Kein Trainer hat so viele Mannschaften in so vielen Ländern trainiert wie Rudi Gutendorf. Der Fußball war für ihn immer mehr als nur ein Sport. Ein persönlicher Nachruf.
Vor vier Jahren fragten mich bekannte polnische Sportjournalisten, die in ihrer Heimat in unregelmäßigen Abständen das Fußballmagazin „Kopalnia“ herausbringen, ob ich Lust hätte, etwas für sie zu schreiben. Fußball und Politik sollte das Thema der geplanten Ausgabe heißen.
„Meiderich, wo liegt das denn?“
Und so kam es, dass ich mir als Fan des MSV Duisburg einen Traum erfüllte. Für die polnischen Kollegen porträtierte ich Rudi Gutendorf. Jenen Trainer, der in der Gründungssaison der Bundesliga 1963/64 mit dem Meidericher SV, wie der Verein damals noch hieß, überraschend die Vizemeisterschaft holte. Einer Mannschaft, die bis auf den alternden Helden der legendären Weltmeistermannschaft Helmut Rahn, damals keine Stars hatte und dementsprechend wenig von der Konkurrenz ernst genommen wurde. Auch deshalb, weil der Duisburger Arbeiterstadtteil außerhalb der Stadtgrenzen nur den wenigsten bekannt war. „Meiderich, wo liegt das denn?“, soll Uwe Seeler einer Legende zufolge vor dem ersten Gastspiel seines Hamburger SV in Duisburg im November 1963 gefragt haben. Als Antwort bekamen die Hamburger eine 4:0‑Klatsche.
„Wo Meiderich liegt, wo Meiderich siegt, ist überall bekannt. Wo mancher Großer ward besiegt, wo mancher festgerannt“, heißt es seitdem im Zebra-Twist.
55 Jobs auf allen Kontinenten
Der damalige Erfolg, den der heutige Drittligist trotz jahrzehntelanger Bundesligazugehörigeit nie mehr wiederholen konnte, war vor allem der Defensiv-Taktik von Rudi Gutendorf geschuldet. Diese brachte ihm zwar den wenig schmeichelhaften Spitznamen „Riegel-Rudi“ ein, soll aber nicht nur bei Sepp Herberger sehr viel Anerkennung gefunden haben, sondern wurde auch kurz darauf von vielen anderen Bundesligatrainern übernommen.
Was Rudi Gutendorf für das Porträt in dem polnischen Magazin jedoch auszeichnete, war nicht seine Zeit beim MSV Duisburg und anderen Bundesligavereinen wie VfB Stuttgart, FC Schalke 04, dem HSV sowie den Berliner Klubs Tennis Borussia und Hertha BSC, sondern seine zahlreichen Stationen im Ausland. Ob China, Australien, Samoa, Peru oder Tansania. Seine insgesamt 55 Jobs als Trainer von Vereinen und Nationalmannschaften führten ihn auf alle Kontinente.
Eine über Jahrzehnte andauernde Reise um die Erde, die Gutendorf nicht nur einen Eintrag ins Guiness-Buch der Rekorde als der Trainer mit den meisten Stationen einbrachte, sondern von der „Rudi-Rastlos“, auch unzählige Geschichten und Anekdoten mitbrachte, die er zu insgesamt fünf Büchern verarbeitete. Nicht wenige dieser Anekdoten, egal ob über Dünnpfiff auf den Fidschis oder seine unheimliche Begegnung mit Werner Herzig und Klaus Kinski im peruanischen Dschungel, schrieb er auch für 11FREUNDE auf.
Ein Traum platzte
Was bei den ganzen Anekdoten jedoch vergessen wird, ist der ernste Hintergrund für seine weltweite Missionen in Sachen Fußball. 1961, mitten im Kalten Krieg, erkannte die Bundesregierung, dass sich auch mit Fußball Diplomatie machen lässt und schickte Gutendorf auf seine erste Mission nach Tunesien. „Herr Jutendorf, machen S‘et jut – sonst holen die einen aus der Soffjetzone“, gab Konrad Adenauer persönlich dem damals jungen Trainer mit auf dem Weg. Was Gutendorf dazu befähigte, waren seine Französischkenntnisse und seine Auslandserfahrung. Bevor Gutendorf im Auftrag der Bundesrepublik auf Reisen ging, arbeitete er als Fußballlehrer in der Schweiz.
Dass nicht all seine Jobs im Ausland nur ein pures Reiseabenteuer waren, zeigte sich bei den Telefoninterviews. An seine Zeit als Nationaltrainer Chiles erinnerte er sich voller Verbitterung. Einerseits, weil der von Pinochet angeführte Militärputsch von 1973 einen seiner großen Träume zerplatzen ließ – die Teilnahme an der Fußball-Weltmeisterschaft. Die 1974 auch noch in seinem Heimatland stattfand. Wegen dem Putsch musste Gutendorf mit der letzten Lufthansa-Maschine Santiago de Chile verlassen. Den Militärs passte seine Freundschaft nicht mit dem sozialistischen Präsidenten Salvador Allende, mit dem Gutendorf bei einem guten Tropfen Whisky mehrere Abende über das Weltgeschehen diskutierte.
Seine letzte Station
Noch mehr schmerzte den vielgereisten Fußballtrainer jedoch das mörderische Treiben der Junta und wie sie dazu seine Ideen missbrauchte, die allein nur dem Fußball dienten. Eine Mauer in den Katakomben des Nationalstandions von Santiago de Chile, die Gutendorf zu Aufwärmzwecken errichten ließ, nutzten die Militärs für Exekutionen von politischen Gegnern.
Menschlich versöhnt mit den Erfahrungen in Chile hat ihn sein Engagement als Nationaltrainer Ruandas 1999. „Mir war wichtig, dass sich die Spieler versöhnen und eine Einheit bilden. Trotz des blutigen Krieges Jahre zuvor mit den 1 Million Toten“, sagte Gutendorf. Worte die zeigen, dass Fußball mehr ist als nur Sport.
In der Nacht von Freitag auf Samstag ist Rudi Gutendorf im Alter von 93 Jahren gestorben. Mit ihm verlor der Fußball nicht nur einen Weltenbummler und einen großen Entertainer, der seine Trainerdienste noch im hohen Alter dem MSV Duisburg und dem VfB Stuttgart anbot, sondern auch einen großen Menschen. Zuletzt betreute er in seiner Heimatstadt Koblenz eine Flüchtlingsmannschaft. Es war, wenn man so will, seine 56 Station.
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Jahrelang arbeitete Rudi Gutendorf für uns als Kolumnist. Zu seinen Ehren sind hier noch einmal seine schönsten Geschichten zum Nachlesen:
» Rudi Gutendorf unter Beschuss in Chile
» Rudi Gutendorf und das Wunder von Nepal
» Wie Rudi Gutendorf die beste Mannschaft der Welt besiegte