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Es war der Auf­reger beim unbe­deu­tenden Freund­schafts­kick Eng­land gegen Slo­we­nien. Eine halbe Stunde war gespielt, als eine Flanke von der linken Seite in den Straf­raum der Gäste segelte. Wayne Rooney und sein Gegen­spieler Bostjan Cesar sprin­teten dem Ball hin­terher, eng umschlungen, wie das heut­zu­tage üblich ist, der Eng­länder fiel hin, dabei auch noch dem Slo­wenen schmerz­haft auf den Knö­chel. Der Schieds­richter pfiff Elf­meter und zeigte dem Ver­tei­diger Gelb.



Eine Szene, die nicht nur auf dem Platz, son­dern auch in den eng­li­schen Medien mächtig Wellen schlug. Plötz­lich gilt Rooney, der Mann mit dem Tür­ste­her­körper und der Knei­pen­schlä­ger­aura, als fall­süch­tige Weich­wurst und pas­sio­nierter Tauch­gänger. Der Rest der Welt schaut gebannt auf das Geburts­land des Fuß­balls und fragt sich: Haben die Eng­länder end­lich das Schwalben gelernt?



Als Jürgen Klins­mann zu Tot­tenham Hot­spur nach London wech­selte, brachte er seinen Ruf als Schwal­ben­könig gleich mit. Für den eng­li­schen Bou­le­vard war er nur der »Diver« – eine Bezeich­nung, die sich »Klinsi« dann auch bei diversen Gele­gen­heiten aus hun­derten Kehlen in den Sta­dien anhören durfte. Der Welt­meister von 1990 (im Finale mit toller B‑Note beim Flic-Flac nach dem Foul von Monzón) zeigte seinen Offen­sivrie­cher aber auch in dieser Frage und tauchte fortan nach jedem Tor bis auf die Gras­narbe ab. Der Diver machte den Diver und stopfte mit jedem Treffer den Stän­ke­rern das Maul. Zu allem Über­fluss nahm der deut­sche Kapitän kurz darauf dann auch noch den EM-Pokal in der eng­li­schen Fuß­ball­ka­the­drale in Emp­fang. Und im Finale siegten die unfairen Teu­tonen anders als 74 oder 90 ohne den Hauch eines Schwal­ben­ver­dachts. Ein schwarzer Tag für alle Deutsch­land-Kli­schees auf der Insel.

»Das kannst du in Deutsch­land machen!«

Im eng­li­schen Fuß­ball blieben Schwalben und Schau­spie­lerei ver­hasst. »Wenn ein Eng­länder lie­gen­bleibt, kann man davon aus­gehen, dass er sich den Fuß gebro­chen hat«, sagt Karl-Heinz Riedle, der vier Jahre in Eng­land spielte. Als »Air« Riedle im Dress von Liver­pool einmal grundlos abhob, brannte sofort der Baum. »Da kam mein Gegen­spieler direkt zu mir, hat mich am Trikot hoch­ge­zogen und gesagt Das kannst du in Deutsch­land machen, aber nicht hier!’« Danach habe er es nie wieder pro­biert, sagt der Welt­meister von 1990.

Apropos Welt­meister. Zwei unserer WM-Titel ver­danken wir, zuge­geben, gekonnten Schwalben. Na und? Eng­land ver­dankt seinen ein­zigen WM-Titel einem Tor, das keines war.

Die eigene Fair­ness im geg­ne­ri­schen Straf­raum stellen die Bewohner des bri­ti­schen König­reichs gerne zur Schau – das wie­derum mit nicht wenig Thea­tralik. »Wir Eng­länder sind zu ehr­lich«, ließ sich am Wochen­ende John Terry, der Kapitän der »Three Lions«, im eng­li­schen Guar­dian zitieren. »Wir schmeißen uns nicht hin.« Oft würden sich eng­li­sche Stürmer zu ihrem eigenen Nach­teil ver­halten und trotz unfairer Tack­lings auf den Beinen bleiben, so der Chelsea-Spieler weiter.

Eng­land zu ehr­lich, um im FIFA-Hai­fisch­be­cken zu über­leben? Die Trend­wende scheint bereits geschafft. Terry selbst wurde vor drei Jahren in einem Spiel gegen Blackburn der Schwal­berei bezich­tigt. Rooney, Terry, Beckham, Ger­rard – die Liste der »gefal­lenen Engel«, die der Guar­dian flugs zusam­men­stellte, um die Dis­kus­sion anzu­heizen, ist pro­mi­nent besetzt.

Der Eier­treter wird zum Schwal­ben­könig

Noch amü­santer ist, dass aus­ge­rechnet Wayne Rooney im Fokus der medialen Selbst­zer­flei­schung steht. Rooney, der Kir­mes­bo­xer­sohn, der einem Pre­mier-League-Kol­legen einst nach dem Dinner seinen Faust­ab­druck in die Visage mei­ßelte. Rooney, der eier­tre­tende Rot­sünder. Rooney, der den Falsch­spieler Ronaldo beim gemein­samen Trai­ning »in Stücke reißen« wollte. Und dieser Rooney soll nun ein schlim­merer Schwal­ben­könig als Höl­zen­bein, ein grö­ßeres Schlitzohr als Völler sein? Kaum glaub­lich. Und den­noch listet die eng­li­sche Presse nicht weniger als sechs ver­däch­tige Fälle des kan­tigen Nord­eng­län­ders auf.

In dem Land, in dem man bis­lang Fuß­ball- und Rug­by­par­tien nur an der Form des Spiel­ge­räts unter­scheiden konnte, scheint schlei­chend eine neue Men­ta­lität Einzug zu halten. Zu befürchten ist: Was die bri­ti­schen Medien jetzt noch pflicht­schul­digst monieren, werden sie spä­tes­tens in Süd­afrika bil­ligen, ja for­dern! Wenn Rooney und Kol­legen jetzt auch noch das Elf­me­ter­schießen für sich ent­de­cken, ist der eng­li­sche Fuß­ball auf Jahre hinaus unschlagbar!

Viel­leicht hat Rooney als bri­ti­scher Avant­gar­dist den im Welt­fuß­ball seit Jahr­zehnten gän­gigen »Zynismus« ange­nommen, den John Terry bis­lang in eigenen Reihen ver­misste. Viel­leicht aber fährt die Pre­mier League nun auch die Ernte des Samens ein, der sechs Jahre lang von einem fal­lenden, lamen­tie­renden, fle­henden Por­tu­giesen in Diensten von Man­chester United gesät wurde. Hat Cris­tiano Ronaldo sich etwa nicht nur mit seinem eins­tigen Anti­poden ver­söhnt, son­dern ihm sogar seine besten Tricks bei­gebracht?

Lern­pro­zess noch nicht abge­schlossen

Noch sind nicht alle in der Pre­mier League beschäf­tigten Spieler in die Kunst des voll­endeten Schwal­bens ein­ge­weiht. Der Arsenal-Stürmer Edu­ardo bekam von der UEFA gerade wegen einer Flug­ein­lage mit Boden‑, aber ohne Kör­per­kon­takt zwei Spiele Sperre auf­ge­brummt. Bereits die TV-Kom­men­ta­toren ließen sich nicht täu­schen und ent­larvten Edus Fall als ast­reinen Tauch­gang. »Der Schieds­richter wurde hin­ters Licht geführt«, war der ein­stim­mige Tenor.

Not­tingham Forests legen­därer Trainer Brian Clough, der mit seinem Team 1979 den Lan­des­meister-Pokal gewann, fragte seine Spieler damals in rhe­to­rischster Weise: »Stellt euch vor, eure ganze Familie sitzt vor dem Fern­seher, und ihr macht da den ster­benden Schwan. Wollt ihr, dass eure Mamis sich für euch schämen?« (aus 11FREUNDE Spe­zial »70er Jahre«, ab Don­nerstag im Handel). Cloughs Worte hallen in seiner Heimat noch leise nach, drohen aber bald end­gültig in Ver­ges­sen­heit zu geraten. Dann ist für das Drei­lö­wen­team end­lich der Weg frei für den ersten Titel seit 1966. Welch glor­reiche Aus­sicht!