Am 19.05.2018 gewann Kevin-Prince Boateng mit Eintracht Frankfurt den Pokal in seiner Heimatstadt Berlin. Und machte endlich seinen Frieden mit Deutschland.
Die Erzählung von Kevin-Prince Boateng stammt aus 11FREUNDE #221. Das Heft über die Kraft des Fußballs mit unzähligen weiteren Anekdoten von u.a. Christian Streich, Christoph Kramer, Hansi Flick, Robin Gosens und vielen weiteren Spielern und Trainern gibt es bei uns im Shop.
Als ich den DFB-Pokal 2018 in den Himmel über Berlin reckte, der Stadt, in der ich geboren bin, hatte ich meinen Frieden gemacht. Meinen Frieden mit meiner Heimat. Mit Deutschland. Lange Jahre war ich mir vorgekommen wie ein Verstoßener. Ich wurde weggejagt, kam zurück, war als der böser Junge verschrien, als Troublemaker. Ich hatte den Eindruck, dass die Menschen in dem Land, in dem ich aufgewachsen bin und das ich liebe, nichts Positives mit mir verbanden. Oft hatte ich gesagt, dass es mir egal ist, was Leute denken. Aber mir wurde klar, dass das nicht stimmt. Denn ich bin kein schlechter Mensch, und ich möchte, dass meine Kinder, wenn sie mich googeln, stolz auf mich sein können.
Auch als ich 2017 in Frankfurt unterschrieb, hieß es: „Eintracht holt den Bad Boy.“ Mir war bewusst: Diese Stimmen werden erst verstummen, wenn ich sie mit Erfolgen überzeuge. Mit etwas, das bleibt! Erst dann würde alles, was vorher war, vergessen sein. Wie bei einer Taufe!
Unter Niko Kovac spielten wir eine herausragende Saison, doch im April kam raus, dass er zu den Bayern wechselt. Ein ungünstiger Zeitpunkt, um als Team nicht auseinanderzubrechen. Mir war sofort bewusst, dass wir nun nicht nachlassen dürfen. Dass wir nicht für den Trainer spielen, sondern für uns und den Verein. Zu Niko sagte ich: „Ich bin stolz, dass du die Chance beim FC Bayern kriegst, denn du kommst aus meiner Gegend, wir sind ähnlich aufgewachsen. Aber wir müssen die Sache hier vernünftig zu Ende bringen!“
„Dann verlieren wir das Ding entweder 0:5 – oder holen den Pott“
Wir hatten die ganze Saison 5−3−2 oder 5−2−3 gespielt – und waren gut damit gefahren. Aber gegen die Bayern, die auf allen Positionen besser besetzt waren, würde es mit dieser Taktik nichts werden. Zwei Wochen vorm Finale sprach ich Niko an: „Lass uns nicht auf Sicherheit gehen, lass uns was riskieren, lass uns 4−3−3 spielen. Dann verlieren wir das Ding entweder 0:5 – oder holen den Pott.“ Er klang nicht überzeugt, musste erst mal überlegen. Aber ein paar Tage später stellten wir im Training plötzlich um: auf 4−3−3. Unser Plan war, gut zu stehen und die Bayern dann mit schnellen Bällen in die Spitze auszukontern.
Als wir unmittelbar vorm Match im Tunnel standen, sagte Ante Rebic den berühmten Satz zu mir: „Bruder, schlag den Ball lang.“ Frei nach dem Motto: Wenn du die Kugel hast, fackel nicht lang, hau das Ding in die Mitte. Und das klappte im Spiel nahezu perfekt. Wir haben uns von Beginn an super verstanden. Vielleicht weil wir wussten, dass bei Typen wie uns immer Explosionsgefahr besteht. Überhaupt hatten wir in der Saison 2017/18 einen Teamgeist, den ich so nie zuvor erlebt hatte. Im Sommer waren zehn neue Spieler nach Frankfurt gekommen, viele konnten kein Wort Deutsch. Das hätte auch nach hinten losgehen können. Aber da war dieser gutgelaunte Multikulti-Groove, der uns durch die Spielzeit trug. Gegen ein Team, das so funktioniert, braucht jeder Gegner großen Hunger. Und den hatten die Bayern nicht. Wir gewannen das Match mit 3:1. Und ich machte meinen Frieden mit Deutschland. Mit dem ersten Titel der Eintracht, dreißig Jahre nach dem letzten Erfolg im DFB-Pokal. Mit etwas, das bleibt! Wie bei einer Taufe.