Ganz Deutschland redet über den „Kracher“ Liverpool gegen Bayern. Doch in England interessieren sich die Fans und Reporter für etwas ganz Anderes. Was besonders Jürgen Klopp gehörig auf die Palme bringt.
Mohamed Salah weiß, wie er die Herzen an der Anfield Road zum Schmelzen bringt: Indem er zu einem seiner Tempodribblings ansetzt, dann ganz weich die Richtung wechselt und der Verteidiger vor ihm ins Leere senst. Tanzt Ägyptens König, jubelt „The Kop“. Aber Salah kann die Anhänger der Reds genauso mit seinen Worten verzücken. „Auch wenn es mein Traum ist, einmal die Trophäe der Champions-League hochzuheben, weiß ich, dass die gesamte Stadt und der Klub vom Ligatitel träumen. Ich stelle ihren Traum über meinen. Ich würde lieber die Liga gewinnen.“
So hatte es Salah unlängst in der Pressekonferenz gesagt und direkt flogen ihm in den sozialen Netzwerken die Danksagungen zu. „So schön“ und „so selbstlos“ steht es dort hundertfach geschrieben. Man stelle sich einmal vor, Thomas Müller hätte diesen Satz an der Säbener Straße gebracht. Lieber den siebten Meistertitel, als den prestigeträchtigen Champions-League-Pokal? Das Gelächter wäre wohl in ganz Oberbayern zu hören gewesen. Vor dem Duell am heutigen Abend ist die Stimmung der Roten aus Liverpool spürbar anders als die der Roten aus München.
Ein Ausrutscher ins Unglück
„Natürlich wollen wir beide Titel gewinnen“, fügte Salah dann noch geschwind an. Doch diese Relativierung lenkt nicht davon ab, dass sich die Aufmerksamkeit in England hauptsächlich auf den Titelkampf mit Manchester City richtet. Seitdem Liverpool Anfang März durch das 0:0 gegen Everton die Tabellenführung hergegeben hat, befeuern die Journalisten Jürgen Klopp mit der immergleichen Frage: Ist Liverpool mental stark genug, um den Titel zu holen? Und er wiederholt: „Selbstverständlich haben wir genug Vertrauen in uns selbst.“
Beim Gedanken an das Saisonfinale kommt immer wieder die Angst hoch, Liverpool könnte wie 2014 enden, als Steven Gerrard durch einen Ausrutscher im wichtigen Spiel gegen Chelsea drei Spieltage vor Schluss den sicher geglaubten Meistertitel verspielte. Seitdem singen die Gäste an der Anfield Road immer wieder zur Melodie von „Que sera sera“: „Stephen Gerrard, Gerrard, he slipped on his fucking arse. He gave it to Demba Ba. Steven Gerrard, Gerrard.“ Ein kleines Trauma hat sich eingenistet und Liverpool wartet seit mittlerweile 29 Jahren auf den Ligagewinn.
Ob denn das Weiterkommen in der Königsklasse die Chancen auf den Titel in der Premier League mindere, wurde Klopp gestern gefragt. „Ich glaube nicht, dass irgendein Trainer auf der Welt das beantworten würde.“ Punkt. Der Versuch, diese Diskussion abzuschließen. Nicht, dass seine Spieler plötzlich den Sinn des internationalen Wettbewerbs hinterfragen.
Glücklicherweise hat er da seinen Vize-Kapitän Virgil van Dijk, der nach zwei Spielen Sperre wieder zur Mannschaft dazustößt und ebenfalls warnte: „Wir müssen es deutlich besser machen als in den letzten Auswärtsspielen der Champions League.“ Drei Niederlagen kassierte Liverpool zuvor in der Gruppenphase.
Für Bayern „geht es um alles“
Der FC Bayern kommt da zum denkbar schlechten Zeitpunkt. Kingsley Coman ist wieder fit. Die Tabellenführung in der Bundesliga gehört wieder ihnen dank zwölf Siegen aus den vergangenen 13 Ligapartien – eine Bilanz wie aus der Münchener Zeit von Pep Guardiola. Für die Münchener „geht es um alles“, wie Sportdirektor Hasan Salihamidzic am Montag ausrief. Dagegen klang selbst Jürgen Klopp sehr sanft, der sich einen Kommentar nicht verkneifen konnte: „Es ist ein wichtiges Spiel, aber es werde noch wichtigere kommen.“
Klar, so eine Aussage gehört zu den gewohnten Psychospielchen vor einer Begegnung. Und mag die Meisterschaft auch noch so wichtig sein. Mit Sicherheit werden Liverpools Anhänger heute jubeln, wenn Mohamed Salah wieder losrennt und Mats Hummels, Jerome Boateng oder Niklas Süle chancenlos an sich vorbeirutschen lässt. Auch, wenn es nicht gerade „selbstlos“ wäre.