Jonas Schubert ist Sänger der Band OK Kid und Eintracht-Frankfurt-Fan seit Kindheitstagen. Im Interview spricht er über die Faszination der SGE, seine Erlebnisse in Barcelona und den Umgang mit toxischer Männlichkeit im Fußball.
Jonas Schubert, Sie waren in Barcelona dabei, als Eintracht Frankfurt im Camp Nou vor circa 30.000 Eintracht-Fans gewann. Haben Sie die Eindrücke schon verarbeitet?
Letztendlich ist es so, dass die letzten Jahre generell komplett verrückt waren. Wir wurden unser ganzes Leben als Frankfurt Fans lang ausgelacht, haben mal in der ersten und mal in der zweiten Liga gespielt. Umso schöner ist es, dass wir so etwas wie gerade erleben dürfen. Wir spielen tatsächlich seit fünf Jahren um Titel mit. National und international in den Pokal-Wettbewerben. Wir! Eintracht Frankfurt! Völlig surreal! Das Spiel in Barcelona war für mich auch deswegen so besonders, weil wir nicht nur zum Sightseeing nach Barcelona geflogen sind, sondern weil von vornherein klar war, dass wir dort eine echte Chance haben würden. Dass wir da qualitativ mitspielen können. Frankfurt war ja schon im Hinspiel von den Chancen her klar überlegen. Natürlich hatte Barcelona mehr Ballbesitz, aber Frankfurt dafür das in meinen Augen viel schlüssigere Matchkonzept. Und na klar: Vor Ort war es eh unfassbar. Diese Menschenmassen, die da in Weiß durch die Stadt gezogen sind. Gänsehaut.
Wie war es, da mittendrin zu sein?
Die Leute in Barcelona waren überrascht, hatte ich das Gefühl. So was kennt man dort halt nicht. 30.000 Fans eines anderes Klubs, die die Stadt auf links drehen. Das ist ja auch nicht normal. Wir Fans haben uns alle mitten in der Stadt bei den Ramblas getroffen. Aus allen Ecken und durch alle Straßen sind Menschen in weißen Shirts und Trikots zusammengeströmt. Das war eine echte Reizüberflutung. Und es war schön, dass die Fans sich größtenteils sehr respektvoll verhalten haben. Denn klar: Wir als Gäste finden das natürlich geil, aber diese Masse kann für die Leute, die dort wohnen und vielleicht auch gar nichts mit Fußball am Hut haben, auch einschüchternd sein. Und leider gab es auch unschöne Szenen. Ich erinnere mich an eine, da haben sich tausende Fans durch eine sehr enge Gasse gedrängt, es hat sich richtig gestaut. Und in dieser Gasse hat an einem Balkon im zweiten Stock eine Barca-Fahne gehangen. Wahrscheinlich um zu zeigen: Das ist immer noch unsere Stadt. Und das haben ein paar Frankfurter anscheinend als Provokation aufgegriffen und volle Bierbecher hochgeworfen. Der Typ, der dort oben wohnt, war komplett nass und hatte sichtlich Angst. Eine alte Frau auf dem Nachbarbalkon auch. Sowas muss nicht sein.
Jonas Schubert ist Sänger der Band OK Kid. Die Gießener haben am vergangenen Freitag ihr neues Album „Drei“ veröffentlicht. Das kann man hier hören. Außerdem geht die Band auf Tour. Hier gibt’s alle Termine und Tickets.
Auf Ihrem neuen Album „Drei“ ist toxische Männlichkeit ein prominentes Thema. Wie gehen Sie als Fußballfan damit im Stadion oder auch bei so einem Erlebnis wie diesem in Barcelona um?
Frankfurt hatte ja lange Zeit ein sehr schlechtes Image, was die Fans angeht. Aber das hat sich zuletzt geändert, finde ich. Zum einen, weil die Frankfurter Fankultur super divers ist. Zum anderen, weil wir zum Beispiel mit Peter Fischer einen Präsidenten haben, der sich sehr früh und sehr klar gegen die AfD positioniert hat und generell für klare Werte steht. Aber natürlich ist es auch in Frankfurt so wie bei vermutlich jedem Verein, dass du auch Vollidioten dabei hast. Und das sind dann so typische Männer, die zu Hause bei der Frau und Familie das Maul nicht aufkriegen, aber dann mit ihren Jungs wegfahren und plötzlich die größte Klappe haben und unnötig Streit suchen. Ich habe Leute komplett konträr von diesen typischen Klischees kennengelernt, die Zahnärzte oder Lehrer sind oder anderen total gut-bürgerlichen Jobs nachgehen, aber dann so eine Tour mitmachen, um sich aufs Maul zu hauen. Emotionen sind wichtig und mein Sprachgebrauch kann auch mal während eines Spiels ins Unterirdische abdriften. Wichtig ist nur, dass man keine unbeteiligten Menschen da mit reinzieht. Wenn sich befeindete Fangruppen im Wald auf die Fresse schlagen, dann sollen die das meinetwegen tun, wenn das alle Beteiligten so wollen. Wobei ich das schon äußerst bescheuert finde. Aber andere friedliche Fans, nur weil sie ein anderes Trikot tragen durch die Straßen zu jagen, ist einfach nur erbärmlich. Aber auch schon viel harmlosere Dinge nerven mich extrem.
Haben Sie ein Beispiel?
In Barcelona saßen wir zum Beispiel in einem Restaurant. Und ich finde: Wenn du zu Gast bei Leuten bist, dann verhalte dich auch vernünftig und lall‘ den Kellner nicht auf Deutsch voll. Hab‘ einfach Respekt vor deinem Gegenüber, vor den Leuten, die dort wohnen.
In welchen Aspekten erkennen Sie dennoch einen Fortschritt?
Ich glaube, dass in Frankfurt in den letzten Jahren viel dafür getan wurde, dass man offener über Themen sprechen kann. Auch in der Kurve. Sprüche wie „Schwule Sau“ oder gar rassistische Aussagen höre ich da gar nicht mehr. Und was es zum Glück in Frankfurt nicht mehr gibt – und was ich auch nie mitgemacht habe – ist dieses „Sieg“ skandieren nach einem gewonnen Spiel. Schlimm. Dieses Martialische, das stört mich am Fußball generell. Ich glaube aber, gesellschaftliche Entwicklungen brauchen im Fußballkontext ein paar Jahre länger, bis sie dort wirklich angekommen sind. Es gibt ja bis heute keinen schwulen Profifußballer in Deutschland, der öffentlich dazu steht. Der Fußball kanalisiert immer noch viele Männlichkeitsattribute: Stolz, keine Schwäche zeigen, Stärke, die sich über Manneskraft definiert. Dieses Männlichkeitsgehabe. Das ist mir zuwider.
„Das Schönste am Fußball ist für mich, dass ich mich komplett auf das Spiel einlassen kann. Dass ich da richtig reinfallen kann, mich total darauf fokussiere und in dem Moment nichts anderes zählt.“
Auf Ihrem neuen Album thematisieren Sie generell die Vielzahl an Krisen und Diskursen, mit denen wir alle in den letzten zwei Jahren viel zu kämpfen hatten. Der Krieg. Rassismus. Sexismus. Aber auch die Pandemie. Wie hat sich Ihre Beziehung zum Fußball in der Zeit der Geisterspiele entwickelt?
Als es mit den Geisterspielen losging, war Frankfurt extrem erfolgreich. Und ich dachte: Das kann doch nicht sein, der zwölfte Mann/Frau ist doch eigentlich gerade bei der Eintracht das Wichtigste. Und dann war das Team auch ohne uns relativ gut. Wir haben uns ja fast für die Champions League qualifiziert! Ich fand es natürlich extrem schade, da nicht dabei sein zu können, aber trotzdem gab es zumindest irgendeine Ablenkung. Das Schönste am Fußball ist für mich, dass ich mich komplett auf das Spiel einlassen kann. Dass ich da richtig reinfallen kann, mich total darauf fokussiere und in dem Moment nichts anderes zählt. Im Stadion sicherlich auch mit Menschen, mit denen ich vielleicht gar keine Schnittmenge habe – außer eben den Verein. Und mit denen man sich verbrüdert und verschwestert und sich in den Armen liegt. Und alles andere ist scheißegal. Wo du herkommst, wer du bist, wie scheiße dein Tag war. Wir haben während der Geisterspiele dann eben privat mit Freunden geguckt. Das war etwas anderes als in der Kneipe, aber man hat trotzdem ein paar Leute getroffen und eine gute Zeit gehabt. Ohne den Fußball wäre diese Zeit doch noch viel trauriger gewesen. Aber eine Sache ist auch klar.
Und zwar?
Dass der Fußball niemals darüber hinwegtäuschen kann, dass sich die Krisen, denen wir gerade ausgesetzt sind, in den letzten Jahren vermehrt und zugespitzt haben. Da ist der Sport auch keine Lösung. Aber er kann immerhin eine wunderbare Zerstreuung sein.
Nach London, zum Halbfinale gegen West Ham, hat es Sie aber nicht verschlagen. Warum nicht?
Da war schlichtweg nichts zu machen. Es gab ja nur 3000 Karten für die Gäste und ich glaube, wenn du als West-Ham-Fan bei so einem Spiel deine Dauerkarte weitergibst, wirst du sofort vom Verein verbannt. Da hatte man keine Chance, irgendwas über diesen Weg zu machen. Und in England scheint es für Gäste generell nochmal anders abzulaufen.
Inwiefern?
2019 waren wir dabei, als Frankfurt bei Arsenal 2:1 gewonnen hat. Daichi Kamada hat einen Doppelpack geschnürt, Unai Emery wurde danach entlassen. Deswegen gilt Daichi dort bis heute als Heilsbringer. (Lacht.) Generell war es für uns als Gästefans damals aber so, dass in der Stadt quasi Frankfurt-Verbot herrschte. Wir wurden am Flughafen unmittelbar nach der Ankunft gefragt, woher wir kommen würden und was wir hier vorhätten. Da mussten wir uns irgendwas einfallen lassen, damit wir überhaupt ins Land eingelassen wurden. Richtig krass. Wir haben dann wahrheitsgemäß gesagt, dass wir aus Köln kommen – wo wir wohnen – und uns bloß die Stadt anschauen möchten. Und uns so aus der Affäre gezogen.
Nicht nur Sie, sondern auch Ihre Bandkollegen Moritz und Raffi sind Eintracht-Fans. Wie wirkt sich das auf Ihr Bandleben aus?
Von Raffi gibt es sogar noch Kinderfotos mit Dragoslav Stepanovic. (Lacht.) Moritz ist dagegen eher reingerutscht in das Fandasein. Aber der musste dann einfach irgendwann mitziehen, das ging gar nicht mehr anders. Wir touren mittlerweile seit zehn Jahren und passen unsere Reisen immer so an, dass wir auf jeden Fall früh genug ankommen, um irgendwie die Eintracht-Spiele gucken zu können. Die ganze Crew hat von uns auch Eintracht-Jacken bekommen. Mit „OK Kid“-Schriftzug und dem Adler oben drüber. Auch die Dortmund-Fans in unserem Team müssen die Jacke tragen. Wir haben die ganze Live-Bagage also ein wenig konditioniert. Wenn nicht noch etwas Verrücktes passiert und wir noch in Sevilla dabei sein werden, mieten wir für das Finale hier in Köln ein Tennisheim, laden viele befreundete Eintracht-Fans ein, grillen und gucken das Spiel auf der Leinwand. 50 Leute kommen da sicher zusammen, das wird geil.
„Rund um die Eintracht ist eh alles ein wenig rougher, alles ein wenig mehr Straße. Aber ich mag das, und das war auch schon immer so“
Einen Song über die Eintracht haben Sie aber noch nie geschrieben. Warum nicht?
Ne, das muss auch nicht sein. Das letzte, was wir spielen würden, wäre eine Halbzeitshow. Wir waren 2018 beim Pokalfinale, als Helene Fischer aufgetreten ist. Das bräuchten wir jetzt eher nicht. Ich trenne die Musik schon sehr klar vom Fußball. Ich kenne auch kaum einen Fußballsong einer Band, den ich künstlerisch cool finde. Diese Songs sind oft so martialisch, das mag ich nicht und so texte ich überhaupt nicht. Oder sie sind so, dass man noch nach 20 Bier den Text mitgrölen kann. Gut, Die Toten Hosen können dass. Und Marteria hat einen schönen Song für Rostock geschrieben. Aber der war ja auch nicht nur für Hansa, sondern für die ganze Stadt. Aber ein Song von uns hat es trotzdem ins Stadion geschafft.
Welcher denn?
Ich habe gehört, dass „Stadt ohne Meer“ beim FC Gießen läuft. Und das finde ich super. Das ist natürlich auch kein Fußballsong, aber er hat eine Verbindung zu Gießen, zu unserer Heimatstadt, die wir da besingen. Und das finde ich richtig cool.
Und es gibt ja auch schon eine Menge Musik aus Frankfurt, in der die SGE immer wieder Thema ist. U.a. Haftbefehl, Celo & Abdi oder Vega thematisieren die Stadt und den Klub immer wieder.
Und das feiere ich auch alles total. Wir haben zum Beispiel in unserer Stammkneipe „Goldener Schuss“ das Halbfinale gegen West Ham geguckt. Das ist eine Effzeh-Kneipe in Köln. Und dann lief zum Spiel, weil man uns wohl einen Gefallen tun wollte, „069“ von Haftbefehl. Das war natürlich geil. Rund um die Eintracht ist eh alles ein wenig rougher, alles ein wenig mehr Straße. Aber ich mag das, und das war auch schon immer so. Früher sind wir als Teenies mit dem Wochenendticket aus Gießen nach Frankfurt gefahren, waren im Stadion, Skaten an der Hauptwache und haben da rumgehangen, bis die Mutter irgendwann angerufen hat und wissen wollte, wann man nach Hause kommt. Und von dieser Faszination ist bis heute nichts verloren gegangen.