Früher kam an ihm niemand vorbei, selbst kräftigste Stürmer wurden nach Zweikämpfen mit„Eisen-Dieter“ vom Platz geschleppt. Geburtstagskind Dieter Schlindwein im großen Karriereinterview.
Rudi Völler schien nach Ihrem Wechsel erleichtert. Er sagte: „Schlindwein war immer mein härtester Gegenspieler, jetzt bin ich froh, dass er hier ist.“
Gegen Stürmer wie Rudi war ich natürlich immer extra motiviert.
Und gegen große Brecher wie Dieter Schatzschneider. Der hat mal gesagt …
Jaja, ich weiß: „Der Schlindwein müsste heute noch einsitzen wegen seiner Spielweise von damals.“ Aber Schatz war auch kein Kind von Traurigkeit. Wenn wir aufeinandertrafen, wurde gezerrt und gezogen. Nach den Spielen war aber alles wieder okay.
Wer war Ihr härtester Gegenspieler?
Dieter Hoeneß.
Wenn man drüber nachdenkt: Dieter Eilts, Dieter Schlindwein, Dieter Hoeneß – Dieter scheint weniger Name als Schicksal zu sein. Oder kennen Sie einen leichtfüßigen Mittelfeldzauberer namens Dieter?
Dieter Hoeneß war komplett furchtlos. Ich erinnere mich an ein Spiel gegen die Bayern. Eine Flanke auf die Strafraumlinie in Kniehöhe. Ich will mit dem Fuß klären, als ich den Schädel von Hoeneß heranfliegen sehe. Reflexartig ziehe ich den Fuß zurück. Wird eh nichts bringen, denke ich. Aber dann landet der Ball im Tor. Ein Flugkopfball aus 16 Metern. Irre!
Rehhagel nannte Sie mal seinen „größten Fehleinkauf“.
Hat er das gesagt? (Überlegt.) Otto hat immer Recht. Ich kam als Hoffnungsträger, aber die meiste Zeit verbrachte ich in der Reha. Als ich wieder fit war, hatte Werder Rune Bratseth verpflichtet, der wirklich Weltklasse spielte.
Mitte der Achtziger waren Sie auf dem Sprung in die Nationalmannschaft. Warum machten Sie kein einziges Länderspiel?
Die Konkurrenz war groß, und in den entscheidenden Phasen war ich oft verletzt. Aber ich flog 1984 mit der deutschen Olympia-Nationalelf nach Los Angeles. Eine tolle Erfahrung. In der Vorrunde spielten wir vor 90 000 Zuschauern gegen Brasilien, im Viertelfinale nahmen uns die Jugoslawen aber mit 5:2 auseinander.
Nach Ihrer Zeit bei Werder gingen Sie zu Eintracht Frankfurt und wurden 1988 Pokalsieger. Im Halbfinale schalteten Sie Werder aus. Eine Genugtuung?
Wir waren Außenseiter, aber Uli Stein erwischte einen Sahnetag. Ich habe nie wieder so eine gute Torwartleistung gesehen. Manchmal wollten wir uns schon zum Anstoßkreis umdrehen – aber Uli bekam immer noch seine Fingerspitzen dazwischen. Am Ende gewannen wir 1:0, das Tor schoss Frank Schulz, ich gab den Pass. Ja, es war eine kleine Genugtuung.
Viele Fans verbinden Ihren Namen mit dem FC St. Pauli. War der Wechsel 1989 ein Kulturschock?
Als ich in Kassel auf der Autobahnraststätte war, kamen mir erste Zweifel, ob der Wechsel die richtige Entscheidung war. Vorher hatte ich bei großen Vereinen gespielt – und nun stand ich vor einem Wechsel zu einem damals noch unbekannten Stadtteilklub, der Letzter in der Bundesliga war (Schlindwein wechselte nach dem vierten Spieltag der Saison 1989/90, d. Red.). Der ehemalige HSV-Spieler und Manager Georg Volkert überzeugte mich aber von einem Wechsel. Und Präsident Heinz Weisener imponierte mir. Am Ende wurden wir Zehnter.
Was mochten Sie an Weisener?
Er empfing mich bei sich zu Hause. Ein echter Hanseat, mit Stecktuch im Revers. Aber herzlich und nicht abgehoben. Wir nannten ihn „Papa Heinz“ – und das passte.
„Mein Porsche war mir auf St. Pauli unangenehm. Ich parkte immer ein wenig weiter weg vom Stadion“
Sie sind aufgewachsen in einer beschaulichen Kleinstadt in Baden-Württemberg, Sie spielten gerne Tennis und fuhren Porsche. Wie kamen Sie mit Typen wie Volker Ippig aus der Hamburger Hafenstraße zurecht?
Ich hatte ein gutes Standing in der Mannschaft und war Kapitän. Die Sache mit dem Auto war mir allerdings echt ein wenig unangenehm. Es war ein roter Porsche, Modell Targa, der meinem Vermieter in Frankfurt gehört hatte. Ich fand den Wagen immer super, und eines Tages verkaufte er ihn mir. Auf St. Pauli parkte ich anfangs immer ein paar hundert Meter entfernt vom Trainingsgelände oder dem Stadion. Irgendwann haben es die Leute trotzdem herausgefunden.
Wie nahmen Sie die Fans am Millerntor wahr?
Es war ein anderes Klientel als in Frankfurt oder Bremen. Auch die Art der Unterstützung. Wenn ein Ball übers Tor ging, schallte einem nicht sofort ein Pfeifkonzert entgegen. Vieles war auch näher, unmittelbarer. Wir trainierten in Eidelstedt (Hamburger Stadtteil, d. Red.) und zogen uns in einer Schulsporthalle um. Im Stadion wurden die Toiletten zwischen Umkleide und Spielfeld auch von den Fans benutzt, sie gehörten eigentlich zum Klubheim. Manchmal stand man dort am Pissoir, während ein Fan dir auf die Schultern klopfte oder einen Schluck Bier anbot – kurz vor Anpfiff eines wichtigen Spiels.
Die Fans am Millerntor mochten Sie für Ihren kompromisslosen Spielstil. Sie erfanden mit dem Schlindwein-Witz eine eigene Gattung: „Ich möchte eine Schachtel Pralinen für Ulf Kirsten abgeben.“ – „Ein Herr Kirsten liegt hier aber gar nicht!“ – „Der kommt noch! Der ist heute Abend mein Gegenspieler!“
Kennen Sie die Unterhaltung zwischen Jürgen Klinsmann und mir? Klinsi sagt in den Katakomben zu mir: „Das ist aber ganz schön weit von der Kabine bis zum Platz.“ Ich antworte: „Macht nix, zurück wirst du getragen.“ Aber ich muss Sie enttäuschen: Auch das war komplett erfunden, ein Scherz von Guido Schröter (Comiczeichner, d. Red.). Einige Leute fragen mich heute noch, ob ich das wirklich gesagt habe.