Best of 2018: Die Einfuhr illegal, der Konsum legal: Snus ist die neue Modedroge des Profifußballs. Aber wie gefährlich ist der Tabak aus Schweden wirklich?
Snus. Das ist feingehackter Tabak, versetzt mit Wasser, Salz und Aromen, in kleinen Tütchen aus Pergamentpapier. Der Beutel wird hinter die Oberlippe geklemmt, von wo aus das Nikotin über die Mundschleimhaut rasch ins Blut und von dort ins Gehirn gelangt. Snus ist vor allem in Skandinavien eine beliebte Alternative zum Rauchen, das in Schweden und Norwegen noch strikter verboten ist als in Deutschland. In Schweden, wo Snus vor 200 Jahren erfunden wurde, nutzt ihn mittlerweile ein Fünftel der männlichen Bevölkerung.
Snus, das ist auch die neue Modedroge des Profifußballs. Diesen Eindruck erweckte ein Fußballer des SC Freiburg, der anonym bleiben wollte, dem NDR gegenüber aber schätzte, dass etwa jeder vierte Profifußballer Snus konsumiere, auch beim SC Freiburg. „In meiner Mannschaft nehmen viele Snus“, wurde er zitiert. Eine durchaus spektakuläre Einschätzung, nicht nur weil die gesundheitlichen Risiken des Kautabaks nicht zu unterschätzen sind, sondern auch weil der geschäftsmäßige Import von Snus hierzulande verboten ist.
Drogen sind Privatsache
Dass der Freiburger Profi mit seiner Schätzung recht haben könnte, dafür sprechen selbst bei oberflächlicher Betrachtung zahlreiche Indizien. Da sind die Profis wie Marco Reus, die sich für Twitterposts mit Snusdosen auf dem Flugzeugtischchen fotografieren ließen. Da sind Kicker wie Jamie Vardy, die bei der EM 2016 ganz selbstverständlich Handy und Snus als Handgepäck dabei hatten. Da sind aber auch Pressesprecher der Profiligen, die inoffiziell freimütig bestätigen, dass viele Spieler Snus konsumieren.
Als wir jedoch offiziell anfragen, wie es die Spieler der Bundesligisten mit dem Kautabak halten und ob die Mannschaftsärzte die Spieler beraten, hat die Auskunftsfreude schnell ein Ende. Nein, mit den Mannschaftsärzten dürfe über dieses Thema nicht gesprochen werden, heißt es hier wie dort, im Übrigen sei Snus Privatsache der Spieler, angesichts der perfektionierten gesundheitlichen Rundumüberwachung der Profis eine erstaunlich laxe Haltung der Klubs. Immerhin melden sich schließlich die Ärzte aus Stuttgart und Mainz zurück, die vom Snuskonsum klar abraten. Und Dr. Ralph Kern, Mannschaftsarzt der TSG Hoffenheim, konstatiert; „Ich habe von Spielern und Dritten erfahren, dass sie Snus nutzen.“ Er könne zwar kein erhöhtes Interesse der Spieler an Snus oder gesundheitliche Schäden feststellen, aber: „Dass Snus von Fußballprofis in der Vergangenheit ebenso konsumiert wird wie in der Gegenwart, ist unstrittig. Insofern ist es ein Thema.“
Ein kontroverses Thema, denn ob und in welchen Dosierungen Snus tatsächlich die Gesundheit der Profis gefährdet, ist umstritten. Forscher des schwedischen Karolinska-Instituts hatten 2007 keinerlei Auswirkungen auf Lungen- oder Mundhöhlenkrebs gefunden, den klassischen Erkrankungen bei Starkrauchern. Zwar hatten die Wissenschaftler etwa dreißig unterschiedliche Krebserreger im Snus nachgewiesen, in einer Zigarette sind es jedoch bis zu tausend. Weniger beruhigend war der konkrete Befund zu Pankreaskarzinomen. Laut der Studie erkranken Snuskonsumenten doppelt so häufig wie Nichtkonsumenten an Tumoren der Bauchspeicheldrüse.
Ein Befund, der bislang nicht durch weitere Testreihen erhärtet werden konnte, der jedoch schon deshalb nicht abwegig erscheint, da ja Nikotin in großen Mengen aufgenommen wird. In einer Ration Snus befinden sich zwanzig Milligramm Nikotin, knapp die dreifache Menge einer Zigarette. Abhängige Snuser nehmen oft doppelte oder sogar dreifache Einheiten zu sich. Als würde sich jemand zehn Zigaretten auf einmal anzünden. Aufgrund der stimulierenden Wirkung steht Snus zudem auf der Beobachtungsliste der Welt-Anti-Dopingagentur. Um als Doping zu gelten, müsste der Stoff dem Sportler einen klar messbaren Wettbewerbsvorteil verschaffen. Für Dopingexperte Fritz Sörgel war das gegenüber dem NDR gar keine Frage: „Es ist natürlich ein Mittel, mit dem man sich einen Vorteil verschafft gegenüber dem, der es nicht einnimmt“.
Lieber schneller abhängig, als ungesund wirken
Dass die Klubs sich beim Thema Snus so bedeckt halten, hängt natürlich auch damit zusammen, dass die konzentrierte Einnahme von Nikotin so gar nicht zum Gesundheitsfuror passen mag, der sich längst des Profifußballs bemächtigt hat. Zigaretten gelten heute für einen Profifußballer als ebenso indiskutabel wie härtere Alkoholika und abendliche Ausflüge in Diskotheken. Nun aber hochdosierte Nikotinpäckchen unter der Lippe?
Was die Sportler an Snus schätzen, ist klar. Wie jedes Tabakprodukt sorgt er zunächst dafür, ruhiger und fokussierter zu werden. Da zudem kein Rauch inhaliert wird, erscheint der Tabak auf den ersten Blick gesünder. Allerdings macht Snus noch schneller abhängiger. Die Suchtwirkung ist immens, der Bedarf nach immer höheren Dosierungen ein gängiges Phänomen.
Um einen tieferen Blick in die Welt der Snuser zu bekommen, treffen wir uns mit einem Händler, den wir hier Maik nennen wollen, in einer Shishabar im Münchener Bahnhofsviertel. Maik war ein hoffnungsvolles Talent, wohnte im Internat eines Bundesligisten und war zugleich bis vor kurzem einer der wichtigsten Importeure und Verteiler von Snus unter Profifußballern. In Kontakt mit dem Tabak brachte ihn ein Teamkollege in der Nachwuchsmannschaft: „Für die Skandinavier ist Snus Tradition.
In Deutschland kannte das Zeug 2012 noch niemand. Wir haben es mit mehreren Spielern ausprobiert. Du chillst halt extrem, es hat richtig geballert.“ Maik beschreibt die klassische Wirkung von Snus. Die körperlichen Erfahrungen mit dem Tabakprodukt sind mit Marihuana vergleichbar. Maik wurde rasch vom Konsumenten zum Beschaffer. „Am Ende habe ich kiloweise Massenbestellungen für bis zu 50 Kontakte organisiert. Das waren Spieler aus der zweiten Liga, der dritten und den Regionalligen, aber auch professionelle Ringer und Eishockeyspieler.“
Wie 86 Zigaretten am Tag
Wir studieren seinen Bestellverlauf der vergangenen Jahre. Umgerechnet gut 10 500 Euro zahlte Maik an einen Versandanbieter aus Schweden, der die Ware, diskret am Zoll vorbei, frei Haus lieferte. 1,80 Euro kostet eine Packung Snus im Netz. Maik versorgte seine Teamkollegen und nahm zwischen fünf und zehn Euro pro Packung. „Das hat meinen Eigenbedarf gedeckt.“ Eigenbedarf klingt harmlos, bedeutet aber in diesem Fall 900 Rationen Snus pro Monat, umgerechnet etwa 2600 Zigaretten, 86 Kippen am Tag.
„Noch morgens im Bett, beim ersten Kaffee, auf dem Weg zum Training, zum Trainingsplatz und dann wieder unter der Dusche. Ich habe es wirklich immer genommen.“ Oft auch zusammen mit anderen Spielern in der Kabine. Wenn die ersten schon nach Hause fuhren, setzten sie sich zusammen, zockten auf dem Handy und snusten. Auch seine Freundin, zu dieser Zeit eine Deutsche Meisterin der Leichtathletik, griff zum Snus. Im Eishockey würden, sagt Maik, ganze Koffer mit Snus in die Kabinen getragen.
„Hast du gar nichts mehr? Gar nichts?“
Dass Maik stets Snus im Gepäck hat, wurde in der Fußballszene schnell bekannt. Nicht nur seine Teamkollegen, sondern auch alte Freunde und völlig Fremde sprachen ihn an. Maik kennt sie mittlerweile alle und kann die Geschichten dazu erzählen. Da sind die Zweitligaprofis, die mit zitternden Händen vor seiner Tür gestanden haben und um Snus bettelten. „Die hatten nichts mehr. Die sind hunderte Kilometer zu meinem Haus gefahren.“ Und da sind die dringlichen Chatnachrichten auf seinem Handy, für uns nachzulesen: „Sitz in meiner Bude. Ich bin blank …“ vermeldet einer, andere fragen dringlich nach: „Hast du gar nichts mehr? Gar nichts?“
Nun klingt das nach klassischen Drogendialogen. Im Unterschied dazu ist der Konsum von Snus jedoch nicht illegal. Mit anderen Worten, der Verkäufer macht sich strafbar, nicht aber der Käufer. Wohl auch deshalb erfreut sich Snus so großer Beliebtheit in der Kickerszene. Zumal die Bandbreite groß ist zwischen Gelegenheitsnutzern hier und schwerstabhängigen Dauersnusern dort.
Die Popularität des Tabaks erfuhr im September 2015 noch einmal eine Steigerung, als Marco Reus einen Twitterpost veröffentlichte. Auf der Tischablage im Flugzeug lag eine Packung „Thunder White Frosted“ – ein Snusprodukt. „Mit diesem Foto ist Reus zum Helden in der Szene geworden. Einer von uns“, sagt Maik rückblickend. Reus will sich zu Snus nicht äußern, die Presseabteilung bittet um Verständnis.
Auch andere Profis, die immer wieder als Snuskonsumenten genannt werden, wollen nichts dazu sagen. Etwa jener Bundesligaprofi, der in der zweiten Mannschaft in der Regionalliga aushalf und gegen Maiks Mannschaft antrat. Bei einem Eckball ergriff der Profi die Gelegenheit, griff er in seinen Stutzen und holte Snus heraus. Als ihn Maik darauf ansprach, grinste er nur. Die Pressestelle seines heutigen Klubs dementiert entschieden. Der Profi nehme nichts dergleichen zu sich.
„Mein Arzt war nicht begeistert. Es ätzt dir dein Zahnfleisch weg.“
Auch ein früherer Nationalspieler, den Maik über seinen Berater kennenlernte, lehnt eine Stellungnahme zu Maiks Schilderungen ab. Der Händler berichtet, während eines gemeinsamen Kaffees habe der Spieler plötzlich eine Dose Snus der Marke „Skruf“ auf den Tisch gelegt. Sie verspricht echtes „svenskt snushantverk“ und ist einer der beliebtesten Sorten.
Und dann ist da die Sache mit Oscar Wendt. Der norwegische Journalist Niklas Wildhagen hatte in seinem Bundesligablog Wendt als Snuskonsumenten benannt. Auf Nachfrage bestätigt er: „Ich habe ihn während eines Interviews gesehen und bin mir sicher, dass er währenddessen snuste. Ich bin mir ganz sicher, außer, er hat sich spaßeshalber irgendwas anderes hinter die Oberlippe geklemmt“. Für Wildhagen keine Überraschung. Snus gehöre so zu Schweden wie Volvo und Ikea, sagt er, der selbst zehn Jahre snuste.
„Mein Arzt war nicht begeistert. Es ätzt dir dein Zahnfleisch weg.“ Borussia Mönchengladbach äußert sich wie die meisten anderen Klubs: „Das Thema ‚Snus‘ ist bei uns grundsätzlich bekannt. Bitte haben Sie Verständnis, dass der Spieler nicht für ein Gespräch zur Verfügung steht.“
Ein Spieler jedoch ist bereit, über Snus zu sprechen. Nadiem Amiri, U21-Nationalspieler und Stammkraft der TSG Hoffenheim. Maik hatte gehört, er sei ein täglicher Snus-Konsument. Amiri dementiert entschieden: „Nein. Ich habe es mal probiert. Aber ich fand es nicht besonders gut.“ Er nutze Snus gar nicht, nicht einmal ein einziges Päckchen am Tag.
Das mag sein, inzwischen kann jedoch als gesichert gelten, dass viele Profikicker den Tabak konsumieren, auch und gerade in unteren Ligen, in denen besonders viele ehrgeizige junge Talente auf den Durchbruch warten. Diese registrieren sehr genau die Trends und Gepflogenheiten in den Profiligen und ahmen sie nach.
Haselnussgroßer Tumor
Maik hat dem Snus inzwischen abgeschworen. Weil ihn der Kautabak beinahe das Leben gekostet hätte. Ein haselnussgroßer Tumor hatte sich in seinem Darm entwickelt. Zwanzig Zentimeter seines Verdauungstrakts mussten entfernt werden. „Ich hatte immer wieder irre Bauchschmerzen“, erinnert er sich, „und irgendwann habe ich dann eine Magen-Darm-Spiegelung machen lassen.“ Die Ärzte fanden den Tumor und lieferten den Entstehungsgrund gleich mit: Snus. Denn dieser Tumor entstünde nur bei Alkohol- oder Tabakmissbrauch. „Ich trinke nicht, ich rauche nicht. Da war’s dann klar.“
Maik ist ein Einzelfall. Der den Snus herausgefordert hat und fast mit dem Leben bezahlt hätte. Doch das hohe Suchtpotential und die geringe Sensibilisierung im Umfeld der Sportler lassen erahnen, dass andere weniger Glück haben könnten. Maik hat keine körperlichen Spätfolgen zu befürchten, Freunde verloren ihre Schneidezähne. „Snus ist gefährlich, lass dir nichts einreden. Irgendwann brauchst du es jede Stunde. Und wehe, du hast nichts mehr. Die Gestalten standen dann vor meiner Tür.“