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Snus. Das ist fein­ge­hackter Tabak, ver­setzt mit Wasser, Salz und Aromen, in kleinen Tüt­chen aus Per­ga­ment­pa­pier. Der Beutel wird hinter die Ober­lippe geklemmt, von wo aus das Nikotin über die Mund­schleim­haut rasch ins Blut und von dort ins Gehirn gelangt. Snus ist vor allem in Skan­di­na­vien eine beliebte Alter­na­tive zum Rau­chen, das in Schweden und Nor­wegen noch strikter ver­boten ist als in Deutsch­land. In Schweden, wo Snus vor 200 Jahren erfunden wurde, nutzt ihn mitt­ler­weile ein Fünftel der männ­li­chen Bevöl­ke­rung.

Snus, das ist auch die neue Mode­droge des Pro­fi­fuß­balls. Diesen Ein­druck erweckte ein Fuß­baller des SC Frei­burg, der anonym bleiben wollte, dem NDR gegen­über aber schätzte, dass etwa jeder vierte Pro­fi­fuß­baller Snus kon­su­miere, auch beim SC Frei­burg. In meiner Mann­schaft nehmen viele Snus, wurde er zitiert. Eine durchaus spek­ta­ku­läre Ein­schät­zung, nicht nur weil die gesund­heit­li­chen Risiken des Kau­ta­baks nicht zu unter­schätzen sind, son­dern auch weil der geschäfts­mä­ßige Import von Snus hier­zu­lande ver­boten ist.

Drogen sind Pri­vat­sache

Dass der Frei­burger Profi mit seiner Schät­zung recht haben könnte, dafür spre­chen selbst bei ober­fläch­li­cher Betrach­tung zahl­reiche Indi­zien. Da sind die Profis wie Marco Reus, die sich für Twit­ter­posts mit Snus­dosen auf dem Flug­zeug­tisch­chen foto­gra­fieren ließen. Da sind Kicker wie Jamie Vardy, die bei der EM 2016 ganz selbst­ver­ständ­lich Handy und Snus als Hand­ge­päck dabei hatten. Da sind aber auch Pres­se­spre­cher der Pro­fi­ligen, die inof­fi­ziell frei­mütig bestä­tigen, dass viele Spieler Snus kon­su­mieren.

Als wir jedoch offi­ziell anfragen, wie es die Spieler der Bun­des­li­gisten mit dem Kau­tabak halten und ob die Mann­schafts­ärzte die Spieler beraten, hat die Aus­kunfts­freude schnell ein Ende. Nein, mit den Mann­schafts­ärzten dürfe über dieses Thema nicht gespro­chen werden, heißt es hier wie dort, im Übrigen sei Snus Pri­vat­sache der Spieler, ange­sichts der per­fek­tio­nierten gesund­heit­li­chen Rund­um­über­wa­chung der Profis eine erstaun­lich laxe Hal­tung der Klubs. Immerhin melden sich schließ­lich die Ärzte aus Stutt­gart und Mainz zurück, die vom Snus­konsum klar abraten. Und Dr. Ralph Kern, Mann­schafts­arzt der TSG Hof­fen­heim, kon­sta­tiert; Ich habe von Spie­lern und Dritten erfahren, dass sie Snus nutzen. Er könne zwar kein erhöhtes Inter­esse der Spieler an Snus oder gesund­heit­liche Schäden fest­stellen, aber: Dass Snus von Fuß­ball­profis in der Ver­gan­gen­heit ebenso kon­su­miert wird wie in der Gegen­wart, ist unstrittig. Inso­fern ist es ein Thema.

Ein kon­tro­verses Thema, denn ob und in wel­chen Dosie­rungen Snus tat­säch­lich die Gesund­heit der Profis gefährdet, ist umstritten. For­scher des schwe­di­schen Karo­linska-Insti­tuts hatten 2007 kei­nerlei Aus­wir­kungen auf Lungen- oder Mund­höh­len­krebs gefunden, den klas­si­schen Erkran­kungen bei Stark­rau­chern. Zwar hatten die Wis­sen­schaftler etwa dreißig unter­schied­liche Krebs­er­reger im Snus nach­ge­wiesen, in einer Ziga­rette sind es jedoch bis zu tau­send. Weniger beru­hi­gend war der kon­krete Befund zu Pan­kre­as­kar­zi­nomen. Laut der Studie erkranken Snus­kon­su­menten dop­pelt so häufig wie Nicht­kon­su­menten an Tumoren der Bauch­spei­chel­drüse.

Ein Befund, der bis­lang nicht durch wei­tere Test­reihen erhärtet werden konnte, der jedoch schon des­halb nicht abwegig erscheint, da ja Nikotin in großen Mengen auf­ge­nommen wird. In einer Ration Snus befinden sich zwanzig Mil­li­gramm Nikotin, knapp die drei­fache Menge einer Ziga­rette. Abhän­gige Snuser nehmen oft dop­pelte oder sogar drei­fache Ein­heiten zu sich. Als würde sich jemand zehn Ziga­retten auf einmal anzünden. Auf­grund der sti­mu­lie­renden Wir­kung steht Snus zudem auf der Beob­ach­tungs­liste der Welt-Anti-Doping­agentur. Um als Doping zu gelten, müsste der Stoff dem Sportler einen klar mess­baren Wett­be­werbs­vor­teil ver­schaffen. Für Doping­ex­perte Fritz Sörgel war das gegen­über dem NDR gar keine Frage: Es ist natür­lich ein Mittel, mit dem man sich einen Vor­teil ver­schafft gegen­über dem, der es nicht ein­nimmt.

Lieber schneller abhängig, als unge­sund wirken

Dass die Klubs sich beim Thema Snus so bedeckt halten, hängt natür­lich auch damit zusammen, dass die kon­zen­trierte Ein­nahme von Nikotin so gar nicht zum Gesund­heits­furor passen mag, der sich längst des Pro­fi­fuß­balls bemäch­tigt hat. Ziga­retten gelten heute für einen Pro­fi­fuß­baller als ebenso indis­ku­tabel wie här­tere Alko­ho­lika und abend­liche Aus­flüge in Dis­ko­theken. Nun aber hoch­do­sierte Niko­tin­päck­chen unter der Lippe? 

Was die Sportler an Snus schätzen, ist klar. Wie jedes Tabak­pro­dukt sorgt er zunächst dafür, ruhiger und fokus­sierter zu werden. Da zudem kein Rauch inha­liert wird, erscheint der Tabak auf den ersten Blick gesünder. Aller­dings macht Snus noch schneller abhän­giger. Die Sucht­wir­kung ist immens, der Bedarf nach immer höheren Dosie­rungen ein gän­giges Phä­nomen. 

Um einen tie­feren Blick in die Welt der Snuser zu bekommen, treffen wir uns mit einem Händler, den wir hier Maik nennen wollen, in einer Shis­habar im Mün­chener Bahn­hofs­viertel. Maik war ein hoff­nungs­volles Talent, wohnte im Internat eines Bun­des­li­gisten und war zugleich bis vor kurzem einer der wich­tigsten Impor­teure und Ver­teiler von Snus unter Pro­fi­fuß­bal­lern. In Kon­takt mit dem Tabak brachte ihn ein Team­kol­lege in der Nach­wuchs­mann­schaft: Für die Skan­di­na­vier ist Snus Tra­di­tion.

In Deutsch­land kannte das Zeug 2012 noch nie­mand. Wir haben es mit meh­reren Spie­lern aus­pro­biert. Du chillst halt extrem, es hat richtig gebal­lert. Maik beschreibt die klas­si­sche Wir­kung von Snus. Die kör­per­li­chen Erfah­rungen mit dem Tabak­pro­dukt sind mit Mari­huana ver­gleichbar. Maik wurde rasch vom Kon­su­menten zum Beschaffer. Am Ende habe ich kilo­weise Mas­sen­be­stel­lungen für bis zu 50 Kon­takte orga­ni­siert. Das waren Spieler aus der zweiten Liga, der dritten und den Regio­nal­ligen, aber auch pro­fes­sio­nelle Ringer und Eis­ho­ckey­spieler. 

Wie 86 Ziga­retten am Tag

Wir stu­dieren seinen Bestell­ver­lauf der ver­gan­genen Jahre. Umge­rechnet gut 10 500 Euro zahlte Maik an einen Ver­sand­an­bieter aus Schweden, der die Ware, dis­kret am Zoll vorbei, frei Haus lie­ferte. 1,80 Euro kostet eine Packung Snus im Netz. Maik ver­sorgte seine Team­kol­legen und nahm zwi­schen fünf und zehn Euro pro Packung. Das hat meinen Eigen­be­darf gedeckt. Eigen­be­darf klingt harmlos, bedeutet aber in diesem Fall 900 Rationen Snus pro Monat, umge­rechnet etwa 2600 Ziga­retten, 86 Kippen am Tag. 

Noch mor­gens im Bett, beim ersten Kaffee, auf dem Weg zum Trai­ning, zum Trai­nings­platz und dann wieder unter der Dusche. Ich habe es wirk­lich immer genommen. Oft auch zusammen mit anderen Spie­lern in der Kabine. Wenn die ersten schon nach Hause fuhren, setzten sie sich zusammen, zockten auf dem Handy und snusten. Auch seine Freundin, zu dieser Zeit eine Deut­sche Meis­terin der Leicht­ath­letik, griff zum Snus. Im Eis­ho­ckey würden, sagt Maik, ganze Koffer mit Snus in die Kabinen getragen.

Hast du gar nichts mehr? Gar nichts? 

Dass Maik stets Snus im Gepäck hat, wurde in der Fuß­ball­szene schnell bekannt. Nicht nur seine Team­kol­legen, son­dern auch alte Freunde und völlig Fremde spra­chen ihn an. Maik kennt sie mitt­ler­weile alle und kann die Geschichten dazu erzählen. Da sind die Zweit­li­ga­profis, die mit zit­ternden Händen vor seiner Tür gestanden haben und um Snus bet­telten. Die hatten nichts mehr. Die sind hun­derte Kilo­meter zu meinem Haus gefahren. Und da sind die dring­li­chen Chat­nach­richten auf seinem Handy, für uns nach­zu­lesen: Sitz in meiner Bude. Ich bin blank … ver­meldet einer, andere fragen dring­lich nach: Hast du gar nichts mehr? Gar nichts? 

Nun klingt das nach klas­si­schen Dro­gen­dia­logen. Im Unter­schied dazu ist der Konsum von Snus jedoch nicht illegal. Mit anderen Worten, der Ver­käufer macht sich strafbar, nicht aber der Käufer. Wohl auch des­halb erfreut sich Snus so großer Beliebt­heit in der Kicker­szene. Zumal die Band­breite groß ist zwi­schen Gele­gen­heits­nut­zern hier und schwerst­ab­hän­gigen Dau­ers­nu­sern dort.

Die Popu­la­rität des Tabaks erfuhr im Sep­tember 2015 noch einmal eine Stei­ge­rung, als Marco Reus einen Twitter­post ver­öf­fent­lichte. Auf der Tischab­lage im Flug­zeug lag eine Packung Thunder White Frosted – ein Snus­pro­dukt. Mit diesem Foto ist Reus zum Helden in der Szene geworden. Einer von uns, sagt Maik rück­bli­ckend. Reus will sich zu Snus nicht äußern, die Pres­se­ab­tei­lung bittet um Ver­ständnis. 

Auch andere Profis, die immer wieder als Snus­kon­su­menten genannt werden, wollen nichts dazu sagen. Etwa jener Bun­des­li­ga­profi, der in der zweiten Mann­schaft in der Regio­nal­liga aus­half und gegen Maiks Mann­schaft antrat. Bei einem Eck­ball ergriff der Profi die Gele­gen­heit, griff er in seinen Stutzen und holte Snus heraus. Als ihn Maik darauf ansprach, grinste er nur. Die Pres­se­stelle seines heu­tigen Klubs demen­tiert ent­schieden. Der Profi nehme nichts der­glei­chen zu sich. 

Mein Arzt war nicht begeis­tert. Es ätzt dir dein Zahn­fleisch weg.

Auch ein frü­herer Natio­nal­spieler, den Maik über seinen Berater ken­nen­lernte, lehnt eine Stel­lung­nahme zu Maiks Schil­de­rungen ab. Der Händler berichtet, wäh­rend eines gemein­samen Kaf­fees habe der Spieler plötz­lich eine Dose Snus der Marke Skruf auf den Tisch gelegt. Sie ver­spricht echtes svenskt snushant­verk und ist einer der belieb­testen Sorten. 

Und dann ist da die Sache mit Oscar Wendt. Der nor­we­gi­sche Jour­na­list Niklas Wild­hagen hatte in seinem Bun­des­lig­ablog Wendt als Snus­kon­su­menten benannt. Auf Nach­frage bestä­tigt er: Ich habe ihn wäh­rend eines Inter­views gesehen und bin mir sicher, dass er wäh­rend­dessen snuste. Ich bin mir ganz sicher, außer, er hat sich spa­ßes­halber irgendwas anderes hinter die Ober­lippe geklemmt. Für Wild­hagen keine Über­ra­schung. Snus gehöre so zu Schweden wie Volvo und Ikea, sagt er, der selbst zehn Jahre snuste. 

Mein Arzt war nicht begeis­tert. Es ätzt dir dein Zahn­fleisch weg. Borussia Mön­chen­glad­bach äußert sich wie die meisten anderen Klubs: Das Thema Snus‘ ist bei uns grund­sätz­lich bekannt. Bitte haben Sie Ver­ständnis, dass der Spieler nicht für ein Gespräch zur Ver­fü­gung steht. 

Ein Spieler jedoch ist bereit, über Snus zu spre­chen. Nadiem Amiri, U21-Natio­nal­spieler und Stamm­kraft der TSG Hof­fen­heim. Maik hatte gehört, er sei ein täg­li­cher Snus-Kon­su­ment. Amiri demen­tiert ent­schieden: Nein. Ich habe es mal pro­biert. Aber ich fand es nicht beson­ders gut. Er nutze Snus gar nicht, nicht einmal ein ein­ziges Päck­chen am Tag.

Das mag sein, inzwi­schen kann jedoch als gesi­chert gelten, dass viele Pro­fi­ki­cker den Tabak kon­su­mieren, auch und gerade in unteren Ligen, in denen beson­ders viele ehr­gei­zige junge Talente auf den Durch­bruch warten. Diese regis­trieren sehr genau die Trends und Gepflo­gen­heiten in den Pro­fi­ligen und ahmen sie nach. 

Hasel­nuss­großer Tumor

Maik hat dem Snus inzwi­schen abge­schworen. Weil ihn der Kau­tabak bei­nahe das Leben gekostet hätte. Ein hasel­nuss­großer Tumor hatte sich in seinem Darm ent­wi­ckelt. Zwanzig Zen­ti­meter seines Ver­dau­ungs­trakts mussten ent­fernt werden. Ich hatte immer wieder irre Bauch­schmerzen, erin­nert er sich, und irgend­wann habe ich dann eine Magen-Darm-Spie­ge­lung machen lassen. Die Ärzte fanden den Tumor und lie­ferten den Ent­ste­hungs­grund gleich mit: Snus. Denn dieser Tumor ent­stünde nur bei Alkohol- oder Tabak­miss­brauch. Ich trinke nicht, ich rauche nicht. Da war’s dann klar. 

Maik ist ein Ein­zel­fall. Der den Snus her­aus­ge­for­dert hat und fast mit dem Leben bezahlt hätte. Doch das hohe Sucht­po­ten­tial und die geringe Sen­si­bi­li­sie­rung im Umfeld der Sportler lassen erahnen, dass andere weniger Glück haben könnten. Maik hat keine kör­per­li­chen Spät­folgen zu befürchten, Freunde ver­loren ihre Schnei­de­zähne. Snus ist gefähr­lich, lass dir nichts ein­reden. Irgend­wann brauchst du es jede Stunde. Und wehe, du hast nichts mehr. Die Gestalten standen dann vor meiner Tür.