Jahrzehnte stand Trabzonspor im Schatten der übermächtigen Istanbuler Klubs. Nun scheint endlich die große Stunde des Vereins von der Schwarzmeerküste zu schlagen. Warum sich in der türkischen Süper Lig Historisches anbahnt.
Eigentlich sprach alles für die Gäste aus Istanbul. Ein Handspiel auf der Linie und die anschließende Aufregung hatten Karamgürük gleich zwei Platzverweise eingebracht, Mesut Özil den fälligen Elfmeter zum 1:1 verwandelt. Doch Fenerbahçe lieferte nicht – wieder einmal. Mehr als eine komplette Halbzeit lief Fener gegen neun Mann an, am Ende stand trotzdem die Enttäuschung. Es blieb beim Unentschieden.
„Im Allgemeinen konnten wir auf dem Feld nicht das widerspiegeln, was wir wollten“, sagte Interimstrainer Zeki Murat Göle nach dem Remis. Was kurz vor Weihnachten auf die Partie gegen Karagümrük bezogen war, lässt sich ohne Probleme auch auf den Rest der bisherigen Fenerbahçe-Spielzeit ausweiten. Das zeigt sich am Tabellenbild. Obwohl auf das Unentschieden ein Sieg über das Schlusslicht aus Malatya folgte, belegt der Meisterschaftsanwärter nur Platz vier – mit satten 14 Punkten Rückstand auf die Spitze. Doch steht Fenerbahçe mit seinem Leid nicht alleine da. Denn auch die beiden anderen bekannten Klubs aus Istanbul laufen ihren Ansprüchen hinterher: Beşiktaş ist derzeit siebter, Galatasaray nur zehnter. Zum Vergleich: Die letzte Saison schloss Meister Beşiktaş vor Galatasaray ab. Dritter wurde Fenerbahce.
In den Jahrzehnten davor hatte es nicht anders ausgesehen. Mit zwei Ausnahmen (Bursaspor 2010 und Başakşehir 2020) machten die drei Istanbuler Traditionsklubs die Meistertitel der letzten 26 Jahre unter sich aus. Längerfristig konnte in den Siebzigern und Achtzigern nur der Trabzonspor Külübü etwas gegen die Istanbuler Übermacht ausrichten. Und auch jetzt probt der Klub von der Schwarzmeerküste wieder den Aufstand. Was passiert da gerade in der Süper Lig?
Zunächst lohnt sich ein Blick auf das Versagen – anders ist es nicht auszudrücken – der drei als übermächtig geltenden Klubs. Wirkliche Parallelen scheint es bei deren Problemen allerdings nicht zu geben. Vielmehr lodern äußerst unterschiedliche Brandherde. Bei Meister Beşiktaş stellte sich eine Veränderung des Spielsystems als Fehler heraus. Trainer Sergen Yalçın wollte zur neuen Saison technisch anspruchsvollen Ballbesitzfußball installieren, scheiterte damit jedoch – obwohl namhafte Profis wie Miralem Pjanic, Alex Teixera oder Michy Batshuayi eigentlich die nötigen Fähigkeiten mitbrachten. Für Meistertrainer Yalçın war Anfang Dezember Feierabend, seitdem leitet Önder Karaveli übergangsweise die Geschicke.
Noch überraschender als der Absturz der Schwarzen Adler kam das Abrutschen Fenerbahçes. Denn Fener hatte seine Klasse in dieser Saison bereits gezeigt und einen fast makellosen Saisonstart hingelegt. Nach acht Spieltagen stand die Özil-Truppe noch an der Tabellenspitze. Plötzlich ging jedoch kaum noch etwas zusammen, was an Trainer Pereira festgemacht wurde. Der Ruf des Portugiesen litt, die Fans forderten öffentlich seinen Rücktritt. Vor dem Karamgürük-Spiel war es so weit: Pereira musste gehen. Übrigens: Mesut Özil zeigte sich just in der Phase formverbessert, in der seine Mannschaftskollegen neben sich standen. Fünf seiner sieben Saisontore hat der 34-Jährige in den letzten acht Partien erzielt.
Am tiefsten gesunken ist Galatasaray. Bei dem Klub aus dem Stadtteil Beyoğlu kommt die Schwächephase allerdings nicht ganz so unerwartet wie bei den Nachbarn. Denn der Kader von Trainerlegende Fatih Terim ist nicht wirklich ausgewogen. Zwar stehen einigen Altstars wie Arda Turan oder Ryan Babal viele junge Talente gegenüber, doch funktioniert das Gebilde nicht.
Eine Phase, die eingeplant ist: Die klammen Cim Bom setzen bewusst auf die Jugend – und nehmen dabei in Kauf, dass es eine Weile dauern könnte, ehe der Erfolg zurückkehrt. Selbst herbe Enttäuschungen wie das Aus im Pokal, das Galatasaray kurz vor Jahresende gegen Denizlispor ereilte, ändern daran nichts. „Wir werden den Weg gemeinsam mit den talentierten jungen Leuten weitergehen. Wir werden hartnäckig verteidigen, dass dieser Plan der richtige ist“, sagte Terim nach der Partie. Geht es so weiter, wird der Trainer seinen Plan über kurz oder lang auch gegen die eigenen Fans verteidigen müssen. Diese sind anderes gewohnt. Doch weg vom Trübsal, hin zur Euphorie. Die spannendere Geschichte spielt sich nämlich in Trabzon ab.