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Seite 2: Tränen in Walters Stube

Im März wurde auch noch Friedel Rausch ent­lassen, den ich für einen sehr guten Trainer hielt. Ich erin­nere mich noch genau an den trä­nen­rei­chen Abschied: Wir saßen bei Fritz Walter zu Hause. Fritz war am Boden zer­stört, er pro­phe­zeite den Absturz in den Ama­teur­fuß­ball, sollte der FCK tat­säch­lich absteigen. Der größte Spieler, den der FCK her­vor­ge­bracht hatte, sah sein Lebens­werk vor dem Zer­fall.

Frie­dels Nach­folger wurde Eck­hard Krautzun. Ich will nicht nach­treten, aber noch heute klingt mir sein Satz im Ohr: Wenn wir den Klas­sen­er­halt schaffen, bin ich hier der Gott!“ So ent­facht man keinen Team­geist, das ist alles, was ich dazu sage.

Am letzten Spieltag hatten wir den­noch alles selbst in der Hand. Ein Sieg in Lever­kusen hätte die Ret­tung bedeutet. Es war prak­tisch ein Heim­spiel für uns, das Sta­dion war zu drei Vier­teln mit FCK-Fans gefüllt. Nach all dem Rum­pel­fuß­ball sind wir in dieser alles ent­schei­denden Partie auf­ge­treten, als würden wir um die Meis­ter­schaft spielen. Wir waren fest davon über­zeugt, dass wir es schaffen würden und spielten die Lever­ku­sener über eine Stunde an die Wand. Doch acht Minuten vor Schluss schickte uns Markus Münch mit seinem Geschoss unter die Latte in die zweite Liga. In ganz Kai­sers­lau­tern hingen die Fahnen auf Halb­mast. Und Krautzun war doch kein Gott.

Das Absurde: Eine Woche nach dem Abstieg holten wir in Berlin den DFB-Pokal, 1:0 gegen den KSC mit Icke Häßler und Jens Nowotny. Es war der blanke Hohn, wie ein letztes Zei­chen dafür, wie unnötig unser Abstieg gewesen war. Wir fuhren alle unmit­telbar danach in Urlaub, unsere Tsche­chen spielten die EM in Eng­land. Zur Sai­son­vor­be­rei­tung sahen wir uns alle wieder. Der Verein hatte es geschafft, prak­tisch alle Leis­tungs­träger zu halten. Der Impuls dahin kam auch von uns Spie­lern. Wir emp­fanden alle ähn­lich wie Pavel Kuka, der nach dem Lever­kusen-Spiel gesagt hatte: Ich habe große Schuld.“ Wir hatten die Region ins Tal der Tränen gestürzt und wollten sie nun wieder auf­richten. So wie sich die Bayern ein paar Jahre später beim Ban­kett nach der Last-Minute-Nie­der­lage gegen Man­chester United schworen, die Scharte aus­zu­wetzen, fassten wir zusammen den Ent­schluss, mög­lichst schnell wieder ins Ober­haus zu kommen. Im Juli, die Vor­be­rei­tung lief bereits, kam Otto Reh­hagel zum FCK. Atze Fried­rich, der dama­lige Prä­si­dent, begrüßte ihn mit den Worten: Hier darfst du wieder Otto sein!“ Und Otto war Otto. Er sagte gleich bei seinem Amts­an­tritt zu uns: Glaubt ja nicht, dass das ein Selbst­läufer wird!“ Er führte von Anfang an unzäh­lige Ein­zel­ge­spräche, vor allem mit denen, die schon beim Abstieg dabei gewesen waren. Als es los­ging, hatte er uns längst die Demut gegen­über der zweiten Liga ein­ge­impft. Für die Mis­sion Wie­der­auf­stieg war es eine sehr wich­tige Ent­schei­dung, ihn zu holen. Sofort herrschte wieder Auf­bruch­stim­mung im Umfeld. Für das erste Trai­ning unter Reh­hagel mussten wir ins Fritz-Walter-Sta­dion umziehen, weil 30 000 Leute gekommen waren.

In Liga 2 brauchte ich fünf Tri­kots zum Tau­schen“

Wie der Trainer es pro­phe­zeit hatte: Ein­fach war die Saison in der zweiten Liga nicht, es war für mein Gefühl sogar die längste meiner Lauf­bahn. Zuletzt hatte ich als 20-Jäh­riger im Unter­haus gekickt, mit dem 1. FC Saar­brü­cken. 15 Jahre später blickte ich auf eine Welt­kar­riere zurück – und musste mit dem FCK gegen Gütersloh oder Unter­ha­ching antreten. Für einige Gegen­spieler war es etwas Beson­deres, gegen Andreas Brehme, den Welt­meister, anzu­treten. Bei man­chen Spielen hätte ich fünf Tri­kots zum Tau­schen gebraucht. Gegen Unter­ha­ching konnten wir zum Auf­takt kein Tor erzielen, bei den Stutt­garter Kickers gelang uns immerhin ein müh­samer 2:0‑Erfolg. Unser erstes Spiel ver­loren wir dann aus­ge­rechnet in Meppen, dem Inbe­griff der Zweiten Bun­des­liga. Das Ems­land­sta­dion kannte ich aber schon, denn dort hatte ich vor einer Ewig­keit mit meinem Stamm­verein Barmbek-Uhlen­horst in der Ober­liga Nord gespielt.

Unsere Fans folgten uns überall hin – das war phä­no­menal. Auch die letzte Partie bestritten wir gegen Meppen. Wir waren schon seit drei Spiel­tagen auf­ge­stiegen, beim Stand von 6:2 ließ ich mich aus­wech­seln, am Ende stand ein 7:6, wie beim Tennis. Wir hatten zwar auch Gur­ken­fuß­ball geboten, wichtig aber war: Der FCK war wieder erst­klassig! Mis­sion erfüllt? Noch nicht! Otto wollte unbe­dingt, dass ich noch ein Jahr dran­hängte. Ich sagte ihm aber klipp und klar, dass ich nicht mehr der Jüngste sei. Wenn Sie mich brau­chen, Trainer, bin ich da“, sagte ich. Aber ein Joker wollte ich nicht sein, ich war noch nie einer, der ins lau­fende Spiel kommt. Reh­hagel stimmte zu, und so wurde ich als Kapitän zum Stand-by-Spieler. Meinem Ansehen in der Mann­schaft hat das nicht geschadet – im Gegen­teil. Ich wurde eine Art inof­fi­zi­eller Co-Trainer. Ich saß nicht selten auf der Tri­büne und ana­ly­sierte von dort mit Argus­augen das Spiel. In der Halb­zeit eilte ich zum Trainer, um ihm meine Erkennt­nisse zu prä­sen­tieren. Er hat mich immer um meine Mei­nung gebeten, oft wollte er auch, dass ich neben ihm auf der Bank saß. Wenn er sich in seiner typi­schen Rum­pel­stilz­chen-Art über eine Szene ärgerte, konnte es schon mal pas­sieren, dass er mich ordent­lich durch­schüt­telte.

Otto hatte immer drei, Vier ver­län­gerte Arme

Mit Zau­ber­maus Rat­inho und dem langen Abwehr­mann Michael Schjön­berg waren bereits in der Vor­saison zwei Leute zu uns gestoßen, die uns wirk­lich weiter halfen. Rich­tige Typen waren das, mit denen man auch feiern konnte, die aber wussten, wann es zur Sache ging. Typen, von denen wir im Abstiegs­jahr zu wenige gehabt hatten. Reh­hagel zeich­nete vor allem seine ehr­liche Art aus. Er hat uns an der langen Leine gelassen, hat uns nicht kon­trol­liert. Zu mir hat er ab und zu gesagt, ich solle mir mal ein, zwei Tage frei­nehmen. Wenn jemand auf­muckte, regelte er das sofort. Er sagte dann immer: Was hast du erreicht, was hat Andy erreicht? Ende der Dis­kus­sion.“
Gegen­über den jungen Spie­lern hatte Otto seine ganz eigene Hal­tung. Rat­inho schickte er auf die Bank, als ihn die Fans mit Sprech­chören fei­erten – er wollte ver­meiden, dass die Zau­ber­maus abhob. Michael Bal­lack, der vor der Saison aus Chem­nitz gekommen war, wollte er für das erste Spiel in Mün­chen auf die Tri­büne setzen. Ich über­re­dete den Trainer, ihm sein Debüt nicht zu ver­derben. Statt Bal­lack setzte ich mich in Zivil auf die Bank. Wäh­rend der Saison sprach ich oft mit dem Jungen. Ich hätte ihn häu­figer ein­ge­setzt als Reh­hagel, man sah schon das Rie­sen­ta­lent, das in ihm schlum­merte.