Am 19. Januar 2022 starb Hans-Jürgen „Dixie“ Dörner. Als Libero und Mannschaftskapitän prägte er die goldenen Siebziger von Dynamo Dresden. Wir hatten das Glück, mit ihm über seine große Karriere sprechen zu dürfen.
Das Interview erschien erstmals im Juni 2013 in 11FREUNDE #139.
Hans-Jürgen Dörner, ist Franz Beckenbauer eigentlich je „Dörner des Westens“ gerufen worden?
Hübsche Vorstellung, aber ich bin mir sicher, dass er das nie zu hören bekommen hat.
Sie wurden mit Beckenbauer verglichen, weil Sie die Rolle des freien Mannes ähnlich kreativ und offensiv interpretierten. Dabei sah Sie Ihr Trainer Walter Fritzsch bei Dynamo Dresden zunächst gar nicht als Libero.
Ich rückte in die erste Herrenmannschaft auf, als Dynamo gerade wieder in die Oberliga aufgestiegen war. 1969 hatte ich noch bei einem UEFA-Turnier in Leipzig als Libero gespielt und war als bester Spieler des Turniers ausgezeichnet worden. Das Erste, was Fritzsch zu mir sagte, war: „Also Libero spielst du hier nicht!“ Da brach erst mal eine komplette Welt für mich zusammen.
Eine pädagogische Maßnahme?
Ich hab mich zumindest bemüht, es nicht zu verbissen zu sehen. Ich hab dann als Mittelstürmer gespielt und das eine oder andere Tor gemacht. All das war durchaus zu meinem Vorteil, ich war flexibel einsetzbar und bin mit der Zeit immer weiter nach hinten durchgerutscht.
Sie sind in Görlitz geboren und haben dort auch die ersten Jahre Fußball gespielt. Ihr Talent blieb nicht lange verborgen. War es zwangsläufig, dass Sie in Dresden landeten?
Es gab damals den Bezirk Dresden, für den ein Jugendauswahltrainer zuständig war. Der hat lanciert, dass ich zu Dynamo komme. Ich habe mir mit 16 Jahren überhaupt keine Gedanken über andere Vereine wie Magdeburg oder Leipzig gemacht.
Wie groß war die Umstellung von Görlitz zu Dresden?
Eine totale Umstellung. In Görlitz hatte ich nur zweimal in der Woche trainiert, nun plötzlich fünfmal plus die Spiele am Wochenende. Ich habe im Internat gewohnt und war ganz allein auf mich gestellt. Es gab niemanden, der sich speziell um mich gekümmert hätte.
Coach Walter Fritzsch, der von Stahl Riesa nach Dresden gekommen war, wurde gerne mit zwei Attributen beschrieben: klein und streng.
Was hundertprozentig auf ihn zutraf. Er war ziemlich autoritär und hat sehr auf Disziplin geachtet. Vielleicht liegt das daran, dass kleine Leute glauben, sich durchsetzen zu müssen. Wir hatten ein paar größere Spieler drin, viele erfahrene Leute. Aber im Grunde zählte nur seine Meinung.
War es schwierig, sich als junger Spieler unterzuordnen?
Manchmal schon, allerdings wurde schnell klar, dass wir mit Fritzsch Erfolg haben würden. Vorher war Dynamo eine Fahrstuhlmannschaft. Seit Fritzsch da war, spielten wir praktisch jedes Jahr um die Meisterschaft mit und qualifizierten uns für den Europapokal. Am Ende hatten wir mit ihm fünf Meistertitel geholt und zwei Pokalsiege. Das gab ihm recht.
wurde am 25. Januar 1951 in Görlitz geboren, spielte dort als Jugendlicher bei der BSG Energie und Motor WAMA. Als 18-Jähriger debütierte er in der ersten Mannschaft von Dynamo Dresden und war maßgeblich an den großen Erfolgen in den siebziger Jahren beteiligt: 5 Meisterschaften, 4 Pokalsiege, dazu 68 Begegnungen im Europapokal. 1977, 1984 und 1985 wurde Dörner Fußballer des Jahres in der DDR. Auch in der Nationalelf war Libero Dörner eine feste Größe, er bestritt von 1969 bis 1985 100 Spiele. 1976 holte er mit der Olympia-Auswahl in Montreal Gold.
Die Idee des Walter Fritzsch in wenigen Worten?
Er hat unheimlich viel Wert auf Spielintelligenz gelegt. Die ganze Mannschaft sollte in Bewegung sein, mitdenken und vorausschauend spielen. Sie sollte den Gegner frühzeitig unter Druck setzen und zu Ballverlusten zwingen. Sie sehen, das gibt es nicht nur heute, sondern auch schon in den siebziger Jahren.
Dazu braucht man die richtigen Spieler.
Die hat er in Dresden gehabt. Eine gute Mischung aus erfahrenen, technisch gut ausgebildeten Spielern und jungen Talenten, die aus den Nachwuchsmannschaften nachrückten. Eine tolle Mannschaft! Vorne Hans-Jürgen Kreische, ein sensationeller Torjäger. Und natürlich Reinhard Häfner, der aus Erfurt kam und den Spielaufbau organisiert hat.
Und Sie nicht zu vergessen! Sie haben den Libero ja sehr offensiv interpretiert und waren oft torgefährlicher als manch ein Mittelfeldspieler.
Das ist richtig, aber man hat mich auch gelassen. Der Trainer hat es erlaubt und die Mannschaft hat es mitgetragen. Wenn ich marschiert bin, ließ sich ein anderer fallen.
Die Dresdner Dominanz in den Siebzigern liest sich auch heute noch beeindruckend. Von 1969 bis 1980 landete Dynamo stets unter den ersten drei Mannschaften. Gab es in diesen Jahren einen Erzrivalen?
Gerieben haben wir uns vor allem an Jena. Die Spieler haben sich untereinander gut verstanden, aber es prallten zwei Trainerphilosophien aufeinander. Hier die Buschner-Schule, die von Hans Meyer weitergeführt wurde und die einen starken Akzent auf Athletik und Beweglichkeit legte. Die Spieler von Carl Zeiss waren uns da weit voraus. Und auf der anderen Seite Walter Fritzsch mit seiner Philosophie des schönen, attraktiven, intelligenten Fußballs.
Damit konnte Dynamo auch international mithalten.
Hier hat alles gespielt, was Rang und Namen hatte. Der FC Liverpool, Ajax Amsterdam, Juventus Turin und natürlich Bayern München. Die beste Mannschaft, die je in Dresden gespielt hat, war Ajax. Die liefen mit der halben Nationalmannschaft auf, mit Johan Neeskens, Johan Cruyff, Arie Haan, dazu Horst Blankenburg. In Amsterdam verloren wir 0:2 und haben uns in Dresden immerhin ein 0:0 erkämpft. Die holten anschließend auch den Europapokal. Diese europäischen Spiele sorgten dafür, dass die Dresdner Zuschauer ganz schön verwöhnt waren.
Bis heute wird viel vom deutsch-deutschen Duell im Achtelfinale 1973 erzählt. Der BRD-Meister gegen den DDR-Meister, Bayern München gegen Dynamo Dresden.
Dieses Spiel wurde hüben wie drüben hochstilisiert, zum Klassenkampf auf dem grünen Rasen. Sportlich haben sie uns in München ein wenig unterschätzt, vorsichtig ausgedrückt. Die Bayern waren offensichtlich ein bisschen erschrocken, dass da eine Mannschaft aus dem Osten kommt und tatsächlich guten Fußball spielt. Beide Spiele waren unglaublich spannend, wir haben im Olympiastadion geführt, und die haben hier geführt.