In der vergangenen Saison schaffte es ein Team ins Champions-League-Viertelfinale, mit dem wirklich keiner gerechnet hatte: Atalanta Bergamo. Mittendrin: Ex-Dorfkicker Robin Gosens. Wie fühlt es sich an, in Zweikämpfe gegen Neymar zu müssen? Und was geht im Kopf vor, wenn der Traum vom Halbfinale in wenigen Sekunden platzt? Der Nationalspieler über die bitterste Niederlage seiner Karriere.
Der folgende Text ist ein Auszug aus dem Buch „Träumen lohnt sich“, das Robin Gosens gemeinsam mit Autor Mario Krischel geschrieben hat. Das Buch, in dem Gosens von seinem außergewöhnlichen Weg in den Profifußball erzählt, erscheint am 08.04.2021.
Ich lese sehr gerne Thriller und Romane. Und staune regelmäßig, wie Autoren es schaffen, ein gebrochenes Herz so zu beschreiben, dass es einen wirklich mitnimmt. Ich werde das in diesem Kapitel ebenfalls versuchen, kann aber natürlich nicht versprechen, dass es auch wirklich klappt. Habt ihr schon mal einen Tippschein ausgefüllt, auf dem bis zur letzten Spielminute alles richtig war? Und dann macht ein spätes Tor doch noch alles kaputt? Oder habt ihr schon mal stunden- oder tagelang gehofft, dass der oder die Liebste sich endlich meldet? Vergeblich gehofft? Das ist ein brutales Gefühl. Ein solches Gefühl multipliziert mit zehn, und wir kommen ungefähr dahin, wo Neymar mich in Lissabon gelassen hat. Dieser verdammte Neymar.
Es war eine seltsame Situation, in der wir zum Champions-League-Viertelfinale nach Portugal aufbrachen. Die UEFA hatte beschlossen, dass die verbliebenen acht Teams ihre Viertelfinal-Partien aufgrund der Corona-Pandemie an einem Ort in einer Art Turnier austragen. Die Wahl war auf Lissabon gefallen. Zusammen mit Paris Saint-Germain, RB Leipzig und Atletico Madrid waren wir bereits qualifiziert. Ihr erinnert euch an Valencia. Bayern München, Chelsea, Barcelona, Neapel, Real Madrid, Manchester City, Olympique Lyon und Juventus hatten ihre Achtelfinal-Rückspiele vor der fast weltweiten Unterbrechung des Spielbetriebs nicht mehr austragen können, ihre Begegnungen wurden noch in den jeweiligen Stadien der Teams gespielt, danach sollten die letzten Viertelfinalteilnehmer auch nach Lissabon fliegen und sich in die „Corona-Blase“ begeben.
„Okay, PSG. Krank.“
Rabea und ich verfolgten die Auslosung, die bereits vor der Austragung der letzten Achtelfinal-Spiele stattfand, zu Hause vor dem Fernseher. Als Atalanta vs. PSG gezogen wurde, dachte ich nur: „Okay, PSG. Krank.“ PSG, Thomas Tuchel, Kylian Mbappé. Und Neymar. Ich hatte Neymar schon immer bewundert. Wegen seiner krassen Dribblings hatte ich früher bei Fifa auf der Playstation immer den FC Santos gewählt. Als Neymar, der nur zwei Jahre älter ist als ich, 2009 bei Santos zu zaubern begann, war ich gerade in die U17 des VfL Rhede gekommen. B‑Jugend statt erster brasilianischer Liga. Als er 2013 für 88 Millionen Euro von Santos zum FC Barcelona transferiert wurde, verdiente ich mir in der zweiten Mannschaft von Vitesse Arnheim meine ersten Sporen. Und während Neymar 2017, längst ein Weltstar, für die Rekordsumme von 222 Millionen Euro zu Paris Saint-Germain wechselte, überwies Atalanta Bergamo an Heracles Almelo 900 000 Euro für meine Dienste. Ganz offiziell war Neymar damit 246-mal so viel wert wie Robin Gosens. Ein Ferrari neben einem Dreirad, aber wen kümmert das schon? (Wie Robin Gosens überhaupt im Profifußball gelandet ist, lest ihr in diesem Interview)
Eins vorweg: Ich hatte in Italien das große Vergnügen, einige Male gegen Cristiano Ronaldo zu spielen und ihn 2019 sogar aus der Coppa Italia zu schmeißen. Aber an das, was Neymar da mit uns in diesem Spiel abgezogen hat, kam selbst CR7 nicht ran. Was der mit dem Ball anstellt, ist einfach unglaublich. Der kann aus dem Stand drei oder vier Spieler vernaschen, bevor die überhaupt die Chance haben, ihre Mama um Hilfe zu rufen.
Nach der Auslosung reagierten die Jungs aus der Mannschaft ähnlich wie ich: Richtig geil, Jackpot. Zumal es außerdem so schien, dass wir die vermeintlich einfachere Seite des Turnierzweigs erwischt hatten. Sollten wir uns also gegen PSG durchsetzen, würden im Halbfinale nicht der FC Bayern oder Manchester City warten, sondern „nur“ Atletico Madrid oder RB Leipzig. Eklige Gegner, klar. Aber immer noch machbarer als Bayern oder City. Gegen City waren wir in der Gruppenphase mit 1:5 untergangenen. Natürlich hätte ich gerne gegen die Bayern gespielt, das war immer ein Traum von mir. Aber die waren zu dem Zeitpunkt so unfassbar gut drauf, dass ich doch lieber darauf verzichten wollte. Gegen Paris rechneten wir uns reelle Chancen aus. Denn gegen diese Weltauswahl hatten wir nichts zu verlieren und würden ohne Druck, ohne Versagensängste in die Partie gehen können. Wir konnten versuchen, unser gewohntes Spiel aufzuziehen. Würden wir die Begegnung gewinnen, stünden wir sensationell im Halbfinale der Champions League. Eine Niederlage würde dagegen für einen vorzeitigen Sommerurlaub sorgen, auch sehr reizvoll.
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