Heute Abend tritt José Mourinho mit seinen Spurs beim FC Bayern an. Seitdem er bei Tottenham als Trainer übernommen hat, scheint der Portugiese wie ausgewechselt. Seine Mannschaft spielt nicht nur aufregenden Fußball – auch er wirkt plötzlich nahbar.
Der Portugiese hat aus den Fehlern seiner vergangenen Aufgaben gelernt – und scheint sein „alle gegen mich“-Motto abgelegt zu haben. So konzentriert er sich nicht mehr nur darauf, in jeder Pressekonferenz mindestens einmal jeden Journalisten im Raum anzupöbeln, sondern besinnt sich auf die alten Stärken, die ihn bei seinen erfolgreichen Stationen zum Trainer mit schier angeborener Titelgarantie geformt haben: In all diesen Teams dominierte seine Mannschaft das Mittelfeld mit zweikampfstarken und defensiv ausgerichteten Sechsern, bei all diesen Klubs dirigierte ein spielstarker Zehner als Dreh- und Angelpunkt die Offensivaktionen seiner Mannschaft. Damit bescherte Mourinho bei Inter Mailand fast Wesley Sneijder den Ballon d’Or, so formte er aus Mesut Özil bei Real Madrid den vielleicht besten Zehner dieser Dekade.
Ganz so weit ist der jetzige Spielmacher in seinem System, Dele Alli, in seiner Entwicklung noch nicht. Unter seinem neuen Trainer blüht jedoch auch er zunehmend auf. Fünf Scorerpunkte sammelte der Engländer allein in der letzten Woche, mit teils akrobatischen Pässen und Tricks nutzt er die ihm angebotene Freiheit zudem für das bei den Fans so sehnlich gewünschte Spektakel im Tottenham-Stadium. Hinter ihm räumen die Sechser Moussa Sissoko und Eric Dier alles ab, was ihnen in Grätsch-Reichweite kommt und auf Harry Kane ist ohnehin Verlass – so lautet das momentane Erfolgsrezept.
Mourinho bleibt Mourinho
Die größte Veränderung aber ist nicht die Ausrichtung der Mannschaft, sondern deren Außendarstellung. Der Trainer, der einst über das sensibel geltende Talent Pedro León sagte, er würde nicht mal spielen, wenn die „gesamte erste Mannschaft bei einem Flugzeugabsturz“ ums Leben käme, scheint bei seinem neuen Arbeitgeber auf negative Schlagzeilen verzichten zu wollen. Ein „fantastisches Team“ habe er. Es brauche keine neuen Spieler, er sei ohnehin nur da, um all die großartigen Talente zu entwickeln. Selbst in Richtung des wechselwilligen Christian Eriksen hat sich der Coach bislang bissige Kommentare verkniffen. Und sogar auf der Pressekonferenz vor dem heutigen Duell beim FC Bayern klagte er nicht über die (offensichtlichen) Fehler seiner Mannschaft bei der 2:7‑Pleite im Hinspiel. Er kündigte lediglich an, seinem Team ab jetzt „bloß helfen“ und die Erinnerung zur damaligen Schmach von ihnen fern halten zu wollen.
Der einstige Defensivfetischist hat sich weiterentwickelt – alles verändert hat sich bei ihm aber doch nicht: Angesprochen auf die Frage, ob seine Spieler nach dem verlorenen Champions-League-Finale im vergangenen Sommer möglicherweise gehemmt in die neue Spielzeit gestartet seien, kam der „alte Mourinho“ dann doch nochmal durch: „Keine Ahnung, ich hab noch nie eins verloren“, lautete seine lapidare Antwort. Vielleicht ist der jetzige José Mourinho also doch nicht sein gut gelaunter Bruder, sondern eine temporäre Erscheinung. Vielleicht ist er aber auch einfach der „normale“ Mourinho – so „normal“, wie ein selbsternannter „Special One“ eben sein kann.