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Seite 2: „Felix Magath schickte mich zu den Amateuren"

Was nimmt man von gene­rell einem sol­chen Auf­ent­halt mit?
Ganz viel. Und auch ganz unter­schied­liche Dinge. In Bilbao zum Bei­spiel war es beein­dru­ckend zu sehen, wie der Klub es schafft, mit sehr limi­tierten Res­sourcen zu arbeiten.

Weil der Klub nur Spieler aus dem Bas­ken­land ver­pflichtet.
Genau. Das Ein­zugs­ge­biet mit drei­ein­halb, vier Mil­lionen Men­schen ist ähn­lich wie hier in Berlin. Allein aus dieser Res­source rekru­tiert Ath­letic die Spieler für die Aka­demie und aus der Aka­demie schließ­lich die Spieler für die Pro­fi­mann­schaft. Die Durch­läs­sig­keit ist ein­fach über­ra­gend. In den ver­gan­genen zehn Jahren hat es der Klub sieben oder acht Mal in den Euro­pa­pokal geschafft. Wahn­sinn.

Was davon können die Deut­schen für ihr eigenes System über­nehmen?
Vieles wäre über­tragbar, aber natür­lich nicht alles. Wir haben auch beson­dere Tugenden, die für uns wichtig sind. In Bilbao wird ein Aspekt beson­ders groß­ge­schrieben: Das ist, eine gewisse Lern­fä­hig­keit zu kon­ser­vieren, bis ins hohe Spie­ler­alter. Bei Ath­letic sagen sie: Wenn ein Spieler lern­fähig bleibt, bleibt er auch offen dafür, sich weiter zu ent­wi­ckeln.

Wie geht das?
Indem die Spieler ganz früh für Kritik sen­si­bi­li­siert werden – und indem sie lernen, Kritik als etwas Posi­tives zu betrachten. Die Trainer sind dazu da, diesen Pro­zess zu mode­rieren. Es gibt auch einen Psy­cho­logen, der wie­derum die Trainer schult und die Kinder schon ab der U 11 dazu anhält, sich gegen­seitig zu spie­geln. Sie sollen lernen, sich zu kri­ti­sieren, aber nicht, um sich gegen­seitig nie­der­zu­ma­chen, son­dern um sich zu helfen. In Deutsch­land habe ich so etwas noch nicht erlebt. Wenn dir hier jemand etwas Kri­ti­sches sagt, ziehst du dich eher in dein Schne­cken­haus zurück.

Seattle war das beste, was mir pas­sieren konnte“

Alexander Nouri

Holen Sie sich auch als Trainer Feed­back von außen?
Ich finde das total wichtig. 2018 habe ich bei den Seattle Sounders hos­pi­tiert. Da hat der Trainer immer einen großen Kreis um sich ver­sam­melt, aus dem er sich Infor­ma­tionen geholt hat. Auch in den Bespre­chungen vor einem Spiel. Da war ein U‑23-Trainer dabei, es waren Leute von der medi­zi­ni­schen Abtei­lung dabei, manchmal bis zu zehn Leute, und jeder sollte seine poten­zi­elle Startelf skiz­zieren. Für mich war das etwas Beson­deres, weil ich das so nicht kannte. Der Trainer hat mir gesagt, dass dies für seinen Gesamt­ein­druck sehr wichtig sei. Außerdem sollte jeder das Gefühl haben, dass er ein Teil des Ganzen ist und sich ein­bringen kann.

Sie waren auch 1999 schon als Spieler in Seattle. Wie sind Sie damals dort gelandet?
Als Jung­profi bei Werder Bremen bin ich ein Jahr wegen einer schweren Ver­let­zung aus­ge­fallen und dann von Felix Magath nach der Sai­son­vor­be­rei­tung zusammen mit Razun­dara Tji­kuzu und Chris­toph Dabrowski zu den Ama­teuren geschickt worden. Das war damals keine U 23, da spielten gestan­dene Leute wie Thomas Wolter und Uwe Hart­tgen. Als Rekon­va­les­zent hatte ich wenig Selbst­ver­trauen und ent­spre­chend wenig Aus­sicht auf Spiel­praxis. In dieser Situa­tion kam das Angebot aus Seattle. Okay, habe ich gedacht, was habe ich denn zu ver­lieren? Außerdem bin ich sehr ame­ri­kaaffin, weil viele Ver­wandte von mir, meine Oma, Onkels und Tanten, in den USA lebten.

Sie sind also nicht wegen der Musik nach Seattle?
Nein, aber die Musik­szene ist natür­lich mega­be­ein­dru­ckend. Die Heimat von Jimi Hen­drix und Kurt Cobain. Seattle ist sowieso eine total fas­zi­nie­rende Stadt. Auch mit der gewal­tigen Natur rund­herum. Was meine per­sön­liche Ent­wick­lung betrifft, war Seattle das Beste, was mir damals pas­sieren konnte.

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Welche Trainer haben Sie am meisten geprägt?
Schwie­rige Frage. Eigent­lich muss ich da meinen Vater nennen, der mich auf der ganzen Reise begleitet und bestärkt hat. Sowohl als Spieler bis zu meinem Wechsel ins Nach­wuchs­zen­trum von Werder Bremen als auch später als Trainer, weil er selbst Trainer war.

Was war er für ein Trainer?

Ein sehr empa­thi­scher. Aber auch ehr­geizig und dis­zi­pli­niert. Er wollte immer erfolg­reich sein.

Wie schwer war es, zwi­schen seinen ver­schie­denen Rollen als Vater und als Trainer zu trennen?

Es war zumin­dest nicht immer ein­fach, vor allem im Teen­ager­alter nicht, als ich U‑Nationalspieler und dadurch auf dieser Leis­tungs­schiene unter­wegs war. Irgend­wann ver­schwimmt das: Was ist nor­male väter­liche Zunei­gung? Was ist Aner­ken­nung für deine Leis­tung als Fuß­baller? Aber ich glaube, dass wir das echt gut gema­nagt haben. Im Nach­hinein kann ich sagen, dass ich sehr viel Liebe und sehr viel Zunei­gung erfahren habe. Aber du willst natür­lich auch gut spielen, um von deinem Vater ein ent­spre­chendes Feed­back zu bekommen.

Wurde der Fuß­ball auch in die Familie hin­ein­ge­tragen?

Der Fuß­ball war bei uns schon omni­prä­sent, auch im nor­malen Fami­li­en­leben. Ich glaube, meine Schwester hatte damit zu kämpfen, weil natür­lich ein starker Fokus auf meinen Weg und meinen Wer­de­gang gerichtet war. Viel­leicht auch ein biss­chen unbe­wusst. Meine Schwester ist drei Jahre älter, sie konnte andere Dinge machen, die ich nicht machen konnte. Trotzdem glaube ich, dass sie ein Stück weit zurück­ste­cken musste.

Ihr Vater war Che­miker, hat als Wis­sen­schaftler an der Uni gear­beitet. Hat man das in seiner Trai­ner­tä­tig­keit gemerkt?
Weniger. Mein Vater ist jemand, der sehr prag­ma­tisch ist. Was ich von ihm über­nommen habe, ist sein Arbeits­ethos. Er war nie mate­ria­lis­tisch und ist es nach wie vor nicht. Mein Vater fährt mit dem Fahrrad überall hin, mit öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln, oder er geht gleich zu Fuß. Das hat mir sehr impo­niert und mich auch geprägt. Meine Mutter kommt als Ober­ge­richts­voll­zie­herin aus einer anderen Ecke. Dadurch sind bei uns zu Hause zwei Welten auf­ein­an­der­ge­prallt. Mein Vater hat mit Geld und Finanzen nichts am Hut, kann damit auch nichts anfangen. Meine Mutter war eher die­je­nige, die den Laden zusam­men­ge­halten hat.