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Seite 4: „Vielleicht hätten wir länger mit der ersten 11 zocken sollen“

In den ersten 45 Minuten lief alles für uns. Neymar ließ zwei Groß­chancen aus, wir kamen immer besser ins Spiel, und in der 26. Minute schoss uns Mario Pasalic, unsere Nummer 88, in Füh­rung. Wieder so ein Moment, der für immer bleiben wird. Wie wir aus­ge­rastet sind, wie ein­fach alles passte. Das war ein­fach nur geil. In der Halb­zeit war der Trainer voll des Lobes: Jungs, ihr habt das groß­artig gemacht! Unser Plan geht auf. Diese zwei Chancen, die Neymar da lie­gen­lässt … Heute ist so ein Tag. Glaubt an euch!“ Auch ich war mir ganz sicher: Ver­dammt noch mal, hier geht heute wirk­lich was! Gas­pe­rini sagte aller­dings noch etwas: Wir dürfen auf gar keinen Fall auf­hören, Fuß­ball zu spielen. Macht genauso weiter, solange die Kräfte rei­chen. Dann bringen wir das Ding nach Hause!“ 

Das hat in seiner und meiner Vor­stel­lung wohl besser funk­tio­niert als in der Rea­lität. Nach der Pause bekamen wir kaum noch Zugriff und liefen zuneh­mend hin­terher. Wir schafften es ein­fach nicht mehr, unser eigenes Spiel auf­zu­ziehen. Irgend­wann ging uns der Sprit aus. Aus­ge­rechnet jetzt, im größten Spiel unseres Lebens. Die ersten 15 Minuten in Hälfte zwei waren noch okay, da hatten wir noch klei­nere Ball­sta­fetten. Doch ab der 60. Minute wurde es immer weniger, wir waren nur noch am Ver­tei­digen, kamen gar nicht mehr richtig in die Zwei­kämpfe. Daran merkt man meis­tens, dass man an Boden ver­liert: Wenn man den letzten Schritt im Eins-gegen-eins nicht mehr gehen kann. Ich brauche diese Zwei­kämpfe, um mich zu pushen. Viel­leicht hätten wir mit unseren Fans im Rücken die feh­lenden fünf Pro­zent wett­ma­chen können. Sie hätten uns nach vorne gebrüllt, uns eine zweite oder dritte Lunge ver­schafft. Aber es ist müßig dar­über zu dis­ku­tieren, schließ­lich hatten alle Teams mit diesem Han­dicap zu kämpfen. 

Es war fast so etwas wie ein Gna­den­stoß“

Robin Gosens

Zu allem Über­fluss hatten wir in der 82. Minute schon alle Wechsel ver­braucht und somit keine fri­sche Kraft mehr für die Ver­län­ge­rung. Denn man musste ja, auch auf­grund des Spiel­ver­laufs, damit rechnen, dass wir uns viel­leicht noch ein Gegentor fangen und in die Ver­län­ge­rung müssen. Klar, da hätten wir dann noch einmal tau­schen können, mit fünf neuen Spie­lern machte sich der Ver­lust des Rhythmus bemerkbar. Im Nach­hinein hätten wir viel­leicht länger mit der ersten 11 zocken sollen, weil es ja noch 1:0 für uns stand. Aber: hätte hätte Fahr­rad­kette. Zudem bin ich auch nicht der Trainer, und der Trainer war nun mal der­je­nige, der uns über­haupt erst nach Lis­sabon gebracht hatte. Ich möchte also bitte nir­gendwo lesen: Gosens wirft Gas­pe­rini Ahnungs­lo­sig­keit vor.“ Danke. 

Jeden­falls wurde auch ich aus­ge­wech­selt, acht Minuten vor Schluss. Ich hätte die letzten Sequenzen zwar noch zu Ende gespielt, war aber nicht mehr in der Lage, noch einmal alles zu geben. Mein Limit war über­schritten. Und dann lief die letzte, wirk­lich aller­letzte Minute der regu­lären Spiel­zeit. Neymar kam an den Ball, spielte einen krummen Pass in die Mitte, fand Kol­lege Mar­quinhos und es stand 1:1. Ein Moment der Fas­sungs­lo­sig­keit. Als hätte ich auf dem Ope­ra­ti­ons­tisch gelegen, und der Chirurg hätte mir ohne Nar­kose das Bein auf­ge­schnitten. Wir waren platt, das konnte wohl jeder sehen. Wir hatten so lange durch­ge­halten. Wenn du 90 Minuten alles rein­schmeißt, das Cham­pions-League-Halb­fi­nale zum Greifen nah ist und du dann so bitter ent­täuscht wirst, ist das ein­fach grausam. Da war eine Leere in meinem Körper. Und es wurde noch viel schlimmer. Auf der Bank hatten wir uns gerade noch schief ange­guckt und ahnten, dass es jetzt ganz schwer werden würde. Es war ein­fach kein Benzin mehr im Tank. Spä­tes­tens in der Ver­län­ge­rung, so ahnten wir, würden wir umfallen. Aber bis dahin kam es gar nicht. 

Eric Maxim Choupo-Moting erzielte in der dritten Minute der Nach­spiel­zeit das 2:1. Neymar lei­tete das Tor über­ra­gend ein. Dieser ver­dammte Neymar. Wir hatten nichts mehr ent­ge­gen­zu­setzen und sogar einen A‑Jugendlichen ein­wech­seln müssen, wäh­rend bei Paris ein Super­star wie Kylian Mbappé von der Bank kam und anschlie­ßend einen nach dem anderen ver­naschte. Um da mit­zu­halten, hätten wir Scooter oder Autos gebraucht. Irgend­wann wäre das zweite Tor für PSG gefallen, also war es fast so etwas wie ein Gna­den­stoß, dass wir nicht noch die Ver­län­ge­rung ertragen mussten. Aber es tat unglaub­lich weh. Für so ein Spiel hatten wir uns zwei Jahre lang den Arsch auf­ge­rissen. Man hört ja häufig Spieler in Inter­views sagen, dass sie wäh­rend des Spiels nicht eine Sekunde an den Sieg oder ans Wei­ter­kommen gedacht hätten. Blöd­sinn. Natür­lich habe ich nach dem 1:0 vom Halb­fi­nale geträumt. Und natür­lich hatte ich mich schon darauf gefreut. Das wurde uns inner­halb von drei Minuten genommen, und plötz­lich hieß es Koffer packen. Freud und Leid liegen manchmal wirk­lich beschissen nah bei­ein­ander.

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Man of the Match? Neymar!

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