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Man kennt das. Der Fußweg zum Sta­dion ist mit­unter kein Ponyhof, schon gar nicht aus­wärts. Die Fans des CA San Lorenzo aus Buenos Aires aber fürchten sich am meisten vor den Heim­spielen, ins­be­son­dere wenn sie in den Abend­stunden statt­finden.

Das Estadio Pedro Pide­gain liegt näm­lich mitten im berüch­tigten Elends­viertel Flores, in dem Taschen­diebe, Auto­kna­cker und schwer bewaff­nete Räu­ber­banden zu Hun­derten ihr Unwesen treiben. Selbst große Gruppen von Anhän­gern werden von lokalen Gangs mit Macheten oder Revol­vern bedroht, aus­ge­raubt, ver­prü­gelt und mit­unter schwer ver­letzt.

Hacken sie dir ein­fach den Arm ab“

Manchmal werden im Schatten des Sta­dions sogar Men­schen ermordet. Sie atta­ckieren dich mit unglaub­li­cher Bru­ta­lität – nur für eine Arm­banduhr oder ein ver­ficktes Handy“, erzählt San-Lorenzo-Fan Carlo Rodri­guez (39). Und wenn du es nicht raus­rückst, hacken sie dir ein­fach den Arm ab und nehmen den auch noch mit.“

Dass Fans eines großen argen­ti­ni­schen Fuß­ball-Klubs unweit ihres eigenen Sta­dions vor fremden Banden zit­tern, ist eigent­lich ein Ding der Unmög­lich­keit. Wenn, dann fürchtet man dort eher die berüch­tigten Barras Bravas“, die jewei­ligen Ultra-Grup­pie­rungen aus dem Umfeld der Ver­eine, die in ihren Stadt­teilen La Boca (Boca Juniors), Bel­grano (River Plate) oder Avel­la­neda (Inde­pen­di­ente und Racing) das Sagen haben. Im Falle von San Lorenzo aber ist alles anders. Ganz anders.

Von der Militär-Junta unter Druck gesetzt 

Der Club Atlé­tico war nie wirk­lich in Flores zu Hause. In Wahr­heit ist er es bis heute nicht. Und er wird es wohl auch nie­mals sein. Der Verein stammt eigent­lich aus Boedo, einem hüb­schen Arbei­ter­viertel in Buenos Aires, einige Kilo­meter öst­lich von Flores gelegen.

Doch Ende der 1979 wurde der CA San Lorenzo von der damals herr­schenden rechten Militär-Junta aus dem boo­menden Boedo, nun ja, hinaus kom­pli­men­tiert. Der Klub hatte immense Schulden. Um diese tilgen zu können, musste man der Obrig­keit das eigene Sta­dion nebst Grund­stück zum Spott­preis über­lassen.

Alt­ein­ge­ses­sene San-Lorenzo-Fans behaupten bis heute, die Macht­haber hätten den Verein wegen seiner bas­ki­schen Wur­zeln zer­stören wollen. Schließ­lich galt das Bas­ken­land einst als Wider­stands­nest gegen Spa­niens rechten Militär-Macht­haber Franco, einen geis­tigen Bruder der argen­ti­ni­schen Junta-Gene­räle. 

Diese beteu­erten schein­heilig, an Stelle des Sta­dions drin­gend benö­tigten Wohn­raum errichten zu wollen. Letzt­lich aber wurde auf dem hei­ligen Boden nur ein schnöder Super­markt­kom­plex hoch­ge­zogen. Einzig die Tango-Abtei­lung des Klubs ver­blieb in Boedo. Ihr Tanz­saal dient bis heute als Treff­punkt für Fans. 

Die Fuß­baller des CA San Lorenzo, zu deren treu­esten Fans schon damals ein gewisser Jorge Mario Berg­o­glio (heute: Papst Fran­ziskus) zählte, mussten zusehen, wo sie bleiben. Erst nach 14 end­losen Vaga­bunden-Jahren mit ständig wech­selnden Spiel­stätten lan­dete man schließ­lich dort, wo die Grund­stücke beson­ders billig waren, weil nie­mand dorthin wollte: in Flores, das seit je her zu den ärmsten Bar­rios im Süden der Haupt­stadt zählt. Und zu den gefähr­lichsten.

Keine Heim­spiele mehr in den Abend­stunden

1993 bezog der CA San Lorenzo seine neue Heim­spiel­stätte mit knapp 48.000 Zuschau­er­plätzen. Doch so viele kamen fast nie. Vom ersten Tag an frem­delten viele Fans mit der neuen Umge­bung, die mit jeder natio­nalen Wirt­schafts­krise rauer und kri­mi­neller wurde. 

Heute ist Flores ein völlig gesetz­loser Ort. Die Angst ist immer dabei, wenn du zum Sta­dion gehst“, klagt Carlo Rodri­guez. Ich selbst gehe nur noch äußerst selten hin – und vor allem: nie­mals, wenn es dunkel ist, denn dann bist du dort deines Lebens nicht mehr sicher.“

Nun will die Klub­füh­rung die Not­bremse ziehen und zumin­dest in den Abend­stunden keine Heim­spiele mehr aus­tragen: Auf­grund der Raub­über­fälle, die unsere Fans in der Nähe des Sta­dions erleiden, bleibt uns keine andere Wahl“, schrieb Prä­si­dent Matias Lam­mens in einer ver­zwei­felten Peti­tion an die Liga.

Skur­rile Szenen

In Kri­sen­ge­sprä­chen zeich­neten die Ver­ant­wort­li­chen des CA San Lorenzo ein dra­ma­ti­sches Bild von der Lage vor Ort: So klauen Kri­mi­nelle auf bewachten (!) Park­plätzen wäh­rend der Spiele in aller See­len­ruhe Felgen, Auto­bat­te­rien und Air­bags – oder sie nehmen gleich die kom­pletten Fahr­zeuge an sich. Mit dem Taxi zu den Spielen zu fahren, ist auch keine Alter­na­tive. Die meisten Taxi­stas“ wei­gern sich, Flores anzu­steuern.

Und die Polizei? Die ist zwar prä­sent, aber irgendwie nicht bei der Sache. Vor den kri­mi­nellen Banden von Flores fürchten sich auch hart­ge­sot­tene Geset­zes­hüter, was mit­unter zu skur­rilen Szenen führt: Sieht ein Schutz­mann, wie eine Gangs­ter­bande einem Fan auf offener Straße das Handy ent­reißt, wendet er dem Geschehen ganz ein­fach den Rücken zu.

Noch ehe das Opfer auf sich auf­merksam machen kann, sind die Täter im engen Geflecht der kleinen, dunklen Sei­ten­straßen ver­schwunden. Sie ver­folgen? „›Das hat keinen Zweck‹ hörst du dann von den Poli­zisten“, sagt Carlo Rodri­guez und lacht, obwohl es eigent­lich zum Heulen ist. Außer­halb der Spiel­tage traut sich eh kaum ein Poli­zist in diese durch und durch düs­tere Gegend.“

Mit­tel­fristig kann die Lösung für den CA San Lorenzo wohl nur lauten: Zurück nach Boedo, wo der Klub einst zu inter­kon­ti­nen­talem Ruhm gelangte. Spä­tes­tens in den frühen 30er-Jahren zählten die Cuervos“ (Krähen) gemeinsam mit den Stadt­ri­valen Boca, River Plate, Inde­pen­di­ente und Racing zu den Großen Fünf“ im argen­ti­ni­schen Fuß­ball.

1946 schlug man wäh­rend einer Europa-Tournee nach­ein­ander den FC Bar­ce­lona sowie die Natio­nal­teams von Spa­nien und Por­tugal. Die ibe­ri­sche Presse jubelte: San Lorenzo ist die beste Mann­schaft der Welt!“ 22 Jahre später wurde der Klub ohne eine ein­zige Nie­der­lage argen­ti­ni­scher Meister, was den dama­ligen Spie­lern den Ehren­titel Los Mata­dores“ ein­brachte.

Dieser gott­ver­dammte Umzug

Bis heute stehen ins­ge­samt zwölf natio­nale Cham­pio­nate im Brief­kopf des CA San Lorenzo. Die Liste seiner ehe­ma­ligen Trainer ist gespickt mit pro­mi­nenten Namen wie Dr. Carlos Bilardo, Bora Miluti­novic, Alfio Basile oder Manuel Pel­le­g­rini. Sie coachten zahl­reiche große Legio­näre wie Para­guays Tor­wart-Exzen­triker José Luis Chi­la­vert, den Kolum­bianer Iván Cor­doba oder Uru­guays Abwehr-Rau­bein Paolo Mon­tero.

Auch ein­hei­mi­sche Top­stars wie Ángel Correa, Eze­quiel Lavezzi, Pablo Zaba­leta und (Ach­tung, liebe HSV-Fans) Ber­nardo Romeo trugen einst das blau-rote Trikot. Letz­terer kehrte nach seiner aktiven Kar­riere zum CA San Lorenzo zurück und bekleidet seit 2012 den Mana­ger­posten.

Doch es sind schwere Zeiten für die Klub­füh­rung. Zwar waren die ver­gan­genen Jahre, auch dank der guten Arbeit von Romeo, sport­lich erfolg­reich. Doch trotz der Meis­ter­schaft von 2013 und des Gewinns der Copa Libert­adores 2014 sind Glanz und Gloria des Club Atlé­tico San Lorenzo im Begriff zu ver­blassen. Und Schuld daran ist dieser gott­ver­dammte Umzug in diese gott­ver­las­sene Gegend.