Inter Mailand steht im Finale der Europa-League. Das liegt vor allem an Romelu Lukaku, dem derzeit wohl dominantesten Stürmer der Welt.
Fußball kann so einfach sein. Manchmal reichen eine Balleroberung, ein präziser Pass kurz hinter die Mittellinie und ein gewonnenes Sprintduell, um ein Tor zu schießen. Zumindest wenn man Romelu Lukaku ist.
Die meisten Profistürmer hätten ein Zuspiel in Höhe des Mittelkreises vermutlich schnell wieder in Richtung Teamkollegen gepasst und sich ohne Ball in Richtung Strafraum aufgemacht. Doch Romelu Lukaku ist nicht wie die meisten Stürmer. Lukaku lief einfach los. Ließ seinen Gegenspieler mit scheinbar weniger Anstrengung, als manche Menschen beim Zähneputzen aufwenden, stehen und traf. Zum 5:0 im Europa-League-Halbfinale gegen Schachtar Donezk.
Spätestens in diesem Moment kannte dann auch das Grinsen seines Trainer Antonio Conte keine Grenzen mehr. Euphorisiert und erleichtert nahm er seine Assistenten in die Arme, bevor er, ganz Gentleman, den unterlegenden Trainer Luís Castro noch einige aufmunternde Worte mit auf den Weg gab. Gerade hatte Inter Mailand in solch beeindruckender Manier das erste europäische Endspiel seit dem Champions-League-Triumph gegen Bayern München vor zehn Jahren erreicht, dass ernsthaft die Frage erlaubt sein muss, ob Inter nicht auch im Finale der Königsklasse realistische Siegchancen gehabt hätte.
Während Inter nach einer Dekade wieder in einem europäischen Cupfinale steht, darf sich Antonio Conte über sein erstes internationales Endspiel als Trainer freuen: „Wir haben es gut gemacht. Die Jungs haben genau so gespielt, wie man ein europäisches Spiel spielen muss“, beschrieb er die geschlossene und disziplinierte Teamleistung, bei der die Akteure von Inter sowohl kollektiv verteidigten als auch angriffen. Wie in den Runden zuvor war Romelu Lukaku dabei mal wieder ein Erfolgsgarant.
Durch seinen Doppelpack gegen Donezk hat der Belgier in den letzten zehn Europa-League-Spielen hintereinander getroffen und dabei 14 Tore erzielt. Rekord. Lukaku befindet sich seit Beginn des Final-Turniers in Nordrhein-Westfalen in absoluter Topform und ist trotz Robert Lewandowski der derzeit vielleicht dominanteste Stürmer der Welt. Im Vergleich mit den oftmals bemitleidenswerten Verteidigern wirkt Lukaku nicht selten überirdisch. Bringt er seinen bulligen Körper zwischen Abwehrspieler und Verteidiger, entsteht bisweilen der Eindruck, die Abwehrspieler würden an ihm brechen wie Wellen an einer Kaimauer.
Auch Leverkusens Torwart Lukas Hradecky stellte nach dem Viertelfinal-Aus der Werkself gegen Inter konsterniert fest: „Es ist unmöglich, so eine Mauer zu verteidigen.“ Beim Treffer zum 2:0 hatte Lukaku seinen Gegenspieler Edmond Tapsoba, der mit 1,90 Meter Körpergröße wahrlich kein Leichtgewicht ist, in Ringermanier abgeschüttelt und den Ball im Fallen akrobatisch um Hradecky ins Tor gespitzelt. Der Spiegel titelte passenderweise: „Leverkusens Europa-League-Träume zerbrechen an Lukaku“.
Der Protagonist beschrieb die Aktion gegenüber DAZN pragmatischer: „Sie haben mich gewarnt, dass er (Tapsoba, Anm. d. Red.) stark sei. Doch ich kann stärker sein als alle anderen.“ Was wie eine arrogante Warnung klingt, zeigt vielmehr den sehr ehrgeizigen Charakter des Belgiers. Bereits im Kindesalter versprach Lukaku seiner Mutter, dass er professioneller Fußballer werden und die Familie damit aus der Armut holen würde.
Und Lukaku hielt Wort. Im Alter von nur 16 Jahren feierte er für den RSC Anderlecht sein Debüt in der ersten belgischen Liga. Schnell war vom nächsten Wunderkind die Rede. Jedoch konnte sich Lukaku beim FC Chelsea, zum dem er 2011 als 18-Jähriger wechselte, nie richtig durchsetzen. Erst beim nicht ganz so schillernden FC Everton folgten Tore wie am Fließband und der vorläufige Durchbruch. Lukakus zwei Jahre bei Manchester United verliefen dagegen wiederum eher enttäuschend. Zwar traf der Belgier auch im Trikot der Red Devils regelmäßig, Titel blieben aber aus. Nun hat er sein sportliches Glück gefunden und ist bei Inter Mailand endgültig in der absoluten Weltspitze angekommen.
Dabei kommt Lukaku das von Antonio Conte favorisierte 3 – 5‑2-System sehr entgegen. Es ist geradezu prädestiniert für ihn. Als Zielspieler von Inters Angriffen schießt er nicht nur Tore, sondern agiert auch als menschgewordener Prellbock, der Bälle behauptet und auf seine nachrückenden Teamkollegen ablegt. Zusammen mit dem quirligen und dribbelstarken Argentinier Lautaro Martinez, der gegen Donezk ebenfalls doppelt traf, bildet Lukaku ein Sturmduo, das sich derzeit wohl am allerbesten ergänzt. Beide legen sich gegenseitig immer wieder Treffer auf, ackern für die Mannschaft, indem sie gegnerische Verteidigungslinien attackieren und nehmen somit permanent am Spiel ihres Teams teil.
So überrascht es auch nicht, dass Lukaku auf die ausgezeichnete Teamchemie hinweist: „Wir wachsen jeden Tag enger zusammen. Es ist ein perfekter Mix aus erfahrenen und jungen Spielern.“ Im Kader von Inter ist Lukaku trotz Routiniers wie Diego Godín oder Samir Handanovic schon einer der erfahrensten. Und das mit 27 Jahren. Da Lukaku schon seit über zehn Jahren im Profizirkus mitmischt, wird oft vergessen, dass er erst jetzt im besten Fußballalter ist.
Keine guten Nachrichten für die Konkurrenz. Vor allem der FC Sevilla hätte sich trotz fünf gewonnener Europa-League-Endspiele in Folge wohl eher einen anderen Gegner gewünscht. Wenn Lukaku seine beängstigende Form auch im Finale am Freitagabend auf den Platz bringt, dürften auch die andalusischen Träume auf den sechsten Titel regelrecht am Belgier zerschellen. So eine Mauer ist eben nicht zu verteidigen.