Mit Kaiserslautern gelang Andreas Brehme ein einzigartiger Durchmarsch: 1998 jagte der Klub vom Abstieg zum deutschen Meistertitel. Hier erzählte er uns davon.
Im März wurde auch noch Friedel Rausch entlassen, den ich für einen sehr guten Trainer hielt. Ich erinnere mich noch genau an den tränenreichen Abschied: Wir saßen bei Fritz Walter zu Hause. Fritz war am Boden zerstört, er prophezeite den Absturz in den Amateurfußball, sollte der FCK tatsächlich absteigen. Der größte Spieler, den der FCK hervorgebracht hatte, sah sein Lebenswerk vor dem Zerfall.
Friedels Nachfolger wurde Eckhard Krautzun. Ich will nicht nachtreten, aber noch heute klingt mir sein Satz im Ohr: „Wenn wir den Klassenerhalt schaffen, bin ich hier der Gott!“ So entfacht man keinen Teamgeist, das ist alles, was ich dazu sage.
Am letzten Spieltag hatten wir dennoch alles selbst in der Hand. Ein Sieg in Leverkusen hätte die Rettung bedeutet. Es war praktisch ein Heimspiel für uns, das Stadion war zu drei Vierteln mit FCK-Fans gefüllt. Nach all dem Rumpelfußball sind wir in dieser alles entscheidenden Partie aufgetreten, als würden wir um die Meisterschaft spielen. Wir waren fest davon überzeugt, dass wir es schaffen würden und spielten die Leverkusener über eine Stunde an die Wand. Doch acht Minuten vor Schluss schickte uns Markus Münch mit seinem Geschoss unter die Latte in die zweite Liga. In ganz Kaiserslautern hingen die Fahnen auf Halbmast. Und Krautzun war doch kein Gott.
Das Absurde: Eine Woche nach dem Abstieg holten wir in Berlin den DFB-Pokal, 1:0 gegen den KSC mit Icke Häßler und Jens Nowotny. Es war der blanke Hohn, wie ein letztes Zeichen dafür, wie unnötig unser Abstieg gewesen war. Wir fuhren alle unmittelbar danach in Urlaub, unsere Tschechen spielten die EM in England. Zur Saisonvorbereitung sahen wir uns alle wieder. Der Verein hatte es geschafft, praktisch alle Leistungsträger zu halten. Der Impuls dahin kam auch von uns Spielern. Wir empfanden alle ähnlich wie Pavel Kuka, der nach dem Leverkusen-Spiel gesagt hatte: „Ich habe große Schuld.“ Wir hatten die Region ins Tal der Tränen gestürzt und wollten sie nun wieder aufrichten. So wie sich die Bayern ein paar Jahre später beim Bankett nach der Last-Minute-Niederlage gegen Manchester United schworen, die Scharte auszuwetzen, fassten wir zusammen den Entschluss, möglichst schnell wieder ins Oberhaus zu kommen. Im Juli, die Vorbereitung lief bereits, kam Otto Rehhagel zum FCK. Atze Friedrich, der damalige Präsident, begrüßte ihn mit den Worten: „Hier darfst du wieder Otto sein!“ Und Otto war Otto. Er sagte gleich bei seinem Amtsantritt zu uns: „Glaubt ja nicht, dass das ein Selbstläufer wird!“ Er führte von Anfang an unzählige Einzelgespräche, vor allem mit denen, die schon beim Abstieg dabei gewesen waren. Als es losging, hatte er uns längst die Demut gegenüber der zweiten Liga eingeimpft. Für die Mission Wiederaufstieg war es eine sehr wichtige Entscheidung, ihn zu holen. Sofort herrschte wieder Aufbruchstimmung im Umfeld. Für das erste Training unter Rehhagel mussten wir ins Fritz-Walter-Stadion umziehen, weil 30 000 Leute gekommen waren.
„In Liga 2 brauchte ich fünf Trikots zum Tauschen“
Wie der Trainer es prophezeit hatte: Einfach war die Saison in der zweiten Liga nicht, es war für mein Gefühl sogar die längste meiner Laufbahn. Zuletzt hatte ich als 20-Jähriger im Unterhaus gekickt, mit dem 1. FC Saarbrücken. 15 Jahre später blickte ich auf eine Weltkarriere zurück – und musste mit dem FCK gegen Gütersloh oder Unterhaching antreten. Für einige Gegenspieler war es etwas Besonderes, gegen Andreas Brehme, den Weltmeister, anzutreten. Bei manchen Spielen hätte ich fünf Trikots zum Tauschen gebraucht. Gegen Unterhaching konnten wir zum Auftakt kein Tor erzielen, bei den Stuttgarter Kickers gelang uns immerhin ein mühsamer 2:0‑Erfolg. Unser erstes Spiel verloren wir dann ausgerechnet in Meppen, dem Inbegriff der Zweiten Bundesliga. Das Emslandstadion kannte ich aber schon, denn dort hatte ich vor einer Ewigkeit mit meinem Stammverein Barmbek-Uhlenhorst in der Oberliga Nord gespielt.
Unsere Fans folgten uns überall hin – das war phänomenal. Auch die letzte Partie bestritten wir gegen Meppen. Wir waren schon seit drei Spieltagen aufgestiegen, beim Stand von 6:2 ließ ich mich auswechseln, am Ende stand ein 7:6, wie beim Tennis. Wir hatten zwar auch Gurkenfußball geboten, wichtig aber war: Der FCK war wieder erstklassig! Mission erfüllt? Noch nicht! Otto wollte unbedingt, dass ich noch ein Jahr dranhängte. Ich sagte ihm aber klipp und klar, dass ich nicht mehr der Jüngste sei. „Wenn Sie mich brauchen, Trainer, bin ich da“, sagte ich. Aber ein Joker wollte ich nicht sein, ich war noch nie einer, der ins laufende Spiel kommt. Rehhagel stimmte zu, und so wurde ich als Kapitän zum Stand-by-Spieler. Meinem Ansehen in der Mannschaft hat das nicht geschadet – im Gegenteil. Ich wurde eine Art inoffizieller Co-Trainer. Ich saß nicht selten auf der Tribüne und analysierte von dort mit Argusaugen das Spiel. In der Halbzeit eilte ich zum Trainer, um ihm meine Erkenntnisse zu präsentieren. Er hat mich immer um meine Meinung gebeten, oft wollte er auch, dass ich neben ihm auf der Bank saß. Wenn er sich in seiner typischen Rumpelstilzchen-Art über eine Szene ärgerte, konnte es schon mal passieren, dass er mich ordentlich durchschüttelte.
Otto hatte immer drei, Vier verlängerte Arme
Mit Zaubermaus Ratinho und dem langen Abwehrmann Michael Schjönberg waren bereits in der Vorsaison zwei Leute zu uns gestoßen, die uns wirklich weiter halfen. Richtige Typen waren das, mit denen man auch feiern konnte, die aber wussten, wann es zur Sache ging. Typen, von denen wir im Abstiegsjahr zu wenige gehabt hatten. Rehhagel zeichnete vor allem seine ehrliche Art aus. Er hat uns an der langen Leine gelassen, hat uns nicht kontrolliert. Zu mir hat er ab und zu gesagt, ich solle mir mal ein, zwei Tage freinehmen. Wenn jemand aufmuckte, regelte er das sofort. Er sagte dann immer: „Was hast du erreicht, was hat Andy erreicht? Ende der Diskussion.“
Gegenüber den jungen Spielern hatte Otto seine ganz eigene Haltung. Ratinho schickte er auf die Bank, als ihn die Fans mit Sprechchören feierten – er wollte vermeiden, dass die Zaubermaus abhob. Michael Ballack, der vor der Saison aus Chemnitz gekommen war, wollte er für das erste Spiel in München auf die Tribüne setzen. Ich überredete den Trainer, ihm sein Debüt nicht zu verderben. Statt Ballack setzte ich mich in Zivil auf die Bank. Während der Saison sprach ich oft mit dem Jungen. Ich hätte ihn häufiger eingesetzt als Rehhagel, man sah schon das Riesentalent, das in ihm schlummerte.