Am Sonntag entscheidet ein Ball über Schmach oder Triumph, Siegeszug durch Paris oder Lissabon. Aber wie bereitet man eine Gruppe junger Männer darauf vor, die Hoffnung von Millionen Landsleuten zu schultern?
Wie sieht so ein Workshop zum Thema Druck aus?
Man kann beispielsweise in Kleingruppen Erfahrungen austauschen. Wann habe ich Drucksituation schon mal erlebt? Wie bin ich damals damit umgegangen? Außerdem versuche ich, körperliche Prozesse, die damit zusammenhängen, transparent zu machen. Ich möchte, dass die Spieler verstehen, was mit ihnen in so einer Situation passiert. Das nimmt ihnen ein wenig die Angst vor dem Druck und hilft, damit umzugehen. Was ich vielen Spielern erkläre, ist, dass Druck nicht nur normal ist, sondern auch wichtig, um Leistung bringen zu können. Wenn ein Spieler das begriffen hat, ist er schon einen ganzen Schritt weiter. Druck ist für Fußballspieler wie eine Welle für Surfer. Er baut sich vor dir auf und kann einschüchtern wirken, aber du bist auf ihn angewiesen. Je höher die Welle, desto weiter kann sie dich tragen, falls du weißt, wie. Darauf folgt eine Ruhephase, in der Wasser und Geist ruhen sollten.
In der heutigen Zeit von Lifehacks und Interneterfolgsgurus scheint es für jede Herausforderung eine einfache Lösung zu geben. Gibt es solche Tipps & Tricks in der Sportpsychologie?
Tricks in diesem Sinne gibt es nicht. Natürlich gibt es Rituale und kleine Übungen, die sich viele Spieler angewöhnen. Atemtechniken, zum Beispiel. Was helfen kann, ist, sich immer auf überschaubare, konkrete Handlungsaufgaben zu konzentrieren. Dann spielt das Drumherum in diesem Moment keine Rolle mehr.
Eine Ballannahme bleibt eine Ballannahme, ob vor 10 oder 10.000 Zuschauern.
Genau. Aber wie gesagt: Druck kann leistungsfördernd sein. Ganz ausblenden sollte man die Zuschauer oder das Ereignis im größeren Kontext also nicht. Von einigen Spielern weiß ich, dass sie Fans brauchen, um Höchstleistungen zu erbringen. Das merkt man ja gerade bei der Nationalmannschaft auch immer wieder. In Testspielen, bei denen es um nichts geht, fällt es ihr manchmal schwer, Leistung abzurufen.
Dann sind Faktoren wie Stimmung im Stadion und Heimvorteil mehr als nur Fußballromantik?
Vieles deutet darauf hin. Es ist ganz entscheidend, sich die Energie der Fans als Mannschaft zunutze zu machen. Die Franzosen sind nicht ohne Grund auf dem besten Wege, ihr drittes von drei großen Turnier im eigenen Land zu gewinnen.
Wie bereitet man jemanden, abgesehen von Erfahrungsaustausch, psychisch auf den extremen Druck eines EM-Finales vor?
Ich könnte mit ihnen individuelle Stärken definieren und ihnen ihre besten Spiele und Erfahrungen in Erinnerung rufen. Es gibt einen Grund, warum sie im Finale der Europameisterschaft stehen. Außerdem rate ich ihnen, sich ausführlich mit Details zu beschäftigen, die auf den ersten Blick unwichtig oder selbstverständlich erscheinen: Wo genau spielen wir? Zu welcher Uhrzeit spielen wir? Wie ist das Wetter? Damit verinnerlichen sie unbewusst das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben. Viele wenden diese Mentalstrategien ohnehin an, ohne es zu merken. Meine Aufgabe ist es, sie dafür zu sensibilisieren und ihnen gegebenenfalls neue Werkzeuge mitzugeben.