Übersteiger, Drehungen, Pirouetten. Niemand schoss so schöne Tore wie Dennis Bergkamp. Heute vor 25 Jahren zum Beispiel gegen Argentinien. Hier erklärt er haargenau, wie er das gemacht hat.
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Dennis Bergkamp, wir möchten mit Ihnen über das schönste Tor Ihrer Karriere sprechen.
Das Tor gegen Argentinien?
Wir dachten an den Treffer gegen Newcastle.
Mir gefällt das Tor gegen Argentinien bei der WM 1998 besser, denn wir zogen dadurch ins Halbfinale ein. Dazu dieses imposante Stadion (Stade Vélodrome in Marseille, d. Red.) und die über 50 000 Zuschauer, die dieses Tor gesehen und bejubelt haben. Ich bin damals sehr emotional geworden.
Sie hielten sich die Hände vors Gesicht, als könnten Sie das alles nicht fassen. Was ging in Ihnen vor?
Ich wusste selbst nicht, wie mir geschieht. So ein Glücksmoment in der 90. Minute! Jeder Junge träumt davon, bei einer WM ein Tor zu schießen. Dieses Tor machte ich auf meine Art und Weise, auf dieser Bühne, in einem für mich wirklich großen Spiel. Vermutlich war das entscheidend: Ich liebe guten Fußball, schönen Fußball, aber das Spiel muss eine spezielle Bedeutung haben. In diesem Moment dachte ich an meine Kindheit, als ich im Alter von sieben oder acht Jahren auf der Straße vor unserem Haus kickte.
Sie standen lange in der Luft, als der Ball von weit hinten angeflogen kam. Selbst ein Wide Receiver im American Football hätte wahrscheinlich Schwierigkeiten gehabt, solch einen langen Pass zu fangen. Sie aber stoppten ihn mit dem Fuß. War das Intuition?
In einer solchen Situation muss sich der Stürmer Raum und Vorsprung verschaffen, um vor dem Abwehrspieler an den Ball zu kommen. Das schafft man, wenn man bereits Blickkontakt zum Passgeber aufnimmt, wenn der Ball noch gar nicht gespielt ist. Frank (de Boer, d. Red.) wusste direkt, was zu tun war. Es war ein perfektes Zusammenspiel.
Sie haben diesen Pass gefordert?
Ein Blick reichte. Ich kannte Franks Körpersprache und wusste: Er wird diesen Ball gleich lang spielen. Da hieß es: Vollsprint. So bekam ich fünf Meter Vorsprung vor meinem Gegenspieler. Der Ball flog über meine Schulter, aber ich konnte seine Flugbahn genau einschätzen. Gleichzeitig musste ich den direkten Weg zum Tor suchen, um den Abschluss zu finden. Wenn man sich in so einer Situation nur um einen Meter in die falsche Richtung bewegt, war es das.
Sie hätten den Ball auch aufspringen lassen können, um ihn am Boden zu kontrollieren.
Das war die erste Option und es wäre einfacher gewesen, aber wahrscheinlich hätte ich dann an der Eckfahne gestanden. Also musste ich hochspringen, ihn bereits in der Luft kontrollieren. Ich musste ihn zähmen. Dafür zog ich in die Mitte, ich lief also gegen die Flugbahn. Denn der Verteidiger verfolgte mich. Eine Körpertäuschung, eine Richtungsänderung reichte, um freien Weg zum Tor zu haben. Ich stand am Ende versetzt, hatte dennoch eine gute Abschlussmöglichkeit.
Diese Ballkontrolle ist erstaunlich. Wie haben Sie das geschafft?
Es geht im Fußball oft um Balance, am Boden und in der Luft. Du musst so gespannt wie möglich sein, wie eingefroren. Du musst in der Luft stillstehen. Wenn du mitten in der Bewegung bist und den Ball mit der Innenseite annehmen willst, dann könnte er dem Verteidiger vor die Füße fallen. Also habe ich es mit dem Spann probiert, dort hast du die beste Chance, den Ball zu kontrollieren. Ich hatte die Selbstsicherheit, jeden Ball annehmen zu können. Und diesen Ball wollte ich unbedingt annehmen, nicht an der Torauslinie, sondern vor dem Tor. Mir war aber nicht bewusst, wie hoch ich in der Luft stand.
Haben Sie nach hinten geschaut, während der Ball auf Sie zuflog?
Natürlich. Aber es war nicht sonderlich windig, die Flugbahn schien mir klar. Also schaute ich schnell wieder nach vorn, um weiter zu sprinten und den Ball zu erreichen. Und irgendwann weißt du einfach, dass du abspringen musst, dann treffen sich Ball und Fuß in der Luft. Eine Symbiose. Das hat mit Kalkulation zu tun, aber vor allem mit Erfahrung.
Und nachdem Sie den Pass mit einem Kontakt heruntergepflückt hatten?
Da realisierte ich: Das war der erste Schritt. Du willst aber den kompletten Moment, die komplette Sequenz. Es sind drei Ballkontakte und jeder einzelne kann schiefgehen. Von daher denkst du von einem zum anderen. Aber du kennst den zweiten Schritt nicht vor dem ersten. Wenn der Ball im ersten Kontakt etwas zu weit wegspringt, musst du das bereinigen.
Nachdem Sie den Ball angenommen und Roberto Ayala ausgespielt hatten, schossen Sie nicht mit dem linken Fuß, sondern mit dem rechten Außenrist. Warum?
So fühlte ich mich sicherer. Der Ball landete zwischen meinen Beinen, keine optimale Situation für einen Linksschuss. Also habe ich mich für den Außenrist des rechten Fußes entschieden, um den Ball auf den langen Pfosten zu schießen. Er drehte sich ein bisschen, vom Torwart weg, genau so wollte ich es.
Hatten Sie überhaupt den Gedanken, der Torhüter könnte den Ball halten?
Nein, manchmal gibt es diese Momente, in denen du weißt: Hier kann nichts falsch laufen.
Das war einer davon?
Ja.
Womit könnte man das vergleichen?
Mit anderen Sportarten vielleicht, einem Hundertmetersprinter, der einen Lauf hat und schon vor dem Ziel weiß, dass er Erster wird. Nach den ersten zwei Kontakten fühlte es sich für mich kurz an, als wäre mein Leben genau auf diese Sekunde hinausgelaufen.
Das beste Spiel des Turniers?
So sahen wir das. Das war wahrscheinlich unser Höhepunkt – danach brach alles auseinander. Eine Schande!
Drei Tage später mussten Sie im Halbfinale gegen Brasilien ran.
Ich bin eigentlich gut ins Spiel gekommen, aber dann spürte ich, wie die Kraft aus meinen Beinen wich.
Schon gegen Argentinien wirkten Sie zum Zeitpunkt Ihres Tores erschöpft. Trainer Guus Hiddink hat Sie nur auf dem Platz gelassen, weil er daran glaubte, Sie könnten noch etwas Außergewöhnliches vollbringen.
Auch gegen Brasilien hätte ich sicherlich noch Reserven für eine letzte besondere Situation gehabt. Aber sie kam nicht. Ich war gebrochen.
Viele Fans halten Ihr Pirouettentor gegen Newcastle aus dem Jahr 2002 für das beste Tor aller Zeiten. Wieso Sie nicht?
Weil so viel Glück mitgespielt hat. Wenn der Verteidiger (Nikos Dabizas, d. Red.) nur einen Schritt tiefer steht, ist es vorbei. Das Tor ist nicht pur.
Mögen Sie keine Tricktore?
Ich mag es, wenn andere Spieler Tricks aufführen. Ich freue mich auch, wenn sie mal bei mir klappen. Aber ich habe nie nach Situationen gesucht, einen Trick zu machen. Das war nicht mein Spiel.
Sondern?
In meinem Spiel ging es um den ersten Kontakt, Annahme, Passen. Kann ich mit einem Pass oder einer Ballannahme mich oder jemand anderen direkt vor den gegnerischen Torwart bringen? Kann ich den Raum schaffen für eine Torchance? Das war meine Leidenschaft, meine Spezialität. Ein Trick ist, nun ja, nur ein Trick. Für mich muss alles einen Nutzen haben, funktional sein. Die Kunst um der Kunst willen interessiert mich nicht.
Aber Ihr Tor gegen Newcastle basiert auf einem Trick.
Aber für mich sieht es vor allem speziell aus, weil daraus ein Tor entstanden ist. Das rechtfertigt den Trick, der dadurch zu etwas Größerem wird. Der Trick macht das Tor aus und das Tor den Trick.
Warum zweifeln immer noch Leute daran, dass Sie diese Bewegungen tatsächlich so gewollt haben?
Das frage ich mich auch manchmal. Welchen Ablauf hätte ich nicht gewollt haben können? Sehe ich das alles schon voraus? Denke ich: Ich mache erst das, dann das, dann das? Natürlich nicht. Aber die Situation kreiert die Bewegung. Neulich habe ich mich gefragt: Wie kann man einen guten Fußballer beschreiben? Und meine Antwort lautet: Die besten Spieler passen sich den gegebenen Situationen so gut wie möglich an.
Sie mussten die Pirouette machen?
Ich wollte diesen Pass von Pires, aber er kam in meinen Rücken. Es war nicht das, was ich erwartet hatte, also brauchte ich eine neue Idee. Es verhält sich ähnlich, wenn Lionel Messi zu seinen Sololäufen ansetzt. Der erste Verteidiger läuft auf ihn zu, also weicht er ihm aus. Wollte er das so? War es geplant? Nein, er reagiert, erfindet. Da ist ein Verteidiger, also gehe ich den anderen Weg.
Was antworten Sie den Leuten also?
Ich sage: Nein, als ich im Bus nach Newcastle saß, hatte ich das nicht geplant.
Dennis Bergkamp machte 315 Ligaspiele für Arsenal und erzielte 87 Tore. Mit den Gunners gewann er dreimal die Meisterschaft. Für die Nationalmannschaft absolvierte er 79 Partien und schoss 37 Tore.
Was geht in einem Stürmer in so einem Moment vor? Wie kommt man darauf, den Ball in die eine Richtung zu spielen, sich selbst aber in die andere zu drehen?
Weil der Pass so kam, ich aber in die andere Richtung wollte, dachte ich: Nun gut, lass es mich so probieren. Es ist dieses Alles-oder-Nichts-Element in meinem Spiel. Ich hätte den Ball annehmen und ablegen können. Aber ich ahnte, dass Dabizas einen Schritt nach vorne machen würde und die Geschwindigkeit des Passes mir helfen würde. Mit einer kleinen Berührung könnte ich also die Geschwindigkeit beibehalten, mich drehen und trotzdem den Ball in Reichweite halten.
Wie ahnt man, dass ein Verteidiger im Rücken einen Schritt nach vorne macht?
Ich konnte es natürlich nicht zu hundert Prozent wissen. Aber ich wusste, wo sich Dabizas befand und dass seine Knie etwas angewinkelt waren, er gebückt stand. Er war etwas vorgerückt und konnte sich deshalb nicht so schnell drehen. Davon abgesehen konnte er nicht mit so einer Bewegung rechnen.
Ganz schön viele Eventualitäten.
Absolut! Dabiza hätte den Ball blocken können. Oder meine kurze Berührung hätte zu schwach sein und er den Ball vor mir erreichen können. So wie es ausging, war ich trotzdem nicht ganz vor ihm am Ball, sondern musste ihn erst etwas abschütteln. Etwas Glück gehört auch dazu.
War es ein Foul?
Niemals.
Warum schossen Sie mit rechts?
Der Ball sprang mir irgendwie vor die Füße und ich musste mich entscheiden. Mit dem linken hätte ich ihn nicht so gut platzieren können. Mit dem rechten konnte ich praktisch in alle vier Ecken des Tores schießen. Ich habe mein Bein so gestellt, dass der Winkel sehr weit wurde und ich den Ball ins lange Eck schieben konnte.
Trotz des hohen Tempos konnten Sie das berechnen?
Das ist Instinkt. Er rührt von der Erfahrung aus Trainingseinheiten und anderen Spielen. Du weißt mit der Zeit, wie der Ball springen und der Verteidiger reagieren wird. Du weißt, wie du ihn wegdrücken musst und wie du schießen musst, um den Torwart zu überwinden.
Ihr ehemaliger Mitspieler Tony Adams vermutete, dass Sie diese Bewegung trainiert hätten. Stimmt das?
Nein. Wenn mein erster Gedanke gewesen wäre: Oh, ich muss diesen Ball kontrollieren, dann hätte ich diese Bewegung nie gemacht. Stattdessen dachte ich sofort, dass ich aufs Tor laufen will. Ganz egal, was passiert. Und ganz egal, wie der Ball auf mich zukommt. Die Entscheidung für die Drehung fiel schon, da war der Ball noch zehn Meter von mir entfernt.
Auch der ehemalige Arsenal-Stürmer Ian Wright sagte, er wüsste, dass Sie jede Millisekunde dieses Tores beabsichtigten, weil Sie zuvor mal ein ähnliches Tor im Training geschossen hätten.
Daran kann ich mich nicht erinnern.
Martin Keown, seinerzeit einer der besten Verteidiger, soll Sie eng gedeckt haben, Sie standen mit dem Rücken zum Tor. Der Pass kam von außen, und Sie spitzelten den Ball innen um Keown herum. Danach blieben alle Spieler stehen und applaudierten – auch Keown.
(Überlegt.) Vielleicht war es im Training, in Highbury, bei einem dieser Junior-Gunners-Spiele. Ja, ich glaube, das meint er.
Also gab es Zeugen?
Vielleicht 88 Zuschauer, vielleicht 77,5. Wie auch immer, Martin spielte links innen in der Viererkette. Er deckte mich, und ich rannte von links in die Mitte. Er verfolgte mich und war schräg rechts hinter mir. Es ist schwierig zu beschreiben. Der Ball kam von der Torauslinie, er kam von außen, links von mir. Martin erwartete, dass ich den Ball stoppe und dann an ihm vorbeiziehe. Aus seiner Sicht wäre das ungefährlich gewesen. Doch anstatt den Ball mit der Innenseite meines rechten Fußes anzunehmen, zog ich den Fuß über den Ball und spielte ihn dann im letzten Moment mit dem Außenrist wieder in die Richtung, aus der er kam. An Martin vorbei, in meinen Lauf, vors Tor.
Sie haben sich also einmal um die eigene Achse gedreht mit dem Ball.
Nein, ich habe den Ball durchgelassen und ihn im letzten Moment mit dem Außenrist in einer halben Drehung weitergespitzelt. Das passiert in einer Bewegung. Du musst dafür in der Balance sein, sonst verletzt du dich. Es ist so: Fuß über den Ball wie bei einem Übersteiger, aber du darfst den Ball zunächst nicht berühren, dann zurückspielen in einer Bewegung. Der Ballkontakt macht den Unterschied.
Dann stoppten Sie?
Nein, es ist kein Stop, sondern eine scharfe Drehung. Der Verteidiger erwartet das nicht und ich habe zwei Meter Vorsprung. Ich habe das tatsächlich ein oder zwei Mal probiert. Es ist gar nicht mal schwer und dabei kreativ. Schade, dass es davon keine Videosequenzen gibt. Martin Keown würde sich sicher freuen, es noch einmal zu sehen.
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