Jari Litmanen war einst einer der besten Fußballer der Welt – und doch scheiterte an der ganz großen Karriere. Finnlands Jahrhundertfußballer im Potrait.
Mit 16 debütierte Litmanen in Finnlands höchster Spielklasse für Reipas Lahti und landete über die Stationen HJK Helsinki und MYPA Myllykoski schließlich auf den Merkzetteln diverser europäischer Klubs. Bei Dynamo Bukarest, Leeds United, PSV Eindhoven und dem FC Barcelona fällt der junge Finne jedoch durchs Raster, ehe ihn Louis van Gaal für die zweite Mannschaft von Ajax Amsterdam verpflichtet.
Van Gaal will ihn schon wegschicken
Doch bevor Litmanen so richtig in Holland ankommen kann, will van Gaal ihn schon wieder in die finnische Pampa zurückschicken. Der eigenwillige Tulpengeneral glaubt nicht, dass der Fußballexot so schnell das komplexe Ajax-System verinnerlichen kann. Er täuscht sich. „Als ich ihn das erste Mal gesehen habe, erkannte ich den Willen in seinen Augen“, erzählt der damalige Ajax-Sportchef David Endt in einem Interview mit dem finnischen Sender YLE. „Ich wusste, er ist keiner, der die Stimme erhebt, der auf den Tisch haut. Er war eher wie ein Diplomat, der keine Führungspersönlichkeit sein wollte. Aber genau deswegen wurde er unser Leader.“
Litmanen studiert das Ajax-System wie ein Verrückter, löchert Trainer, Mitspieler und Mitarbeiter mit Fragen, macht sich Notizen. Irgendwann nennen sie ihn intern nur noch „Professor“. Er ist Doc Brown des Fußballs, gefangen im Körper von Marty McFly. „Du kannst Jari heute alles über Fußball fragen, er kennt die Antwort“, so Endt weiter. Litmanen trainiert wie besessen für seinen Traum, betreibt förmlich Raubbau am eigenen Körper, wenn er nach den kräftezehrenden Einheiten noch stundenlang Extraschichten einlegt. Doch van Gaal registriert den aufopferungsvollen Kampf seines Nachwuchsmannes, dem kein Widerstand zu groß zu sein scheint. Dieser Junge ist aus Finnland zu Ajax Amsterdam gekommnen. Wer soll ihm da noch erzählen, dass etwas unmöglich ist?
Bergkamps Pech ist Litmanens Chance
Letztendlich verhilft Litmanen 1992 eine langwiedrige Verletzung von Ajax-Mastermind Dennis Bergkamp zum Debüt bei der ersten Mannschaft. Ein Jahr später, Bergkamp ist mittlerweile zu Inter Mailand gewechselt, bekommt der Finne Litmanen die Nummer zehn. Er ist nun van Gaals Spielmacher. Er ist ein Erbe von Johan Cruyff. Er ist oben angekommen.
In dieser Zeit holt er vier Meistertitel mit Ajax, 1995 die Champions-League und den Weltpokal. Ein Jahr später bekommt Litmanen auch die Torjägerkanone in der Königsklasse, bereits zwei Jahre zuvor hatte er sich mit 26 Treffern die Kanone in der Eredivisie gesichtert. Litmanen ist Mitte der Neunziger einer der besten Spieler der Welt. Doch er will mehr. Immer öfter sieht man ihn lange nach dem Abpfiff aufgedreht über den Platz tigern. Er beansprucht so sich im absoluten Extrembereich, braucht Stunden, um das Herz-Kreislauf-System runter zu fahren. Auf sein unmenschliches Laufpensum angesprochen, antwortet Litmanen einmal lapidar: „Es ist zumindest höher als das eines Torwarts.“
Er schluckt Schlaftabletten
Auch nach Feierabend lässt ihn der Fußball nicht in Ruhe. Zuhause spielt er entscheidende Spielszenen im Kopf noch einmal durch, es soll vorkommen, dass er die Telefonkabel aus der Dose zieht, weil er zu aufgewühlt ist, um mit jemandem zu sprechen. Um Ruhe zu finden, schluckt er immer öfter Schlaftabletten. Bei Ajax sagt man sich hinter vorhehaltener Hand, dass Litmanen der Fußball von innen auffresse.