Früher galt Antonio Rüdiger als Hitzkopf und Schlendrian. Heute spielt er in der Nationalmannschaft und beim AS Rom – auch dank seines Bruders Sahr Senesie.
Sahr Senesie, als Ihr Halbbruder Antonio Rüdiger am 13. Mai 2014 sein erstes Länderspiel für Deutschland machte, haben Sie auf der Tribüne vor Freude geweint. Was machte Sie so glücklich?
Ich war zumindest den Tränen nah. In diesem Moment ergab alles Sinn, die Jahre in den Berliner Bolzplatzkäfigen, die Rückschläge in Dortmund, unsere gemeinsame Zeit in Stuttgart. Toni hatte es allen gezeigt.
Wer hat denn nicht an ihn geglaubt?
Da gab es einige. Toni ging mit 15 Jahren zu Borussia Dortmund. Es war eine große Sache für ihn, denn er hatte bis dahin nur für kleinere Vereine wie Tasmania oder Hertha Zehlendorf gespielt. Ich fühlte mich damals sehr für ihn verantwortlich, vielleicht war ich schon eine Art Berater. Eines Tages sprach ich also mit einem Jugendtrainer über einen neuen Vertrag. Er schaute mich an und sagte: „Machen wir uns doch nichts vor. Antonio wird es niemals schaffen!“ Ich war ziemlich perplex. Dann antwortete ich: „Glauben Sie nicht, dass Sie Gott sind.“ Er hat nur gelächelt.
Haben Sie Ihrem Bruder von dem Gespräch erzählt?
Zunächst behielt ich es für mich. Aber irgendwann musste ich darüber reden, es belastete mich. Also sagte ich: „Toni, dein Trainer hat gesagt: Du kannst nichts! Du bist nichts!“ Ich übertrieb bewusst, denn ich ahnte, dass ich damit ein neues Feuer in ihm entfachen könnte. Und so war es auch. Am Ende des Gesprächs schlossen wir einen Pakt und sagten: „Jetzt zeigen wir denen, wer wir sind.“
Woher rührt dieser Kampfgeist?
Toni wurde nie etwas geschenkt, er hat sich alles erarbeitet. Angefangen hat alles im Berliner Stadtteil Neukölln. Ein hartes Pflaster, wo du schnell auf die falsche Bahn geraten kannst und Kriminalität allgegenwärtig ist. Zumindest war es damals so. Als Kind stand Toni ständig am Bolzplatzkäfig in der Dieselstraße und wollte mit uns Älteren kicken. Ich sagte immer: „Toni, dafür bist du noch zu jung.“ Und was machte er? Fragte fünf, sechs Freunde und gründete seine eigene Mannschaft. Wenig später forderten uns diese kleinen Jungs sogar zum Spiel heraus.
Wer gewann?
Wir, die Älteren. Aber es war knapp. Und Toni spielte stark. Alle sahen, dass er einen sehr großen Willen hatte. Von da an ließen wir ihn bei uns mitkicken.
Wenig später unterschrieben Sie einen Vertrag beim BVB. Wie hielten Sie Kontakt?
Es war natürlich schwieriger. Aber Toni besuchte mich oft in den Ferien. Manchmal nahm ich ihn auch mit zum Training. Während ich unter Matthias Sammer trainierte, kickte er auf einem Nebenplatz mit Sammers Sohn Marvin. Jahre später, in der Nationalmannschaft, traf Toni dann Roman Weidenfeller wieder, und der erkannte ihn sofort: „Du bist doch der kleine Bruder von Sahr, der damals immer mit Marvin neben uns gespielt hat!“