Joel Matip erlebt in Liverpool die Zeit seines Lebens. Jetzt ist er auch noch Meister. Und das Geheimnis seines Erfolgs ist eine Currywurstbude im Ruhrpott.
Zurück zum Spiel gegen Barcelona. Liverpool führt mit 3:0, als Trent Alexander-Arnold eine legendäre Ecke schlägt. Er geht erst weg, dreht sich um und übertölpelt mit seiner Hereingabe Barcelona.
Das war ein Geistesblitz. Doch nicht ganz ohne Vorbereitung. Im Training studieren wir Freistöße oder Ecken ein, die angreifende Mannschaft schlägt sie direkt nacheinander rein. Wenn die Verteidiger zu lange brauchen, um sich zu sortieren – Pech gehabt! Wir hatten also dieses schnelle Spiel im Blut.
Der 4:0‑Sieg gilt als eines der größten Europapokalspiele. Welche Momente des Abends haben Sie noch besonders in Erinnerung?
Nach dem Spiel haben wir uns Arm in Arm vor dem Kop aufgereiht und zusammen mit den Fans „You’ll Never Walk Alone“ gesungen. Das war einer der schönsten Momente meiner Karriere, vielleicht gleichauf mit meinem Debüt für Schalke in München. Es mag sich komisch anhören, aber dieses Singen vor der Kurve war sogar noch emotionaler als der Gewinn der Champions League selbst. Es war die pure Glückseligkeit.
Was passierte in der Kabine?
Das weiß ich gar nicht. Ich musste zur Dopingprobe.
Und das nach so einem Spiel …
Mir war alles egal, das Singen mit den Fans hat mich schweben lassen. Und als ich in den kleinen Raum reinkam, saß da ein ziemlich niedergeschlagener Typ: Lionel Messi. Man kennt sich zwar vom Rasen, aber sitzt auch nicht jeden Tag mit ihm in einem kleinen Raum wie beim Kaffeekränzchen herum. Alle feiern – und ich sitze mit Messi in einem Kabuff.
Haben Sie ihn aufs Spiel angesprochen?
Nein, er war total am Boden. Da lasse ich die Leute dann in Ruhe. Messi war auch schneller weg als ich. Ich war megaplatt und habe ewig gebraucht, bis ich pinkeln konnte. In der ersten halben Stunde habe ich drei Liter getrunken, doch das hat alles nichts gebracht. Über eine Stunde saß ich wohl in dem Raum, aber an diesem Abend hatte ich trotzdem ein Lächeln im Gesicht. Als ich endlich fertig war, war unsere Kabine komplett leer. Ich habe mich dann alleine umgezogen, noch einmal in das verlassene Stadion geschaut und bin nach Hause. Immerhin gab es keinen großen Verkehr mehr und ich kam schnell durch.
Während Sie im Dopingraum saßen, meinte Jürgen Klopp bei DAZN: „Was Joel da gespielt hat, hat richtig Spaß gemacht.“
Es gibt Schlimmeres, als so was zu hören.
Klopp war es ein Anliegen, Ihre Leistung hervorzuheben. Gehen Sie in der öffentlichen Wahrnehmung etwas unter?
Wertschätzung ist immer schön, aber mein Selbstbild hängt nicht davon ab. Ich bin nicht todtraurig, wenn ich mal nicht erwähnt werde.
Als einer der wenigen Profis haben Sie keinen Account in den Sozialen Medien.
Ich bin kein Einsiedler, aber das macht mir einfach keinen Spaß. Ich weiß, das ist merkwürdig.
Nicht unbedingt …
… doch, doch, doch. Meine Mitspieler haben alle einen Account. Manchmal lese ich auch einige Posts durch, um auf dem neuesten Stand zu bleiben. Ich verweigere mich auch nicht allen modernen Erscheinungen, denn ich bin ein Serienjunkie, schaue „Game of Thrones“ oder „Big Bang Theory“. Aber dieses Posten, das ist nichts für mich.
„Als wir im Stadion ankamen, schoss Schalke gerade das 4:4 und ich bin extra mit einem breiten Lächeln am Trainer vorbeigelaufen“
Wie ist Ihr Verhältnis zu Klopp?
Ausgezeichnet, er ist ein guter Trainer – und ebenso guter Sprücheklopfer. Manchmal bin ich in der Kabine auch der Einzige, der seine Witzchen sofort versteht. Ich sitze an der Seite und beobachte dann die anderen, wie sie erst einmal grübeln. Wenn der Trainer Sachen sagt wie „That was not the yellow from the egg“, also nicht das Gelbe vom Ei, prusten nur der Co-Trainer und ich los. Im Anschluss muss ich den anderen die Sätze erklären. Oder: „That was snow from yesterday.“ Meine Mitspieler meinten, in England sagt man in dem Fall: „water under the bridge“. Das ergibt jetzt auch nicht so viel mehr Sinn.
Gibt es Sticheleien zwischen dem Ex-Dortmunder Klopp und dem Ex-Schalker Matip?
Immer. Am schönsten war das 4:4 im Derby vor einigen Jahren. Wir hatten am selben Tag ein Spiel. Als ich nach der Besprechung aufs Handy schaute, stand es 0:4. Klopp kam zu mir und meinte: „Joel, ist alles in Ordnung? Willst du drüber reden?“ Als wir im Stadion ankamen, schoss Schalke gerade das 4:4 und ich bin extra mit einem breiten Lächeln am Trainer vorbeigelaufen.
Die Bilder von Klopp mit Bier und Pokal bei der Siegerparade gingen um die Welt. Wir haben nur ganz wenige Bilder von Ihnen mit dem Pokal oder bei der Parade gefunden.
Ich habe in der Nacht zwei Bilder mit dem Pokal gemacht und keine große Session veranstaltet. Das muss reichen. Ich habe alles in meinem Kopf abgespeichert. Ich dachte an diesem Abend daran, wie ich als Kind die Endspiele gesehen habe. Wie Zinédine Zidane den Ball mit diesem phantastischen Drehschuss gegen Leverkusen reingekloppt hatte. Solche Spiele … und dann gewinnst du selbst so ein Finale.
… und gibst die Vorlage zum 2:0.
(Winkt ab und dreht sich zur Seite weg.)
Haben Sie etwas vom Champions League-Finale aufbewahrt?
Die Erinnerungen im Kopf. Ich habe nur eine Stunde in der Nacht geschlafen. Richtig schön war, dass meine Freunde und Familienmitglieder dabei waren. Leider konnten nicht alle kommen, weil mein Neffe an diesem Wochenende getauft wurde.
Kurz nach dem Finale haben Sie mit der F‑Jugend Ihres Neffen beim SC Weitmar gekickt, Ihrem Heimatverein in Bochum.
Ja, der Kleine hat seine Onkel im Fernsehen Fußball spielen sehen (Joel und seinen Bruder Marvin, d. Red.). Leider hatten wir nie viel Zeit, mit ihm selbst zu spielen. Ich habe ihm also versprochen, dass wir das nach der Saison endlich mal in die Tat umsetzen. Nach dem Champions-League-Sieg hatte ich Urlaub und die F‑Jugend Training, also bin ich kurz rübergegangen. Mein Vater war auch dabei, weil er die Mannschaft trainiert.
Auf einem Bild setzt ein Junge im Mo-Salah-Trikot zur Blutgrätsche gegen Sie an.
Die Kids haben sehr viele Grätschen ausgepackt, da musste ich schon auf der Hut sein. Zu meiner Zeit war das noch ein Ascheplatz, da hätten sich alle blutige Knie geholt.