Am Montagabend wurde in Wolfsburg der neue Mobilfunkstandard 5G getestet. Schon jetzt ist klar: Da kommt was auf uns zu. Unser Autor war vor Ort.
Die Uraufführung eines Stücks zur Zukunft des deutschen Fußballs findet am 23. September 2019 im Rahmen des landesweit als „El Plastico“ verschrienen Bundesliga-Spiels zwischen dem VfL Wolfsburg und der TSG Hoffenheim statt. Die, die es bis ins Stadion nahe den ikonischen Schlöten der VW-Werke geschafft haben, wohnen einem historischen Abend bei. Ein Großteil wird nie davon erfahren.
Auf dem Spielfeld duellieren sich Wout Weghorst und Sebastian Rudy, am Spielfeldrand battlen sich unter den Augen von Matchplanikone Julian Nagelsmann die Liganeuzugänge Oliver Glasner und Alfred Schreuder. Ein Stück höher, auf der Tribüne, fordert die wenig beliebte Wolfsburger Szene die endgültige und sofortige Abwrackung aller Montagsspiele. In den ersten 45 Minuten schweigen sie.
Optimal und digital
Auf der Gegenseite hat das den Massen weitestgehend egale Hoffenheimer Fankollektiv „Crescendo Hohenlohe“ direkt einen Reiseboykott beschlossen. Man wolle die Untat der DFL, das Montagsspiel, nicht unterstützen, heißt es in einem kurzen Aufruf. Er ist erfolgreich. Vielleicht 50, vielleicht 100 Zuschauer verteilen sich im Gästeblock. Viel mehr wären wohl auch ohne den flammenden Appell nicht angereist. Dieser einmalige Dreiklang aus Montagsspiel, El Plastico und tatsächlichen Protesten fasziniert die Menschen im Netz. Sie machen das, was sie immer tun: Sie spotten, sie feixen, überbieten sich mit Witzen und fühlen sich jetzt im Allgemeinen besser: Endlich wieder jemanden herabgesetzt, weil er die Leidenschaft nicht spürt, die Fußball-Religion nicht teilt oder weil das eben alle so machen.
Was eben alle so machen, darum geht es auch in der Sky Lounge ganz oben im Wolfsburger Stadion. Denn es gibt keine Welt ohne Smartphone mehr. Es gibt auch kein Fußballstadion ohne Smartphone mehr. Der VfL, Vodafone und die Bundesliga haben eingeladen. Sie wollen erklären, wie das mobile Endgerät in den Händen der Nutzer das Stadionerlebnis nicht nur digitalisiert, sondern auch optimiert.
Das Beste aus zwei Welten
Präsentiert wird hier heute die erste 5G-App der Liga. Einmal die Motorhaube aufmachen, wie es Andreas Heyden, der „Executive Vice President Digital Innovation“ der DFL, ausdrückt. Ein erster Live-Test auf das, was sein kann.
„Stellt Euch das beste aus beiden Welten vor. Alle Zahlen und Fakten einer Fernseh-Übertragung und den Reiz, im Stadion mit dabei zu sein. 5G wird die Art, wie wir Veranstaltungen erleben für immer verändern“, marktschreit ein Trailer bevor Heyden, Wolfsburg-Geschäftsführer Michael Meeske und Michael Reinartz von Vodafone die App vorstellen. „Das ist eine Weltpremiere im Fußball“, erzählt Heyden den rund 50 Gästen. In der Tat hat zwar der FC Barcelona bereits im Mai irgendwas mit 5G angekündigt, aber davon noch nichts in die Realität übersetzt.
Als das Spiel dann beginnt und Rudy früh trifft, die wenigen Hoffenheimer im Stadion jubeln, geht die App in den öffentlichen Live-Test über. Auf dem Balkon der Sky Lounge starren Menschen auf Smartphones, wischen mit dem Finger mal nach rechts und mal nach links und blicken selten über den Bildschirmrand hinaus.
Mit einem Klick zum Shop
Was ist also das beste beider Welten? Mit Hilfe einer Edge Cloud, einem kleinen Rechenzentrum im Stadion, werden die Real-Time-Daten direkt an die App weitergegeben. Man kann jetzt sehen, wie schnell Hoffenheims Robert Skov läuft und wie oft Maxi Arnold den Ball gepasst hat. Jeder Spieler ist einzeln auswählbar, für jeden Spieler gibt es hier beim Live-Test die Laufdaten, die Geschwindigkeit, die Anzahl der Pässe und der Schüsse.
Es ist mehr möglich: Historische Daten können hinterlegt werden, jeder Spieler wird mit seiner Geschichte zu identifizieren sein. Vielleicht wird man über die App direkt auf die Fankollektion der Spieler zurückgreifen können, vielleicht auch noch einmal die Highlights anschauen können. Hinter dem Screen aber findet das Spiel, dort fehlen die Daten, dort interagiert der Fan mit der Mannschaft.
Alles kann, niemand muss
„Schon eher was für die Haupttribüne“, sagt dann auch Daniel Ginczek, der die App als erster Ligaspieler testen kann. Der aktuell noch verletzte Wolfsburger Angreifer erzählt von seinen Karrierestationen.
Egal wo er gespielt habe, sagt Ginczek, die ersten Unmutsbekundungen seien immer von den Haupttribünen ausgegangen. Warum, darüber könne man nur spekulieren, aber vielleicht könne die App die Zuschauer dort besser informieren. Auf den Stehplatztribünen wäre das eher seltsam. Das will auch die Liga so verstanden wissen. Jeder könne entscheiden, ob und wann er die App nutzen will. Bedenken, dass die Augmented Reality zu einer weiteren Entfremdung zwischen den Akteuren auf den Tribünen und dem Platz führen kann, gibt es so nicht.
Bis dies im Stadion überhaupt Thema werden wird, kann es noch einige Zeit dauern. Die 5G-fähigen Telefone müssen erst einmal den Markt erreichen. Die Stadien müssen mit 5G-Technik ausgestattet werden. Das kann dauern. Die Liga rechnet mit zwei bis drei Jahren bis zur Massenfähigkeit. Neben Vodafone entwickelt auch der Bayern-Anteilseigner Telekom aktuell das 5G-Netz. In Zukunft wird auch in München getestet werden, die DFL will den Test 2020 auf einen weiteren Standort, vielleicht Düsseldorf, ausdehnen.
Heatmaps gen Bier
Sind in ein paar Jahren die Strukturen geschaffen, wird es für die Liga und die Vereine darum gehen, einen maßvollen Weg zwischen moderner Technik und Fußball zu schaffen. Den digitalen Menschen der Zukunft für die 90 Minuten des Spiels ins analoge zu überführen, wird die große Herausforderung der Zukunft sein. Nur so wird es gelingen, dem eigenen Anspruch der Liga – Football As It’s Meant To Be – weiter gerecht zu werden.
Auf dem Weg ins Stadion, vor dem Spiel, in der Pause und nach dem Spiel wird sich einiges verändern. Bei Hertha BSC kann man bereits Tickets über einen Chat-Bot kaufen, die Apps der Vereine könnten im Stadion zu Leitsystemen werden, auf Heatmaps zeigen, wo es schnell Bier gibt und welche Toilette gerade frei ist. Auf den Leinwänden werden wir die Spielszenen aus Sicht der Spieler sehen können.
Was vom Fußball bleibt
Der Fußball aber wird analog bleiben. Bei allen Innovationen, bei allen anstehenden Veränderungen: Das Stadionerlebnis lebt von den 90 Minuten auf dem Platz und von der Geschichte, die die Vereine erzählen. Erzählen sie keine Geschichte, dann kommt niemand. Das wird auch die Digitalisierung der Tribüne nicht verändern.