Am Wochenende eskalierte das Regionalliga-Spiel zwischen dem BFC Dynamo und Chemie Leipzig. Die Gäste erheben schwere Vorwürfe gegen den BFC und seine Fans. Der Klub bleibt ein Problemfall.
Mitten im Stadtteil Berlin-Hohenschönhausen gibt es einen Ort, der so gar nicht ins Bild der hippen Weltstadt passen will. Umgeben von Plattenbauten liegt das Sportforum. Im dortigen Stadion ist seit dieser Saison wieder der DDR-Rekordmeister BFC Dynamo beheimatet. Bereits auf dem Asphaltweg zum Stadion scheint eine andere Welt zu beginnen.
Keine fünf Kilometer von den veganen Restaurants, Co-Working-Spaces und Yoga-Cafés in Friedrichshain-Kreuzberg entfernt dominieren Glatzköpfe, maskuline Waden-Tattoos und T‑Shirts mit Frakturaufdruck die Szenerie. “Opa bei den Nazis, Vater bei der Stasi – Ich beim BFC” ist dort etwa zu lesen. Alt-Hools, Prolls, aber auch ganz normale Fans, Rentner und vereinzelt Familien machen sich auf den Weg zu den Eingangstoren des Stadions.
Berlin beheimatet zahlreiche Fußballvereine. Jeder zieht seine eigene Klientel an. Und die vom BFC ist problematisch, zumindest in Teilen. Noch problematischer ist, wie der Verein mit ihr umgeht.
Verwucherte Traversen, eine von Fans wiedererrichtete Anzeigetafel, schlanke Flutlichtmasten und ein winziges Dach über der Haupttribüne – leer wirkt das Sportforum wie ein Sehnsuchtsort für Fußballromantiker. Romantisch geht es am Sonntag aber ganz und gar nicht zu. Die BSG Chemie aus Leipzig ist zu Gast. Das klingt nach Tradition, aber auch nach Krawall-Potential. Am Bierstand gibt es deshalb nur Bier mit Sprite-Schuss. Zwei Gegensätze prallen aufeinander. Die Fans der BSG gelten als links.
Die Gästekurve ist gut gefüllt. Etwa 400 bis 500 Leipziger sorgen für einen Auswärtssupport, wie er seit der Pandemie selten geworden ist. Ein grün-weißes, lautstarkes Fahnenmeer peitscht die BSG nach vorne. Dass es an diesem Tag um weit mehr als um Fußball geht, wird auch an den Gesängen im Gästeblock deutlich. Über den Lokalrivalen aus Leipzig, dessen Anhang ebenfalls in Teilen als rechtsorientiert gilt, singen die Fans: „Wir hauen die Lokis ganz einfach tot, dann ist die Prager Straße endlich wieder rot.“ Bei einigen der BFC-Fans auf der Gegengerade sorgt das für Kopfschütteln. Ansonsten ist man durchaus beeindruckt vom Leipziger Support. „Muss man ihnen lassen, das können sie“, sagt einer. Rein sportlich ist die Partie eine zähe Angelegenheit. Dynamo geht nach 35 Minuten in Führung. Jubel auf den Geraden, die Leipziger singen unbeirrt in ihrer Kurve weiter. Nach der Pause spielt der Gast etwas aktiver und schnuppert phasenweise am Ausgleich. Im Stadion macht sich Nervosität breit.
Während der zweiten Halbzeit fliegt eine erste Stange aus dem Dynamo-Block aufs Feld. Wie man der Übertragung von Ostsport TV entnehmen kann, sind kurz vor Schluss Affenlaute zu hören. Vereinzelt, aber klar vernehmbar. Sie kommen von der Haupttribüne und richten sich gegen Leipzigs Spieler Benjamin Luis.
In der Nachspielzeit fällt das 2:0 für den BFC. Torschütze Andor Bolyki jubelt vor der Chemie-Kurve. Auf der Gegengerade bricht Extase aus, die schnell in Hass umschlägt. Ein junger Typ streckt seine Mittelfinger in Richtung Gästeblock und brüllt „Wegen Euch wähle ich AfD, ihr Fotzen!“ Seine ältere Begleitperson schreit: „Ihr Juden!“ Widerspruch wagt keiner. Die Urheber wirken bedrohlich. Dennoch wirkt es erstaunlich, wie teilnahmslos diese Äußerungen von den Umstehenden hingenommen werden.
Nach dem Abpfiff kommt es zur Eskalation. Beide Mannschaften lassen sich zunächst von ihren Blöcken feiern – die Berliner für den Sieg, die Leipziger für ein ordentliches Spiel. Danach trottet der Leipziger Tross zurück zur Bank. Diese steht in Rufweite des BFC-Fanblocks. Dort entsteht Tumult. Gegenstände fliegen auf den Platz. Spieler, Funktionäre, Fans, alle durcheinander. Es geht schnell und ist unübersichtlich. BSG-Fans klettern über die Zäune und stürmen über den Pufferblock Richtung Gegengerade. BFC-Fans tun es ihnen gleich. Über die Zäune hinweg kommt es zu gegenseitigen Provokationen. Die Polizei marschiert über den Platz und versprüht Pfefferspray. In den Gästeblock – nicht in die Pufferzone, wo die eigentliche Eskalation stattfindet. Ein Polizist hält einen Chemie-Spieler offenbar für einen ausgebüxten Fan und liefert sich mit ihm eine Rangelei auf dem Feld. Es dauert ein paar Minuten bis sich die Situation beruhigt. Auf der Gegengerade ärgern sich einige Dynamo-Fans über die „feigen Provokationen“ der Leipziger.
Auf der anschließenden Pressekonferenz deutet Chemie-Trainer Miroslav Jagatic an, was aus seiner Sicht geschehen ist. Er sei in Deutschland geboren und aufgewachsen und lasse sich bestimmte Dinge nicht sagen. Er wolle nicht ins Detail gehen, da er wisse, dass nicht alle BFCler so seien. BFC-Trainer Christian Benbennek moderiert Jagatic´ Anschuldigungen ab. Man könne auch erfahren genug sein, um in so einer Situation einfach in die Kabine zu gehen. Außerdem werde er ja bei Auswärtsspielen auch bepöbelt. Die Sache scheint für ihn damit erledigt.
Auf Twitter wird die BSG deutlicher. Berichtet Hitlergrüßen, Affenlauten und geworfenen Gegenständen gegen Spieler und Funktionäre. Am Folgetag veröffentlicht der BFC eine Stellungnahme, in der er vor allem das Verhalten des Gäste-Trainers und der Chemie-Fans kritisiert. Zwar betont der Verein, dass er sich gegen Rassismus einsetze, Fehlverhalten der eigenen Anhänger, geschweige denn ein grundlegendes Problem, wird darin aber kaum eingeräumt. Hitlergrüße habe es nicht gegeben, wie auch die örtliche Polizei nach Auswertung der Videoaufnahmen bestätigt habe.
Dem widerspricht die Polizei. Gegenüber n‑tv sagte ein Sprecher, dass das Verfahren mitnichten eingestellt sei und man sehr wohl weiter ermittle. Der BFC betont zudem, dass es wichtig sei, „dass eine wahrheitsgemäße und sachliche Aufarbeitung erfolgt und nicht durch falsche oder einseitige Berichterstattung unser Verein verantwortlich gemacht wird.“
Auch Chemie Leipzig veröffentlicht eine ausführliche Schilderung der eigenen Sicht auf die Geschehnisse. Aus dem BFC-Block soll Jagetic „Deine Sippe gehört vergast!“ zugerufen worden sein. Erst durch diese Äußerung habe der Trainer kurzzeitig die Fassung verloren. Zugleich verurteile die BSG „die unerträgliche Täter-Opfer-Umkehrung seitens des BFC Dynamo“. Die BSG erwarte eine Richtigstellung des BFC Dynamo.
Ob der BFC dem nachkommt, ist mehr als fraglich. Zwar stimmt es, dass der Verein im Jugendbereich wertvolle Integrationsarbeit leistet. In seinen Jugendmannschaften ist er multikulturell aufgestellt. Doch mit dem Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus im eigenen Stadion scheint sich der BFC schwerzutun. Das mag daran liegen, dass es nach der Wende vor allem Personen aus dem rechten Spektrum waren, die noch zum Verein hielten, während sich viele andere vom als Stasi-Club verschrienen BFC abwandten und der Verein durch die unteren Ligen dümpelte.
Heutzutage bevölkern mitnichten nur Nazis die Tribünen des Sportforums. Vermutlich stellen vermeintlich „unpolitische“ Fans die Mehrheit. Die Toleranz dieser Masse gegenüber rassistischen Äußerungen ist dennoch erschreckend hoch. Vielleicht hängt das halbherzige Engagement des Vereins auch damit zusammen, dass der BFC in der Vergangenheit kaum Konsequenzen zu befürchten hatte. Der Nordostdeutsche Fußballverband (NOFV) erweckte zuletzt häufig den Eindruck, Rassismus im Stadion nicht wirklich konsequent zu verfolgen. Zu oft wurde weggeschaut, häufig setzten der Verband und seine Sportsgerichtbarkeit fragwürdige Prioritäten. Zumindest im aktuellen Fall hat der NOFV angekündigt, sich „intensiv“ mit den Vorfällen beim Spiel zu beschäftigen.
Vor diesem Hintergrund könnte der der aktuelle sportliche Höhenflug des BFC Dynamo sogar ein möglicher Schlüssel zur Verbesserung sein. Mit 27 Punkten aus zehn Spielen führen die Weinroten die Tabelle der Regionalliga Nordost an. Sollte der BFC seine Leistungen bestätigen und nächstes Jahr unter den Augen einer größeren Öffentlichkeit in der 3. Liga spielen, wäre die Zeit des Wegschauens und Tolerieren möglicherweise vorbei. Es müsste eine echte, kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Anhang stattfinden.
Vielleicht bestünde dann die Chance, ein Umfeld aufzubauen, das Fans, die bereits zitierte Diffamierungen verwenden, nicht mehr toleriert. Solange dieses Umfeld nicht geschaffen ist, wirken die Beschwerden von Verantwortlichen und Fans, dass ihr „Kampf gegen Rassismus“ für Außenstehende nicht mehr als ein Lippenbekenntnis sei, tatsächlich wie eine Täter-Opfer-Umkehr. Solange es bei dieser Wagenburgmentalität bleibt, ist der BFC Dynamo tatsächlich ein Problemfall.