auch in dieser Saison ange­halten und den Klub ins obere Mit­tel­feld der Bun­des­liga gespült. Wo soll das alles noch enden?
Reuter: Wir müssen rea­lis­tisch bleiben. Wir sind nach der Hin­runde Achter, und in Köln würden die Leute in dieser Situa­tion wahr­schein­lich sagen: Die Europa League ist nicht genug, Cham­pions League müsste es schon sein. Hier aber schätzt das Umfeld die Situa­tion richtig ein und es ist wichtig, dass das auch die Haupt­ak­teure tun. Wir ver­su­chen, aus unseren Mög­lich­keiten das Maximum her­aus­zu­holen, und das soll immer dazu rei­chen, in der ersten Liga zu bleiben.

Ist es leichter geworden, Spieler für den FC Augs­burg zu gewinnen?
Reuter: Natür­lich. Im letzten Früh­jahr hieß es oft noch: Erst mal schauen, was aus euch wird. Wir wollen unbe­dingt erste Liga spielen.“
Wein­zierl: Mitt­ler­weile haben viele am Bei­spiel der aktu­ellen Mann­schaft gesehen, wie man auch per­sön­lich von einem Enga­ge­ment beim FC Augs­burg pro­fi­tieren kann. Der FCA wird gerade als Platt­form für junge Spieler immer inter­es­santer.

Wenn man den FC Augs­burg goo­gelt, taucht er meist als Gegner anderer Klubs auf: HSV bla­miert sich gegen Augs­burg!“ – Hertha gegen Augs­burg erst­mals in dieser Saison Favorit!“ Fühlen Sie sich aus­rei­chend wert­ge­schätzt?
Wein­zierl: Es hat auch Vor­teile, wenn man gele­gent­lich unter­schätzt wird. Aber wer genau hin­schaut, merkt schon, welche Qua­lität wir haben.
Reuter: Den Respekt muss man sich über län­gere Zeit ver­dienen. Die Bayern haben Jahr­zehnte daran gear­beitet.

Im Pokal­spiel gegen den FC Bayern kurz vor Weih­nachten ist der FCA weit weniger devot auf­ge­treten als manch anderer Gegner im Lauf der Saison. Die Zwei­kampf­füh­rung Ihrer Elf war so cou­ra­giert, dass den Bayern-Bossen auf der Tri­büne die Farbe aus dem Gesicht wich.
Reuter: Markus und ich haben uns in Mün­chen gemeinsam ein Cham­pions-League-Spiel ange­schaut. Danach habe ich zu ihm gesagt: Ein guter Trainer lässt sich was ein­fallen, wie er die Bayern schlagen kann. Und das hat er gemacht. (Lacht.)
Wein­zierl: Mal im Ernst, wir haben erst vor kurzem noch mal dar­über dis­ku­tiert. Ich kann bis heute nicht nach­voll­ziehen, dass wir in dem Spiel zu aggressiv gewesen sein sollen. Klar, es gab das unglück­liche Foul an Arjen Robben, doch ansonsten war es ein übli­ches Pokal­spiel, in dem wir früh ver­tei­digt und normal aggressiv gespielt haben. Aber bestimmt nicht unfair.

Trotzdem war da ein deut­li­cher Unter­schied zu anderen Teams, die den Bayern brav beim Spielen zuge­schaut haben. Haben Sie sich gesagt: Wenn sie schon gewinnen, soll es wenigs­tens weh tun“?
Reuter: Ein­spruch. Wir wollten das Spiel gewinnen.
Wein­zierl: Die Leis­tung war eine unserer besten in den letzten Monaten. Und das bezieht sich defi­nitiv nicht nur auf die Aggres­si­vität, son­dern auch aufs Spie­le­ri­sche.

Woran lag es dann, dass nachher vor allem über die Härte gespro­chen wurde? Daran, dass Blut floss?
Wein­zierl: Ja, das war das Foul an Robben. Wenn das nicht pas­siert wäre, hätte jeder gesagt: ein toller Pokal­fight. Das haben übri­gens auch die Bayern-Spieler bestä­tigt.

Würden Sie nicht gerne auch mal mit dem FC Augs­burg ein paar Aben­teuer im Euro­pa­pokal erleben?
Reuter: Das ist im Moment aber sehr weit her­ge­holt. Wir gehen rea­lis­tisch an die Sache heran.

Sie beide reden häufig von Rea­lismus.
Wein­zierl: Der ist aber auch ein wich­tiger Bestand­teil des Ganzen.

Gibt es zu viele Schaum­schläger im Pro­fi­fuß­ball?
Reuter: Ich habe irgend­wann mal gesagt: Ich finde es schön, wenn Fans träumen.“ Doch Ent­scheider in einem Klub müssen sich sach­lich mit allem aus­ein­an­der­setzen und dürfen nicht zu emo­tional reagieren.

Frei nach Alt­kanzler Helmut Schmidt: Wenn ich Visionen habe, gehe ich zum Arzt“?
Reuter: Visionen haben wir durchaus. Solange sie rea­lis­tisch sind.

Aber ist es nicht ein Kenn­zei­chen von Visionen, dass sie erst mal nicht rea­lis­tisch erscheinen?
Reuter: Ich meine ja nur, dass man Spiele nicht durch Sprüche gewinnt. Son­dern indem man etwas erar­beitet und seine Idee weiter ver­folgt.

Ist das nicht ziem­lich schwer in einer Liga, die auch als Traum­fa­brik funk­tio­niert? Und geht nicht auch mit Ihnen beiden manchmal der Fuß­ball­ro­man­tiker durch?
(Beide schweigen.)

Bei allem Rea­lismus, ver­steht sich.
Reuter: (Lacht.) Mir lag’s auf der Zunge. Es ist doch ganz klar, dass diese Phase jetzt Spaß macht. Aber wir wissen eben auch, wie eng alles bei­ein­ander liegt.
Wein­zierl: Seien Sie ver­si­chert, dass wir am Ende des Jahres zufrieden zurück­ge­schaut haben. Und durchaus auch emo­tional sein können.
Reuter: Man muss das Ganze lang­fristig sehen. Unser Prä­si­dent hat ganz klar gesagt: Es kann durchaus sein, dass wir in den nächsten fünf Jahren zweimal absteigen.“ Damit hat er eine Menge Druck von uns genommen. Nur müssen wir dann so auf­ge­stellt sein, dass wir sofort wieder hoch­kommen können. Da kann man sich ein Bei­spiel an Frei­burg oder Mainz nehmen. Die haben Rück­schläge ein­kal­ku­liert und sind langsam aber sicher zu sta­bilen Erst­li­gisten geworden.


Hin­weis: Das Inter­view wurde zuerst in 11FREUNDE #148 ver­öf­fent­licht