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Seite 2: Der letzte große Gig vor dem Absturz

Die Spieler laufen in die Kabine, ihre Stollen kla­ckern auf der Tar­tan­bahn, die Rufe von der Tri­büne sind nah. Weiter so, kommt, kommt, weiter so, nach­legen, Rausch-du-Schau­spieler.

Es geht weiter. Chicco kommt etwas ver­spätet aus den Kata­komben. Er hat sich gerade gesetzt, da spielt Markus Feulner, der Mann, dem sie Nadeln in den Bauch gesetzt haben, der mit einer Bauch­mus­kel­zer­rung auf­läuft, Feulner spielt einen öff­nenden Pass von außen pass­genau zu Josip Drmic. Der tippt den Ball gegen die Lauf­rich­tung des VfB-Kee­pers – 2:0. Drmic springt über die Bande, schreit, streckt die Arme und ver­schränkt sie, als er zum Stehen kommt. Ein Jubel der Läs­sig­keits-Güte­klasse Eric Can­tona. Aus dem Knäuel der Umar­mungen recken Fans den Zei­ge­finger Rich­tung Drmic. Chicco grinst und gibt dann den Diri­genten. Kurve und Spieler singen: FCN. Liebe. Glaube. Lei­den­schaft.“

Die Stim­mung ist gelöst, der erste Sieg nach vier Nie­der­lagen. Kon­fetti. Die Stimmen sind heller als sonst.

Wenn fünf­zig­tau­send auf­ge­regte, emo­tio­na­li­sierte Men­schen um einen herum sind, dann wirken Flieh­kräfte. Man kann sie nicht greifen. Es geht direkt ins Blut. Sie können einen pushen oder erdrü­cken, den Hals zuschnüren und dann, wenn sich ihr Druck ver­rin­gert, ein Gefühl der Befreiung durch den Körper strömen lassen. Vom Bauch in den Brust­korb, durch die Blut­bahn in die Puls­adern. A rush of blood to the head.

Der letzte Sieg vor dem Abstieg

Der Sieg gegen den VfB Stutt­gart war einer dieser Abende, bei denen die Energie der Zuschau­er­menge bis auf den Rasen wirkte. Dieses Meer an freu­digen Gesich­tern, erhellt durch das Flut­licht, diese Gesänge aus allen Ecken, allein die Stimm­lage von den Umste­henden, Ord­nern, Fans, Betreuern. Josip Drmics 2:0 gegen Stutt­gart war plötz­lich, unkal­ku­liert – mitten hinein in die große Nürn­berger Depres­sion. Es war ein kol­lek­tiver Urschrei.

Video­cur­v­a­nord

Hätte mir an diesem Abend Ende März jemand gesagt, dass der Club alle ver­blie­benen sieben Liga­spiele ver­liert, ich hätte es nicht geglaubt. Ich hätte es noch weniger geglaubt, dass womög­lich nur ein Sieg aus diesen sieben Spielen zum Klas­sen­er­halt gereicht hätte. Doch es war wie das letzte große gemein­same Kon­zert einer Band vor dem Absturz.

Im Fuß­ball, so denkt man, ist alles schon einmal dage­wesen. Irre Auf­hol­jagden, unglaub­liche Tore, kuriose Paraden. Doch das Big Busi­ness rund ums Spiel will die Unbe­re­chen­bar­keit zähmen. Unzäh­lige Kameras fangen jede Aktion auf dem Platz ein, Zeit­lupen sezieren das Geschehen. Wis­sen­schaftler deko­dieren die Matrix des Spiels, es gibt so genannte Heat­maps von den Bewe­gungs­ab­läufen der Spieler, sie sehen aus wie Ultra­schall­bilder von Schwan­geren. Es gibt Sta­tis­tiken über Flanken, Kopf­ball­du­elle, Ein­würfe. Und doch erscheinen immer wieder Momente, Spiele und Situa­tionen, die selbst lang­jäh­rige Beob­achter aus dem Nichts treffen. So wie beim 1:7 von Bra­si­lien gegen Deutsch­land. Die Hin­runde des BVB. Der FCN an sich.

Die Eigen­dy­namik

Wäh­rend des halben Jahres mit dem FCN habe ich aus Gesprä­chen und Beob­ach­tungen gelernt, wie sich aus vielen Puz­zle­teilen, den Befind­lich­keiten einer Mann­schaft, eines Trai­ners, der Fans eine unkon­trol­lier­bare Eigen­dy­namik ent­wi­ckeln kann. Zum Posi­tiven wie beim 2:0 gegen Stutt­gart, zum Nega­tiven in den rest­li­chen Spielen. Fuß­ball ist immer wieder ein­fach nur unbe­re­chenbar. Unglaub­lich schön, unglaub­lich brutal.

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Die kom­plette Repor­tage über sechs Monate mit dem FCN fin­dest du hier: www​.11freunde​.de/fcn