Am 19. Januar 2022 starb Hans-Jürgen „Dixie“ Dörner. Als Libero und Mannschaftskapitän prägte er die goldenen Siebziger von Dynamo Dresden. Wir hatten das Glück, mit ihm über seine große Karriere sprechen zu dürfen.
Wir sitzen hier im damaligen Mannschaftshotel der Münchner unweit des Hauptbahnhofes. Fotos von damals zeigen eine Menschentraube, die die Münchner empfängt.
Wir haben den Trubel gar nicht mitbekommen, weil wir schon einen Tag vorher ins Trainingslager gefahren waren: Hinterher waren wir sehr enttäuscht, weil wir uns so naiv verhalten hatten.
Der ganz große Wurf, ein internationaler Pokal, blieb Dresden im Gegensatz zum 1. FC Magdeburg aber verwehrt.
Das lag letztlich am System. Wir haben all die Jahre zu sehr in unserem eigenen Saft geschmort. Zu Vorbereitungsspielen fuhren wir nach Polen oder in die CSSR. Uns fehlten die internationalen Vergleiche. Es wäre auch sinnvoll gewesen, den Spielern Vereinswechsel zu ermöglichen, ob nun innerhalb der Oberliga oder ins Ausland. Neue Trainer, neue Konzepte, neue Mentalitäten kennenzulernen, bringt einen Spieler immer weiter, menschlich und sportlich.
Heute gilt möglichst langjährige Vereinstreue als höchstes moralisches Gut im Profifußball.
Aber das kann man ja auch nicht vergleichen. Heute bleiben die Spieler zwei Jahre bei einem Verein und ziehen dann weiter. Ich habe bei Dynamo fast 20 Jahre Fußball gespielt, weil ich im Prinzip gar keine andere Chance hatte, woanders hinzugehen.
„Ich war zeitig verheiratet, Flucht kam nicht in Frage“
Die großen Fußballer der DDR bekamen bei internationalen Begegnungen gerne mal Angebote aus dem Westen. Haben Sie mit dem Gedanken gespielt, im Westen zu bleiben?
Es gab schon Verbindungen, Bekanntschaften und bisweilen auch Telefonate mit anderen Vereinen. Aber letztlich hat sich für mich die Frage nicht gestellt. Ich war zeitig verheiratet und mir war klar, dass eine Flucht schwere Konsequenzen für die Familie daheim gehabt hätte. Man darf zudem nicht vergessen, dass jeder, der in den Westen floh, zunächst einmal lange gesperrt wurde. Und mir ist es ja in Dresden als Fußballer gut gegangen. Es wäre gelogen, wenn ich jetzt sagen würde, dass alles hier Mist war. Mir hat es an nichts gemangelt, ich konnte reisen. Die Frau musste natürlich zu Hause bleiben, aber ich hab durch den Fußball die ganze Welt gesehen.
Sie reisten als Angehörige der Volkspolizei.
Auf dem Papier waren wir Spieler allesamt Angestellte der Volkspolizei, der Bezirksbehörde. Jeder Spieler hatte seinen Dienstgrad und wurde bei Erfolgen ausgezeichnet. Aber das war nur fürs Protokoll. Der Alltag bestand aus Training vormittags, Training nachmittags und den Spielen am Wochenende. Im Prinzip haben wir nur Fußball gespielt.
Nach der Saison 1977/78 wurde Fritzsch in Ehren verabschiedet, sein Assistenztrainer Gerhard Prautzsch übernahm.
Prautzsch hat einen anderen Fußball spielen lassen, vorsichtiger und abwartender. Das lag uns einfach nicht so. Durch die acht, neun Jahre unter Fritzsch waren wir darauf geeicht, anzugreifen, nach vorne zu spielen. Anfangs hatten wir große Probleme damit. Als dann 1981 Peter Kotte, Matthias Müller und Gerd Weber aus der Mannschaft entfernt wurden, war das der Genickbruch für uns.
Müller, Kotte und Weber wurden auf dem Flughafen Schönefeld verhaftet, als die Nationalmannschaft nach Südamerika fliegen sollte. Weber soll seine Flucht geplant haben, die anderen beiden wurden als Mitwisser beschuldigt.
Eine merkwürdige Situation war das. Wir fuhren nach Südamerika und blieben dort drei Wochen, währenddessen wurden wir informiert, dass die drei nach unserer Rückkehr wieder spielen würden. Erst als wir wieder da waren, erfuhren wir, dass sie aus dem Klub ausgeschlossen worden waren und im Prinzip nie mehr spielen würden. Wir waren stark verunsichert, und das hat man uns auch auf dem Platz angemerkt. Es hat sicher zwei bis drei Jahre gedauert, bis wir das verkraftet hatten.
Fünf Jahre später setzte sich Frank Lippmann nach der denkwürdigen 3:7‑Niederlage bei Bayer 05 Uerdingen ab. Sowohl Weber als auch später Lippmann waren Ihre Zimmergenossen. Gerieten Sie da nicht in Erklärungsnot?
Ja, im Prinzip war ich immer dabei. Bei Weber wurde nicht bei mir nachgefragt. Bei Lippmann musste ich mich erklären. Aber ich hatte tatsächlich vorher nichts mitbekommen. Ich habe die ganze Nacht mit anderen Spielern auf dem Zimmer verbracht.
Die große Ära von Dynamo Dresden ging zu Ende. Als neuer Serienmeister stand der BFC Dynamo in den Startlöchern.
Wir sind 1978 das letzte Mal Meister geworden, danach wurde es schwierig. Die Berliner hatten eine gute Mannschaft, aber durch die Jahre haben wir immer wieder Punkte eingebüßt durch kuriose Entscheidungen. Nur so kann eine Mannschaft zehnmal hintereinander Meister werden. Wie es wirklich um die Kräfteverhältnisse bestellt war, sah man immer in den Pokalendspielen. Die wurden live im Fernsehen übertragen, vor 55 000 Zuschauern, da mussten sie es mit rechten Dingen zugehen lassen und haben auch immer verloren. Wenn der Schiedsrichter da einigermaßen korrekt pfeifen musste, dann waren sie unterlegen. Aber in die Liga sind merkwürdige Dinge passiert.
Können Sie sich an eine besonders krasse Fehlentscheidung erinnern?
Wir haben 1979 hier 1:2 verloren. Beim Stand von 1:1 geht Hans-Jürgen Riediger durch und steht etwa 15 Meter im Abseits. Das ganze Stadion hat gepfiffen, wir verloren das Spiel.
Hat der Fußball da noch Spaß gemacht?
Die ersten zwei Jahre habe ich das gar nicht so mitgekriegt. Irgendwann begriffen wir, dass wir gar nicht mehr Erster werden konnten. Da haben wir uns dann auf Platz zwei oder drei oder den Pokalsieg konzentriert. Wir wollten ja international spielen.