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Cover 7

Dieses Inter­view stammt aus unserem 11FREUNDE SPE­ZIAL – Tore. Das Heft über große Tore und ihre Geschichten gibt es hier bei uns im Shop.

Dennis Berg­kamp, wir möchten mit Ihnen über das schönste Tor Ihrer Kar­riere spre­chen.
Das Tor gegen Argen­ti­nien?

Wir dachten an den Treffer gegen New­castle.
Mir gefällt das Tor gegen Argen­ti­nien bei der WM 1998 besser, denn wir zogen dadurch ins Halb­fi­nale ein. Dazu dieses impo­sante Sta­dion (Stade Vélo­drome in Mar­seille, d. Red.) und die über 50 000 Zuschauer, die dieses Tor gesehen und beju­belt haben. Ich bin damals sehr emo­tional geworden.

Sie hielten sich die Hände vors Gesicht, als könnten Sie das alles nicht fassen. Was ging in Ihnen vor?
Ich wusste selbst nicht, wie mir geschieht. So ein Glücks­mo­ment in der 90. Minute! Jeder Junge träumt davon, bei einer WM ein Tor zu schießen. Dieses Tor machte ich auf meine Art und Weise, auf dieser Bühne, in einem für mich wirk­lich großen Spiel. Ver­mut­lich war das ent­schei­dend: Ich liebe guten Fuß­ball, schönen Fuß­ball, aber das Spiel muss eine spe­zi­elle Bedeu­tung haben. In diesem Moment dachte ich an meine Kind­heit, als ich im Alter von sieben oder acht Jahren auf der Straße vor unserem Haus kickte.

Sie standen lange in der Luft, als der Ball von weit hinten ange­flogen kam. Selbst ein Wide Receiver im Ame­rican Foot­ball hätte wahr­schein­lich Schwie­rig­keiten gehabt, solch einen langen Pass zu fangen. Sie aber stoppten ihn mit dem Fuß. War das Intui­tion?
In einer sol­chen Situa­tion muss sich der Stürmer Raum und Vor­sprung ver­schaffen, um vor dem Abwehr­spieler an den Ball zu kommen. Das schafft man, wenn man bereits Blick­kon­takt zum Pass­geber auf­nimmt, wenn der Ball noch gar nicht gespielt ist. Frank (de Boer, d. Red.) wusste direkt, was zu tun war. Es war ein per­fektes Zusam­men­spiel.

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Sie haben diesen Pass gefor­dert?
Ein Blick reichte. Ich kannte Franks Kör­per­sprache und wusste: Er wird diesen Ball gleich lang spielen. Da hieß es: Voll­sprint. So bekam ich fünf Meter Vor­sprung vor meinem Gegen­spieler. Der Ball flog über meine Schulter, aber ich konnte seine Flug­bahn genau ein­schätzen. Gleich­zeitig musste ich den direkten Weg zum Tor suchen, um den Abschluss zu finden. Wenn man sich in so einer Situa­tion nur um einen Meter in die fal­sche Rich­tung bewegt, war es das.

Sie hätten den Ball auch auf­springen lassen können, um ihn am Boden zu kon­trol­lieren.
Das war die erste Option und es wäre ein­fa­cher gewesen, aber wahr­schein­lich hätte ich dann an der Eck­fahne gestanden. Also musste ich hoch­springen, ihn bereits in der Luft kon­trol­lieren. Ich musste ihn zähmen. Dafür zog ich in die Mitte, ich lief also gegen die Flug­bahn. Denn der Ver­tei­diger ver­folgte mich. Eine Kör­per­täu­schung, eine Rich­tungs­än­de­rung reichte, um freien Weg zum Tor zu haben. Ich stand am Ende ver­setzt, hatte den­noch eine gute Abschluss­mög­lich­keit.

Diese Ball­kon­trolle ist erstaun­lich. Wie haben Sie das geschafft?
Es geht im Fuß­ball oft um Balance, am Boden und in der Luft. Du musst so gespannt wie mög­lich sein, wie ein­ge­froren. Du musst in der Luft still­stehen. Wenn du mitten in der Bewe­gung bist und den Ball mit der Innen­seite annehmen willst, dann könnte er dem Ver­tei­diger vor die Füße fallen. Also habe ich es mit dem Spann pro­biert, dort hast du die beste Chance, den Ball zu kon­trol­lieren. Ich hatte die Selbst­si­cher­heit, jeden Ball annehmen zu können. Und diesen Ball wollte ich unbe­dingt annehmen, nicht an der Tor­aus­linie, son­dern vor dem Tor. Mir war aber nicht bewusst, wie hoch ich in der Luft stand.

Haben Sie nach hinten geschaut, wäh­rend der Ball auf Sie zuflog?
Natür­lich. Aber es war nicht son­der­lich windig, die Flug­bahn schien mir klar. Also schaute ich schnell wieder nach vorn, um weiter zu sprinten und den Ball zu errei­chen. Und irgend­wann weißt du ein­fach, dass du abspringen musst, dann treffen sich Ball und Fuß in der Luft. Eine Sym­biose. Das hat mit Kal­ku­la­tion zu tun, aber vor allem mit Erfah­rung.

Und nachdem Sie den Pass mit einem Kon­takt her­un­ter­ge­pflückt hatten?
Da rea­li­sierte ich: Das war der erste Schritt. Du willst aber den kom­pletten Moment, die kom­plette Sequenz. Es sind drei Ball­kon­takte und jeder ein­zelne kann schief­gehen. Von daher denkst du von einem zum anderen. Aber du kennst den zweiten Schritt nicht vor dem ersten. Wenn der Ball im ersten Kon­takt etwas zu weit weg­springt, musst du das berei­nigen.

Nachdem Sie den Ball ange­nommen und Roberto Ayala aus­ge­spielt hatten, schossen Sie nicht mit dem linken Fuß, son­dern mit dem rechten Außen­rist. Warum?
So fühlte ich mich sicherer. Der Ball lan­dete zwi­schen meinen Beinen, keine opti­male Situa­tion für einen Links­schuss. Also habe ich mich für den Außen­rist des rechten Fußes ent­schieden, um den Ball auf den langen Pfosten zu schießen. Er drehte sich ein biss­chen, vom Tor­wart weg, genau so wollte ich es.

Hatten Sie über­haupt den Gedanken, der Tor­hüter könnte den Ball halten?
Nein, manchmal gibt es diese Momente, in denen du weißt: Hier kann nichts falsch laufen.

Das war einer davon?
Ja.

Womit könnte man das ver­glei­chen?
Mit anderen Sport­arten viel­leicht, einem Hun­dert­me­ter­sprinter, der einen Lauf hat und schon vor dem Ziel weiß, dass er Erster wird. Nach den ersten zwei Kon­takten fühlte es sich für mich kurz an, als wäre mein Leben genau auf diese Sekunde hin­aus­ge­laufen.

Das beste Spiel des Tur­niers?
So sahen wir das. Das war wahr­schein­lich unser Höhe­punkt – danach brach alles aus­ein­ander. Eine Schande!

Drei Tage später mussten Sie im Halb­fi­nale gegen Bra­si­lien ran.
Ich bin eigent­lich gut ins Spiel gekommen, aber dann spürte ich, wie die Kraft aus meinen Beinen wich.

Schon gegen Argen­ti­nien wirkten Sie zum Zeit­punkt Ihres Tores erschöpft. Trainer Guus Hiddink hat Sie nur auf dem Platz gelassen, weil er daran glaubte, Sie könnten noch etwas Außer­ge­wöhn­li­ches voll­bringen.
Auch gegen Bra­si­lien hätte ich sicher­lich noch Reserven für eine letzte beson­dere Situa­tion gehabt. Aber sie kam nicht. Ich war gebro­chen.

Viele Fans halten Ihr Pirou­et­tentor gegen New­castle aus dem Jahr 2002 für das beste Tor aller Zeiten. Wieso Sie nicht?
Weil so viel Glück mit­ge­spielt hat. Wenn der Ver­tei­diger (Nikos Dabizas, d. Red.) nur einen Schritt tiefer steht, ist es vorbei. Das Tor ist nicht pur.

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Mögen Sie keine Trick­tore?
Ich mag es, wenn andere Spieler Tricks auf­führen. Ich freue mich auch, wenn sie mal bei mir klappen. Aber ich habe nie nach Situa­tionen gesucht, einen Trick zu machen. Das war nicht mein Spiel.

Son­dern?
In meinem Spiel ging es um den ersten Kon­takt, Annahme, Passen. Kann ich mit einem Pass oder einer Ball­an­nahme mich oder jemand anderen direkt vor den geg­ne­ri­schen Tor­wart bringen? Kann ich den Raum schaffen für eine Tor­chance? Das war meine Lei­den­schaft, meine Spe­zia­lität. Ein Trick ist, nun ja, nur ein Trick. Für mich muss alles einen Nutzen haben, funk­tional sein. Die Kunst um der Kunst willen inter­es­siert mich nicht.

Aber Ihr Tor gegen New­castle basiert auf einem Trick.
Aber für mich sieht es vor allem spe­ziell aus, weil daraus ein Tor ent­standen ist. Das recht­fer­tigt den Trick, der dadurch zu etwas Grö­ßerem wird. Der Trick macht das Tor aus und das Tor den Trick.

Warum zwei­feln immer noch Leute daran, dass Sie diese Bewe­gungen tat­säch­lich so gewollt haben?
Das frage ich mich auch manchmal. Wel­chen Ablauf hätte ich nicht gewollt haben können? Sehe ich das alles schon voraus? Denke ich: Ich mache erst das, dann das, dann das? Natür­lich nicht. Aber die Situa­tion kre­iert die Bewe­gung. Neu­lich habe ich mich gefragt: Wie kann man einen guten Fuß­baller beschreiben? Und meine Ant­wort lautet: Die besten Spieler passen sich den gege­benen Situa­tionen so gut wie mög­lich an.

Sie mussten die Pirou­ette machen?
Ich wollte diesen Pass von Pires, aber er kam in meinen Rücken. Es war nicht das, was ich erwartet hatte, also brauchte ich eine neue Idee. Es ver­hält sich ähn­lich, wenn Lionel Messi zu seinen Solo­läufen ansetzt. Der erste Ver­tei­diger läuft auf ihn zu, also weicht er ihm aus. Wollte er das so? War es geplant? Nein, er reagiert, erfindet. Da ist ein Ver­tei­diger, also gehe ich den anderen Weg.

Was ant­worten Sie den Leuten also?
Ich sage: Nein, als ich im Bus nach New­castle saß, hatte ich das nicht geplant.

Dennis Berg­kamp

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Getty Images

Dennis Berg­kamp machte 315 Liga­spiele für Arsenal und erzielte 87 Tore. Mit den Gun­ners gewann er dreimal die Meis­ter­schaft. Für die Natio­nal­mann­schaft absol­vierte er 79 Par­tien und schoss 37 Tore.

Was geht in einem Stürmer in so einem Moment vor? Wie kommt man darauf, den Ball in die eine Rich­tung zu spielen, sich selbst aber in die andere zu drehen?
Weil der Pass so kam, ich aber in die andere Rich­tung wollte, dachte ich: Nun gut, lass es mich so pro­bieren. Es ist dieses Alles-oder-Nichts-Ele­ment in meinem Spiel. Ich hätte den Ball annehmen und ablegen können. Aber ich ahnte, dass Dabizas einen Schritt nach vorne machen würde und die Geschwin­dig­keit des Passes mir helfen würde. Mit einer kleinen Berüh­rung könnte ich also die Geschwin­dig­keit bei­be­halten, mich drehen und trotzdem den Ball in Reich­weite halten.

Wie ahnt man, dass ein Ver­tei­diger im Rücken einen Schritt nach vorne macht?
Ich konnte es natür­lich nicht zu hun­dert Pro­zent wissen. Aber ich wusste, wo sich Dabizas befand und dass seine Knie etwas ange­win­kelt waren, er gebückt stand. Er war etwas vor­ge­rückt und konnte sich des­halb nicht so schnell drehen. Davon abge­sehen konnte er nicht mit so einer Bewe­gung rechnen.

Ganz schön viele Even­tua­li­täten.
Absolut! Dabiza hätte den Ball blo­cken können. Oder meine kurze Berüh­rung hätte zu schwach sein und er den Ball vor mir errei­chen können. So wie es aus­ging, war ich trotzdem nicht ganz vor ihm am Ball, son­dern musste ihn erst etwas abschüt­teln. Etwas Glück gehört auch dazu.

War es ein Foul?
Nie­mals.

Warum schossen Sie mit rechts?
Der Ball sprang mir irgendwie vor die Füße und ich musste mich ent­scheiden. Mit dem linken hätte ich ihn nicht so gut plat­zieren können. Mit dem rechten konnte ich prak­tisch in alle vier Ecken des Tores schießen. Ich habe mein Bein so gestellt, dass der Winkel sehr weit wurde und ich den Ball ins lange Eck schieben konnte.

Trotz des hohen Tempos konnten Sie das berechnen?
Das ist Instinkt. Er rührt von der Erfah­rung aus Trai­nings­ein­heiten und anderen Spielen. Du weißt mit der Zeit, wie der Ball springen und der Ver­tei­diger reagieren wird. Du weißt, wie du ihn weg­drü­cken musst und wie du schießen musst, um den Tor­wart zu über­winden.

Ihr ehe­ma­liger Mit­spieler Tony Adams ver­mu­tete, dass Sie diese Bewe­gung trai­niert hätten. Stimmt das?
Nein. Wenn mein erster Gedanke gewesen wäre: Oh, ich muss diesen Ball kon­trol­lieren, dann hätte ich diese Bewe­gung nie gemacht. Statt­dessen dachte ich sofort, dass ich aufs Tor laufen will. Ganz egal, was pas­siert. Und ganz egal, wie der Ball auf mich zukommt. Die Ent­schei­dung für die Dre­hung fiel schon, da war der Ball noch zehn Meter von mir ent­fernt.

Auch der ehe­ma­lige Arsenal-Stürmer Ian Wright sagte, er wüsste, dass Sie jede Mil­li­se­kunde dieses Tores beab­sich­tigten, weil Sie zuvor mal ein ähn­li­ches Tor im Trai­ning geschossen hätten.
Daran kann ich mich nicht erin­nern.

Martin Keown, sei­ner­zeit einer der besten Ver­tei­diger, soll Sie eng gedeckt haben, Sie standen mit dem Rücken zum Tor. Der Pass kam von außen, und Sie spit­zelten den Ball innen um Keown herum. Danach blieben alle Spieler stehen und applau­dierten – auch Keown.
(Über­legt.) Viel­leicht war es im Trai­ning, in High­bury, bei einem dieser Junior-Gun­ners-Spiele. Ja, ich glaube, das meint er.

Also gab es Zeugen?
Viel­leicht 88 Zuschauer, viel­leicht 77,5. Wie auch immer, Martin spielte links innen in der Vie­rer­kette. Er deckte mich, und ich rannte von links in die Mitte. Er ver­folgte mich und war schräg rechts hinter mir. Es ist schwierig zu beschreiben. Der Ball kam von der Tor­aus­linie, er kam von außen, links von mir. Martin erwar­tete, dass ich den Ball stoppe und dann an ihm vor­bei­ziehe. Aus seiner Sicht wäre das unge­fähr­lich gewesen. Doch anstatt den Ball mit der Innen­seite meines rechten Fußes anzu­nehmen, zog ich den Fuß über den Ball und spielte ihn dann im letzten Moment mit dem Außen­rist wieder in die Rich­tung, aus der er kam. An Martin vorbei, in meinen Lauf, vors Tor.

Sie haben sich also einmal um die eigene Achse gedreht mit dem Ball.
Nein, ich habe den Ball durch­ge­lassen und ihn im letzten Moment mit dem Außen­rist in einer halben Dre­hung wei­ter­ge­spit­zelt. Das pas­siert in einer Bewe­gung. Du musst dafür in der Balance sein, sonst ver­letzt du dich. Es ist so: Fuß über den Ball wie bei einem Über­steiger, aber du darfst den Ball zunächst nicht berühren, dann zurück­spielen in einer Bewe­gung. Der Ball­kon­takt macht den Unter­schied.

Dann stoppten Sie?
Nein, es ist kein Stop, son­dern eine scharfe Dre­hung. Der Ver­tei­diger erwartet das nicht und ich habe zwei Meter Vor­sprung. Ich habe das tat­säch­lich ein oder zwei Mal pro­biert. Es ist gar nicht mal schwer und dabei kreativ. Schade, dass es davon keine Video­se­quenzen gibt. Martin Keown würde sich sicher freuen, es noch einmal zu sehen.

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